dießmal schwerer als sonst und war viel in Gedanken. Kurz vor Aufbruch fiel es ihm ein, er wolle das Thal ,noch einmal' sehen, wo er vier Jahre, vom vierzehnten bis zum achtzehnten, in einer Erziehungsanstalt zugebracht hat. Er hatte immer gern von jener Zeit gesprochen, von den alten Klosterräumen, worin die Schule sich befand, von der Schönheit des Thales, von den alten Kameraden. Still und sichtbar weich gestimmt kam er zurück und trat bald darauf die Reise an. Er schien sich nach den wenigen Lebenszeichen, die mir aus der Entfernung zukamen, in Neapel, dann in Palermo ganz munter zu befinden. Ueber Pompeji schrieb er einen ausnahmsweise langen, gar schönen Brief; durch den tiefen Ernst seiner Schilderung und Betrachtungen schien mir etwas wie eine Todesahnung hindurch¬ zuklingen, am Schluß aber sprang er auf seine Weise in Scherz um, indem er berichtete, er beschäftige sich jetzt profund mit der Frage, ob die Griechen und Römer auch Hühneraugen gehabt haben; er habe die Figuren der Verschütteten, die man durch Gypseinguß in den Lavamantel gewonnen, mikroskopisch genau darauf angesehen, aber leider sei die Epidermis zu sehr zerstört. Von Palermo sollte im Frühling eine Rundreise durch die Insel angetreten werden, aber auf einmal kam ein Brief aus Rom, dann lange keiner mehr, ich dachte, er sitze nun im römischen Gebirge, als endlich, um die Zeit des Kriegsausbruchs, ein paar
dießmal ſchwerer als ſonſt und war viel in Gedanken. Kurz vor Aufbruch fiel es ihm ein, er wolle das Thal ‚noch einmal‘ ſehen, wo er vier Jahre, vom vierzehnten bis zum achtzehnten, in einer Erziehungsanſtalt zugebracht hat. Er hatte immer gern von jener Zeit geſprochen, von den alten Kloſterräumen, worin die Schule ſich befand, von der Schönheit des Thales, von den alten Kameraden. Still und ſichtbar weich geſtimmt kam er zurück und trat bald darauf die Reiſe an. Er ſchien ſich nach den wenigen Lebenszeichen, die mir aus der Entfernung zukamen, in Neapel, dann in Palermo ganz munter zu befinden. Ueber Pompeji ſchrieb er einen ausnahmsweiſe langen, gar ſchönen Brief; durch den tiefen Ernſt ſeiner Schilderung und Betrachtungen ſchien mir etwas wie eine Todesahnung hindurch¬ zuklingen, am Schluß aber ſprang er auf ſeine Weiſe in Scherz um, indem er berichtete, er beſchäftige ſich jetzt profund mit der Frage, ob die Griechen und Römer auch Hühneraugen gehabt haben; er habe die Figuren der Verſchütteten, die man durch Gypseinguß in den Lavamantel gewonnen, mikroſkopiſch genau darauf angeſehen, aber leider ſei die Epidermis zu ſehr zerſtört. Von Palermo ſollte im Frühling eine Rundreiſe durch die Inſel angetreten werden, aber auf einmal kam ein Brief aus Rom, dann lange keiner mehr, ich dachte, er ſitze nun im römiſchen Gebirge, als endlich, um die Zeit des Kriegsausbruchs, ein paar
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0031"n="18"/>
dießmal ſchwerer als ſonſt und war viel in Gedanken.<lb/>
Kurz vor Aufbruch fiel es ihm ein, er wolle das Thal<lb/>‚noch einmal‘ſehen, wo er vier Jahre, vom vierzehnten<lb/>
bis zum achtzehnten, in einer Erziehungsanſtalt zugebracht<lb/>
hat. Er hatte immer gern von jener Zeit geſprochen,<lb/>
von den alten Kloſterräumen, worin die Schule ſich<lb/>
befand, von der Schönheit des Thales, von den alten<lb/>
Kameraden. Still und ſichtbar weich geſtimmt kam er<lb/>
zurück und trat bald darauf die Reiſe an. Er ſchien<lb/>ſich nach den wenigen Lebenszeichen, die mir aus der<lb/>
Entfernung zukamen, in Neapel, dann in Palermo<lb/>
ganz munter zu befinden. Ueber Pompeji ſchrieb er<lb/>
einen ausnahmsweiſe langen, gar ſchönen Brief; durch<lb/>
den tiefen Ernſt ſeiner Schilderung und Betrachtungen<lb/>ſchien mir etwas wie eine Todesahnung hindurch¬<lb/>
zuklingen, am Schluß aber ſprang er auf ſeine Weiſe<lb/>
in Scherz um, indem er berichtete, er beſchäftige ſich<lb/>
jetzt profund mit der Frage, ob die Griechen und<lb/>
Römer auch Hühneraugen gehabt haben; er habe die<lb/>
Figuren der Verſchütteten, die man durch Gypseinguß<lb/>
in den Lavamantel gewonnen, mikroſkopiſch genau<lb/>
darauf angeſehen, aber leider ſei die Epidermis zu<lb/>ſehr zerſtört. Von Palermo ſollte im Frühling eine<lb/>
Rundreiſe durch die Inſel angetreten werden, aber<lb/>
auf einmal kam ein Brief aus Rom, dann lange keiner<lb/>
mehr, ich dachte, er ſitze nun im römiſchen Gebirge,<lb/>
als endlich, um die Zeit des Kriegsausbruchs, ein paar<lb/></p></body></text></TEI>
[18/0031]
dießmal ſchwerer als ſonſt und war viel in Gedanken.
Kurz vor Aufbruch fiel es ihm ein, er wolle das Thal
‚noch einmal‘ ſehen, wo er vier Jahre, vom vierzehnten
bis zum achtzehnten, in einer Erziehungsanſtalt zugebracht
hat. Er hatte immer gern von jener Zeit geſprochen,
von den alten Kloſterräumen, worin die Schule ſich
befand, von der Schönheit des Thales, von den alten
Kameraden. Still und ſichtbar weich geſtimmt kam er
zurück und trat bald darauf die Reiſe an. Er ſchien
ſich nach den wenigen Lebenszeichen, die mir aus der
Entfernung zukamen, in Neapel, dann in Palermo
ganz munter zu befinden. Ueber Pompeji ſchrieb er
einen ausnahmsweiſe langen, gar ſchönen Brief; durch
den tiefen Ernſt ſeiner Schilderung und Betrachtungen
ſchien mir etwas wie eine Todesahnung hindurch¬
zuklingen, am Schluß aber ſprang er auf ſeine Weiſe
in Scherz um, indem er berichtete, er beſchäftige ſich
jetzt profund mit der Frage, ob die Griechen und
Römer auch Hühneraugen gehabt haben; er habe die
Figuren der Verſchütteten, die man durch Gypseinguß
in den Lavamantel gewonnen, mikroſkopiſch genau
darauf angeſehen, aber leider ſei die Epidermis zu
ſehr zerſtört. Von Palermo ſollte im Frühling eine
Rundreiſe durch die Inſel angetreten werden, aber
auf einmal kam ein Brief aus Rom, dann lange keiner
mehr, ich dachte, er ſitze nun im römiſchen Gebirge,
als endlich, um die Zeit des Kriegsausbruchs, ein paar
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/31>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.