so wird sie vielleicht die Luftdurchströmung wecken; wird etwa sein, als ob man einen großen Fluß durch¬ leitete. -- Doch gewiß langsam.
Halten sich in ihrer Selbstliebe für besonders ehrlich, solid, reell -- während es mit der Gewissenhaftigkeit in Handel und Wandel, im Handwerk um kein Haar besser steht als irgendwo in unserer Zeit. Herrschend selbst in Städten, lang sogar in der Hauptstadt, lumpiger, fünf Zoll dicker Holzriegelbau, Nomadenzelte. Von diesen gefälschten Mauern muß ein Geist der Unsolidität in alle Geschäfte ausströmen. -- Hören gern: "biedre Schwa¬ ben". Der wahre Biedermann wird aber die Bieder¬ keit haben, dieß Prädikat nicht anzunehmen, weil es klingt, als ob die Leute anderswo nicht bieder wären.
Das viele Talent sichtbar in viel Humor. Aber dieser Humor öfters in's Kleine, eng Lokale verkräuselt. Lach- und Spottneigung; gefährlich, kehrt sich leicht gegen wahres wie gegen falsches Pathos. Spottlust dadurch etwas entschuldigt, daß man sie selbst viel verspottet und doch viel mit Unrecht. Auch ihren Dialekt ver¬ spottet man oft ungerecht; unter all' seiner Unschönheit ist doch ein feiner Sprachsinn verborgen, ein Ohr, ein Nerv von viel Schärfe für Sprachfehler moderner
ſo wird ſie vielleicht die Luftdurchſtrömung wecken; wird etwa ſein, als ob man einen großen Fluß durch¬ leitete. — Doch gewiß langſam.
Halten ſich in ihrer Selbſtliebe für beſonders ehrlich, ſolid, reell — während es mit der Gewiſſenhaftigkeit in Handel und Wandel, im Handwerk um kein Haar beſſer ſteht als irgendwo in unſerer Zeit. Herrſchend ſelbſt in Städten, lang ſogar in der Hauptſtadt, lumpiger, fünf Zoll dicker Holzriegelbau, Nomadenzelte. Von dieſen gefälſchten Mauern muß ein Geiſt der Unſolidität in alle Geſchäfte ausſtrömen. — Hören gern: „biedre Schwa¬ ben“. Der wahre Biedermann wird aber die Bieder¬ keit haben, dieß Prädikat nicht anzunehmen, weil es klingt, als ob die Leute anderswo nicht bieder wären.
Das viele Talent ſichtbar in viel Humor. Aber dieſer Humor öfters in's Kleine, eng Lokale verkräuſelt. Lach- und Spottneigung; gefährlich, kehrt ſich leicht gegen wahres wie gegen falſches Pathos. Spottluſt dadurch etwas entſchuldigt, daß man ſie ſelbſt viel verſpottet und doch viel mit Unrecht. Auch ihren Dialekt ver¬ ſpottet man oft ungerecht; unter all' ſeiner Unſchönheit iſt doch ein feiner Sprachſinn verborgen, ein Ohr, ein Nerv von viel Schärfe für Sprachfehler moderner
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0257"n="244"/>ſo wird ſie vielleicht die Luftdurchſtrömung wecken;<lb/>
wird etwa ſein, als ob man einen großen Fluß durch¬<lb/>
leitete. — Doch gewiß langſam.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Halten ſich in ihrer Selbſtliebe für beſonders ehrlich,<lb/>ſolid, reell — während es mit der Gewiſſenhaftigkeit<lb/>
in Handel und Wandel, im Handwerk um kein Haar<lb/>
beſſer ſteht als irgendwo in unſerer Zeit. Herrſchend<lb/>ſelbſt in Städten, lang ſogar in der Hauptſtadt, lumpiger,<lb/>
fünf Zoll dicker Holzriegelbau, Nomadenzelte. Von dieſen<lb/>
gefälſchten Mauern muß ein Geiſt der Unſolidität in alle<lb/>
Geſchäfte ausſtrömen. — Hören gern: „biedre Schwa¬<lb/>
ben“. Der wahre Biedermann wird aber die Bieder¬<lb/>
keit haben, dieß Prädikat nicht anzunehmen, weil es<lb/>
klingt, als ob die Leute anderswo nicht bieder wären.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Das viele Talent ſichtbar in viel Humor. Aber<lb/>
dieſer Humor öfters in's Kleine, eng Lokale verkräuſelt.<lb/>
Lach- und Spottneigung; gefährlich, kehrt ſich leicht gegen<lb/>
wahres wie gegen falſches Pathos. Spottluſt dadurch<lb/>
etwas entſchuldigt, daß man ſie ſelbſt viel verſpottet<lb/>
und doch viel mit Unrecht. Auch ihren Dialekt ver¬<lb/>ſpottet man oft ungerecht; unter all' ſeiner Unſchönheit<lb/>
iſt doch ein feiner Sprachſinn verborgen, ein Ohr, ein<lb/>
Nerv von viel Schärfe für Sprachfehler moderner<lb/></p></div></body></text></TEI>
[244/0257]
ſo wird ſie vielleicht die Luftdurchſtrömung wecken;
wird etwa ſein, als ob man einen großen Fluß durch¬
leitete. — Doch gewiß langſam.
Halten ſich in ihrer Selbſtliebe für beſonders ehrlich,
ſolid, reell — während es mit der Gewiſſenhaftigkeit
in Handel und Wandel, im Handwerk um kein Haar
beſſer ſteht als irgendwo in unſerer Zeit. Herrſchend
ſelbſt in Städten, lang ſogar in der Hauptſtadt, lumpiger,
fünf Zoll dicker Holzriegelbau, Nomadenzelte. Von dieſen
gefälſchten Mauern muß ein Geiſt der Unſolidität in alle
Geſchäfte ausſtrömen. — Hören gern: „biedre Schwa¬
ben“. Der wahre Biedermann wird aber die Bieder¬
keit haben, dieß Prädikat nicht anzunehmen, weil es
klingt, als ob die Leute anderswo nicht bieder wären.
Das viele Talent ſichtbar in viel Humor. Aber
dieſer Humor öfters in's Kleine, eng Lokale verkräuſelt.
Lach- und Spottneigung; gefährlich, kehrt ſich leicht gegen
wahres wie gegen falſches Pathos. Spottluſt dadurch
etwas entſchuldigt, daß man ſie ſelbſt viel verſpottet
und doch viel mit Unrecht. Auch ihren Dialekt ver¬
ſpottet man oft ungerecht; unter all' ſeiner Unſchönheit
iſt doch ein feiner Sprachſinn verborgen, ein Ohr, ein
Nerv von viel Schärfe für Sprachfehler moderner
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/257>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.