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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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vom Mord herauskommt, die Axt auf der Schulter,
den Bluttropfen auf der Stirn -- wie grausig groß!
-- Plötzlich weggeworfen, weil mir -- ein Weib ein¬
fiel, das ich mir so denken könnte. Mich ermannt,
wieder gelesen und nun frei im Elemente des Großen.


Möchtest du es zum großen Styl bringen in der
Kunst, in der Dichtung? Ich weiß dir ein Rezept
dazu: habe eine große Seele. Wenn man's nur in
der Apotheke bestellen könnte!

Es kommt Alles darauf an, ob Einer ein Kerl ist,
das heißt, ob er Kaliber hat. Wie viele hübsche Sachen
bringt Tieck! Er hat Geist, Witz, viel bildliche Er¬
findung, Anmuth, schwebendes Spiel, aber er hat kein
Kaliber und so ist er doch eigentlich nicht unsterblich
geworden. Die Zeit ist eben eine starke Worfelschaufel.

Uebrigens führt das zu schweren Fragen. Die
Formalisten werden sagen: gut, so kommt bei den
Künstlern, Dichtern, die Größe haben, zum ästhetischen
Werth ein zweiter, ein ethischer, hinzu. Aber ich bitte!
Die innere Wucht in der Seele der großen Künstler
hat ja doch eben die Formen selbst gestreckt! Das
Große ist doch nicht neben den Formen! Also handelt
es sich doch um eine völlige Einheit zweier Dinge:
"der Gehalt in deinem Busen und die Form in deinem
Geist." Oder vielmehr dieses Wort Goethe's ist selbst

vom Mord herauskommt, die Axt auf der Schulter,
den Bluttropfen auf der Stirn — wie grauſig groß!
— Plötzlich weggeworfen, weil mir — ein Weib ein¬
fiel, das ich mir ſo denken könnte. Mich ermannt,
wieder geleſen und nun frei im Elemente des Großen.


Möchteſt du es zum großen Styl bringen in der
Kunſt, in der Dichtung? Ich weiß dir ein Rezept
dazu: habe eine große Seele. Wenn man's nur in
der Apotheke beſtellen könnte!

Es kommt Alles darauf an, ob Einer ein Kerl iſt,
das heißt, ob er Kaliber hat. Wie viele hübſche Sachen
bringt Tieck! Er hat Geiſt, Witz, viel bildliche Er¬
findung, Anmuth, ſchwebendes Spiel, aber er hat kein
Kaliber und ſo iſt er doch eigentlich nicht unſterblich
geworden. Die Zeit iſt eben eine ſtarke Worfelſchaufel.

Uebrigens führt das zu ſchweren Fragen. Die
Formaliſten werden ſagen: gut, ſo kommt bei den
Künſtlern, Dichtern, die Größe haben, zum äſthetiſchen
Werth ein zweiter, ein ethiſcher, hinzu. Aber ich bitte!
Die innere Wucht in der Seele der großen Künſtler
hat ja doch eben die Formen ſelbſt geſtreckt! Das
Große iſt doch nicht neben den Formen! Alſo handelt
es ſich doch um eine völlige Einheit zweier Dinge:
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[239/0252] vom Mord herauskommt, die Axt auf der Schulter, den Bluttropfen auf der Stirn — wie grauſig groß! — Plötzlich weggeworfen, weil mir — ein Weib ein¬ fiel, das ich mir ſo denken könnte. Mich ermannt, wieder geleſen und nun frei im Elemente des Großen. Möchteſt du es zum großen Styl bringen in der Kunſt, in der Dichtung? Ich weiß dir ein Rezept dazu: habe eine große Seele. Wenn man's nur in der Apotheke beſtellen könnte! Es kommt Alles darauf an, ob Einer ein Kerl iſt, das heißt, ob er Kaliber hat. Wie viele hübſche Sachen bringt Tieck! Er hat Geiſt, Witz, viel bildliche Er¬ findung, Anmuth, ſchwebendes Spiel, aber er hat kein Kaliber und ſo iſt er doch eigentlich nicht unſterblich geworden. Die Zeit iſt eben eine ſtarke Worfelſchaufel. Uebrigens führt das zu ſchweren Fragen. Die Formaliſten werden ſagen: gut, ſo kommt bei den Künſtlern, Dichtern, die Größe haben, zum äſthetiſchen Werth ein zweiter, ein ethiſcher, hinzu. Aber ich bitte! Die innere Wucht in der Seele der großen Künſtler hat ja doch eben die Formen ſelbſt geſtreckt! Das Große iſt doch nicht neben den Formen! Alſo handelt es ſich doch um eine völlige Einheit zweier Dinge: „der Gehalt in deinem Buſen und die Form in deinem Geiſt.“ Oder vielmehr dieſes Wort Goethe's iſt ſelbſt

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/252>, abgerufen am 24.11.2024.