beschlossen, heimlich gescheut zu sein. Will nichts heraus. Kein Zusammenleben, keine Gesellschaft -- denn verhockte Wirthshauskreise sind nicht Gesellschaft -- kein Gespräch. Man trifft freilich im kleinsten Winkel vereinzelt unterrichtete Menschen, wenn man sie anbohrt, oft und viel, -- guter Verstand überall. Aber kein Gespräch, will sagen, kein geselliges, ver¬ breitetes, Städte durchfliegendes Ventiliren neuer Dinge, die Jedermann interessiren. Kein warmes Wort, kein lebendiger Ideenstreit über neue Bücher, Theaterstücke, Kunstwerke, aufregende politische Ereignisse oder Fra¬ gen. Scheint mir auch verstockter Eigensinn zu Grund zu liegen. Machen Gesichter, die sagen: jetzt, weil Je¬ dermann davon spricht, weil alle Welt meint, davon müsse die Rede sein, jetzt gerade erst recht nicht. -- Sind übrigens auch fremdenscheu, fremdeln.
Auch Gutes in dieser Verstocktheit? Hassen windiger Volubilität? Flunkerhaften Leichtredens? Gewiß, und darin viel Recht. Begründeter, gerechter Widerwille gegen das Umsichwerfen mit vergriffener Sprachmünze bei so manchen Norddeutschen, gegen die Schwatz¬ virtuosität und Wohlweisheit des Berliners. -- Auch eine gewisse edle Scham, das Innere nur so geschwind herauszugeben? Selbstgefühl, das sich gegen Mode¬ lebtag sperrt? Ja, auch davon ein Korn, im Uebrigen
beſchloſſen, heimlich geſcheut zu ſein. Will nichts heraus. Kein Zuſammenleben, keine Geſellſchaft — denn verhockte Wirthshauskreiſe ſind nicht Geſellſchaft — kein Geſpräch. Man trifft freilich im kleinſten Winkel vereinzelt unterrichtete Menſchen, wenn man ſie anbohrt, oft und viel, — guter Verſtand überall. Aber kein Geſpräch, will ſagen, kein geſelliges, ver¬ breitetes, Städte durchfliegendes Ventiliren neuer Dinge, die Jedermann intereſſiren. Kein warmes Wort, kein lebendiger Ideenſtreit über neue Bücher, Theaterſtücke, Kunſtwerke, aufregende politiſche Ereigniſſe oder Fra¬ gen. Scheint mir auch verſtockter Eigenſinn zu Grund zu liegen. Machen Geſichter, die ſagen: jetzt, weil Je¬ dermann davon ſpricht, weil alle Welt meint, davon müſſe die Rede ſein, jetzt gerade erſt recht nicht. — Sind übrigens auch fremdenſcheu, fremdeln.
Auch Gutes in dieſer Verſtocktheit? Haſſen windiger Volubilität? Flunkerhaften Leichtredens? Gewiß, und darin viel Recht. Begründeter, gerechter Widerwille gegen das Umſichwerfen mit vergriffener Sprachmünze bei ſo manchen Norddeutſchen, gegen die Schwatz¬ virtuoſität und Wohlweisheit des Berliners. — Auch eine gewiſſe edle Scham, das Innere nur ſo geſchwind herauszugeben? Selbſtgefühl, das ſich gegen Mode¬ lebtag ſperrt? Ja, auch davon ein Korn, im Uebrigen
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beſchloſſen, heimlich geſcheut zu ſein. Will nichts
heraus. Kein Zuſammenleben, keine Geſellſchaft —
denn verhockte Wirthshauskreiſe ſind nicht Geſellſchaft
— kein Geſpräch. Man trifft freilich im kleinſten
Winkel vereinzelt unterrichtete Menſchen, wenn man
ſie anbohrt, oft und viel, — guter Verſtand überall.
Aber kein Geſpräch, will ſagen, kein geſelliges, ver¬
breitetes, Städte durchfliegendes Ventiliren neuer Dinge,
die Jedermann intereſſiren. Kein warmes Wort, kein
lebendiger Ideenſtreit über neue Bücher, Theaterſtücke,
Kunſtwerke, aufregende politiſche Ereigniſſe oder Fra¬
gen. Scheint mir auch verſtockter Eigenſinn zu Grund
zu liegen. Machen Geſichter, die ſagen: jetzt, weil Je¬
dermann davon ſpricht, weil alle Welt meint, davon
müſſe die Rede ſein, jetzt gerade erſt recht nicht. —
Sind übrigens auch fremdenſcheu, fremdeln.
Auch Gutes in dieſer Verſtocktheit? Haſſen windiger
Volubilität? Flunkerhaften Leichtredens? Gewiß, und
darin viel Recht. Begründeter, gerechter Widerwille
gegen das Umſichwerfen mit vergriffener Sprachmünze
bei ſo manchen Norddeutſchen, gegen die Schwatz¬
virtuoſität und Wohlweisheit des Berliners. — Auch
eine gewiſſe edle Scham, das Innere nur ſo geſchwind
herauszugeben? Selbſtgefühl, das ſich gegen Mode¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/255>, abgerufen am 24.11.2024.
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