Scheiben an der Fensterlaibung, Scheere im Riemen an der Wand, Kürbis an der Holzdecke hängend, ganzer Raum so gemüthlich ausgefüllt, Spitzhund so schmucke¬ lig hingelagert neben dem zahmen Raubthier, und den Heiligen so ehrlich vertieft?
Aber jetzt fort mit Vergleichungen, Unterscheidungen! Sei ganz hier! Wandle unter Göttern im Vatikan! Wesen aus Einem Stück. Haben keinen Pfahl im Fleisch.
Der Künstler will uns sagen und sagt es ganz und rund: hier siehst du Wesen, die auf den Höhen des Olymp und Parnaß wohnen, wo allerdings (den Aufschmückungen der Dichter zum Trotz) bis in Sommers Mitte Schnee liegt, die aber dennoch nie einen Katarrh haben. Die innere unbewölkte Einheit dieser Wesen mit sich fühlt man nun erst im Marmor ganz, dessen körnige Textur, auf der Oberfläche durchscheinend, uns sagt, daß solches System ungestörter seelischer Prozesse spezifisch von ungestörtem Hautleben ausgieng. -- O Stubenexistenz unserer traurigen Menschheit!
Man hat aber immer seine Lieblinge. Trauer ist ja dennoch in all' diesen seligen Gestalten. Besagt
Scheiben an der Fenſterlaibung, Scheere im Riemen an der Wand, Kürbis an der Holzdecke hängend, ganzer Raum ſo gemüthlich ausgefüllt, Spitzhund ſo ſchmucke¬ lig hingelagert neben dem zahmen Raubthier, und den Heiligen ſo ehrlich vertieft?
Aber jetzt fort mit Vergleichungen, Unterſcheidungen! Sei ganz hier! Wandle unter Göttern im Vatikan! Weſen aus Einem Stück. Haben keinen Pfahl im Fleiſch.
Der Künſtler will uns ſagen und ſagt es ganz und rund: hier ſiehſt du Weſen, die auf den Höhen des Olymp und Parnaß wohnen, wo allerdings (den Aufſchmückungen der Dichter zum Trotz) bis in Sommers Mitte Schnee liegt, die aber dennoch nie einen Katarrh haben. Die innere unbewölkte Einheit dieſer Weſen mit ſich fühlt man nun erſt im Marmor ganz, deſſen körnige Textur, auf der Oberfläche durchſcheinend, uns ſagt, daß ſolches Syſtem ungeſtörter ſeeliſcher Prozeſſe ſpezifiſch von ungeſtörtem Hautleben ausgieng. — O Stubenexiſtenz unſerer traurigen Menſchheit!
Man hat aber immer ſeine Lieblinge. Trauer iſt ja dennoch in all' dieſen ſeligen Geſtalten. Beſagt
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Scheiben an der Fenſterlaibung, Scheere im Riemen
an der Wand, Kürbis an der Holzdecke hängend, ganzer
Raum ſo gemüthlich ausgefüllt, Spitzhund ſo ſchmucke¬
lig hingelagert neben dem zahmen Raubthier, und den
Heiligen ſo ehrlich vertieft?
Aber jetzt fort mit Vergleichungen, Unterſcheidungen!
Sei ganz hier! Wandle unter Göttern im Vatikan!
Weſen aus Einem Stück. Haben keinen Pfahl im Fleiſch.
Der Künſtler will uns ſagen und ſagt es ganz
und rund: hier ſiehſt du Weſen, die auf den Höhen
des Olymp und Parnaß wohnen, wo allerdings (den
Aufſchmückungen der Dichter zum Trotz) bis in Sommers
Mitte Schnee liegt, die aber dennoch nie einen Katarrh
haben. Die innere unbewölkte Einheit dieſer Weſen
mit ſich fühlt man nun erſt im Marmor ganz, deſſen
körnige Textur, auf der Oberfläche durchſcheinend, uns
ſagt, daß ſolches Syſtem ungeſtörter ſeeliſcher Prozeſſe
ſpezifiſch von ungeſtörtem Hautleben ausgieng. — O
Stubenexiſtenz unſerer traurigen Menſchheit!
Man hat aber immer ſeine Lieblinge. Trauer iſt
ja dennoch in all' dieſen ſeligen Geſtalten. Beſagt
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/280>, abgerufen am 26.11.2024.
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