Menschen abhält, der große Lust zu einem Morde hätte, daß also ein schon zum Mord ausersehenes Opfer gerettet wird, so sind doch jene sechs wahr¬ haftig nicht zu gut gewesen, diese Rettung durch ihren Tod zu erzielen. Dieß ist eine schlichte und doch ge¬ wiß zugleich sehr expediente Rechnung.
Anderes genügt nicht, die Todesstrafe zu recht¬ fertigen. Sie ist rein juridisch nicht haltbar. Strafe ist doch Zufügung eines Uebels; das ist nicht die ganze Definition, aber doch ein wesentlicher Theil der¬ selben. Um ein Uebel zuzufügen, brauche ich ein Subjekt, dem ich es zufüge, das es empfindet. Ein Subjekt aufheben heißt aber nicht, einem Subjekt ein Uebel zufügen. Der Tod ist kein Uebel, das ein Subjekt empfindet, denn wenn der Tod da ist, ist das Subjekt nicht mehr da. Etwas Anderes ist die Todes¬ angst. Sie ist das entsetzlichste aller Uebel. Einem Menschen den Tod auf eine bestimmte Stunde, Mi¬ nute als unentrinnbar ansagen, das stürzt seine Phan¬ tasie in eine Hölle von Qualen, die kein Name nennt. Diese Qualenhölle will aber als solche das Recht nicht: es verhängt den Tod, nicht die Todesangst. Also was das Recht will, ist kein Uebel, und was es nicht will, das größte, äußerste von allen. Dem ist aber nicht abzuhelfen, denn sucht man auch auf einen Augen¬
Menſchen abhält, der große Luſt zu einem Morde hätte, daß alſo ein ſchon zum Mord auserſehenes Opfer gerettet wird, ſo ſind doch jene ſechs wahr¬ haftig nicht zu gut geweſen, dieſe Rettung durch ihren Tod zu erzielen. Dieß iſt eine ſchlichte und doch ge¬ wiß zugleich ſehr expediente Rechnung.
Anderes genügt nicht, die Todesſtrafe zu recht¬ fertigen. Sie iſt rein juridiſch nicht haltbar. Strafe iſt doch Zufügung eines Uebels; das iſt nicht die ganze Definition, aber doch ein weſentlicher Theil der¬ ſelben. Um ein Uebel zuzufügen, brauche ich ein Subjekt, dem ich es zufüge, das es empfindet. Ein Subjekt aufheben heißt aber nicht, einem Subjekt ein Uebel zufügen. Der Tod iſt kein Uebel, das ein Subjekt empfindet, denn wenn der Tod da iſt, iſt das Subjekt nicht mehr da. Etwas Anderes iſt die Todes¬ angſt. Sie iſt das entſetzlichſte aller Uebel. Einem Menſchen den Tod auf eine beſtimmte Stunde, Mi¬ nute als unentrinnbar anſagen, das ſtürzt ſeine Phan¬ taſie in eine Hölle von Qualen, die kein Name nennt. Dieſe Qualenhölle will aber als ſolche das Recht nicht: es verhängt den Tod, nicht die Todesangſt. Alſo was das Recht will, iſt kein Uebel, und was es nicht will, das größte, äußerſte von allen. Dem iſt aber nicht abzuhelfen, denn ſucht man auch auf einen Augen¬
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Menſchen abhält, der große Luſt zu einem Morde
hätte, daß alſo ein ſchon zum Mord auserſehenes
Opfer gerettet wird, ſo ſind doch jene ſechs wahr¬
haftig nicht zu gut geweſen, dieſe Rettung durch ihren
Tod zu erzielen. Dieß iſt eine ſchlichte und doch ge¬
wiß zugleich ſehr expediente Rechnung.
Anderes genügt nicht, die Todesſtrafe zu recht¬
fertigen. Sie iſt rein juridiſch nicht haltbar. Strafe
iſt doch Zufügung eines Uebels; das iſt nicht die
ganze Definition, aber doch ein weſentlicher Theil der¬
ſelben. Um ein Uebel zuzufügen, brauche ich ein
Subjekt, dem ich es zufüge, das es empfindet. Ein
Subjekt aufheben heißt aber nicht, einem Subjekt ein
Uebel zufügen. Der Tod iſt kein Uebel, das ein
Subjekt empfindet, denn wenn der Tod da iſt, iſt das
Subjekt nicht mehr da. Etwas Anderes iſt die Todes¬
angſt. Sie iſt das entſetzlichſte aller Uebel. Einem
Menſchen den Tod auf eine beſtimmte Stunde, Mi¬
nute als unentrinnbar anſagen, das ſtürzt ſeine Phan¬
taſie in eine Hölle von Qualen, die kein Name nennt.
Dieſe Qualenhölle will aber als ſolche das Recht nicht:
es verhängt den Tod, nicht die Todesangſt. Alſo
was das Recht will, iſt kein Uebel, und was es nicht
will, das größte, äußerſte von allen. Dem iſt aber
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/294>, abgerufen am 25.11.2024.
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