ort als erfolgt mit Wahrscheinlichkeit annehmen lasse, telegraphiren werde. Der Vorfall machte mir Spaß, wohlgestimmt reiste ich weiter; allein die Zufriedenheit hielt nicht lange vor, eine Unruhe kam über mich; du mußt hin, sagte ich mir, eine Dummheit wär's, sich länger an die Schrulle eines Eigensinnigen binden; naturwidrig, barbarisch ist's, daß man sich nicht mehr sehen soll. Ich entschloß mich und wollte, wieder zu Haus angekommen, ungesäumt aufbrechen. Allein ich konnte mich so schnell nicht losmachen. Der Krieg hatte seine blutige Arbeit begonnen, nahe Verwandte hatten Söhne im Feld, Schlag auf Schlag folgten sich die großen, mörderischen Schlachten, es gab zu Hause gar viel zu thun für Pflege der Verwundeten, für Sanitäts¬ züge, ich durfte, ich konnte mich von meinen nächsten Umgebungen nicht trennen. Endlich kam der Schicksals¬ tag von Sedan. Die Hoffnung auf das Ende des Kriegs konnte ich zwar nicht theilen, aber eine Pause mußte folgen, ich glaubte mich auf einige Tage frei machen zu dürfen und fuhr ab.
Auf der Station, wo der erzählte Vorfall spielte, setzte ich einen Zug aus und fragte an, ob die Sachen abgegangen und Nachricht von ihrer Ankunft einge¬ troffen sei. Der Beamte zeigte mir den Empfang¬ schein und ich erkannte mit dem ersten Blick die Hand¬ schrift. Man kann sich denken, daß ich mich doch nicht wenig gespannt fühlte, als der Zug am folgenden
ort als erfolgt mit Wahrſcheinlichkeit annehmen laſſe, telegraphiren werde. Der Vorfall machte mir Spaß, wohlgeſtimmt reiſte ich weiter; allein die Zufriedenheit hielt nicht lange vor, eine Unruhe kam über mich; du mußt hin, ſagte ich mir, eine Dummheit wär's, ſich länger an die Schrulle eines Eigenſinnigen binden; naturwidrig, barbariſch iſt's, daß man ſich nicht mehr ſehen ſoll. Ich entſchloß mich und wollte, wieder zu Haus angekommen, ungeſäumt aufbrechen. Allein ich konnte mich ſo ſchnell nicht losmachen. Der Krieg hatte ſeine blutige Arbeit begonnen, nahe Verwandte hatten Söhne im Feld, Schlag auf Schlag folgten ſich die großen, mörderiſchen Schlachten, es gab zu Hauſe gar viel zu thun für Pflege der Verwundeten, für Sanitäts¬ züge, ich durfte, ich konnte mich von meinen nächſten Umgebungen nicht trennen. Endlich kam der Schickſals¬ tag von Sedan. Die Hoffnung auf das Ende des Kriegs konnte ich zwar nicht theilen, aber eine Pauſe mußte folgen, ich glaubte mich auf einige Tage frei machen zu dürfen und fuhr ab.
Auf der Station, wo der erzählte Vorfall ſpielte, ſetzte ich einen Zug aus und fragte an, ob die Sachen abgegangen und Nachricht von ihrer Ankunft einge¬ troffen ſei. Der Beamte zeigte mir den Empfang¬ ſchein und ich erkannte mit dem erſten Blick die Hand¬ ſchrift. Man kann ſich denken, daß ich mich doch nicht wenig geſpannt fühlte, als der Zug am folgenden
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[9/0022]
ort als erfolgt mit Wahrſcheinlichkeit annehmen laſſe,
telegraphiren werde. Der Vorfall machte mir Spaß,
wohlgeſtimmt reiſte ich weiter; allein die Zufriedenheit
hielt nicht lange vor, eine Unruhe kam über mich;
du mußt hin, ſagte ich mir, eine Dummheit wär's,
ſich länger an die Schrulle eines Eigenſinnigen binden;
naturwidrig, barbariſch iſt's, daß man ſich nicht mehr
ſehen ſoll. Ich entſchloß mich und wollte, wieder zu
Haus angekommen, ungeſäumt aufbrechen. Allein ich
konnte mich ſo ſchnell nicht losmachen. Der Krieg hatte
ſeine blutige Arbeit begonnen, nahe Verwandte hatten
Söhne im Feld, Schlag auf Schlag folgten ſich die
großen, mörderiſchen Schlachten, es gab zu Hauſe gar
viel zu thun für Pflege der Verwundeten, für Sanitäts¬
züge, ich durfte, ich konnte mich von meinen nächſten
Umgebungen nicht trennen. Endlich kam der Schickſals¬
tag von Sedan. Die Hoffnung auf das Ende des
Kriegs konnte ich zwar nicht theilen, aber eine Pauſe
mußte folgen, ich glaubte mich auf einige Tage frei
machen zu dürfen und fuhr ab.
Auf der Station, wo der erzählte Vorfall ſpielte,
ſetzte ich einen Zug aus und fragte an, ob die Sachen
abgegangen und Nachricht von ihrer Ankunft einge¬
troffen ſei. Der Beamte zeigte mir den Empfang¬
ſchein und ich erkannte mit dem erſten Blick die Hand¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/22>, abgerufen am 21.11.2024.
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