entdecken; ,Nichts, nichts!' hört er ihn hauchen. Er läßt vorerst von ihm ab, denn ohne Verzug muß er¬ kundet werden, was im Hause geschehen ist. Erik tritt rasch ein, sieht eine Thüre offen, aus welcher Helle dringt, und im Zimmer eine weibliche Gestalt am Boden liegen; eine Dienerin ist um sie beschäftigt, Erik bemerkt einen Dolch am Boden und ruft: "Hier ist ein Mord geschehen!" Bei diesem Laut erwacht die Hingestreckte und stöhnt: "Kein Mord! kein Mord! Schweigen! Um Gottes willen, geheim halten!" Die Dienerin stottert hervor, sie sei dem Hineinstürmenden nachgedrungen, habe noch gesehen, wie er unter wilden Ausrufungen, die sie nicht verstanden, der Herrin einen Dolch an den Kopf schleuderte, dann sei er fortgestürzt. Erik nahm den Dolch auf, es war kein Blut an der Klinge, aber mit Grausen warf er ihn weit von sich, als er näher hingesehen hatte. An der Stirn der Dame glaubte er eine kleine Ritzwunde zu bemerken. Er eilt nun, sich des Ohnmächtigen anzunehmen, bringt ihn durch Benetzen mit kaltem Wasser aus dem nahen Brunnen zu sich und schafft ihn, halb führend, halb tragend, in seine nahe Wohnung, wo er, ent¬ kleidet, auf ein Bett gelegt, verworrene und doch nur zu verständliche Worte fiebernd herauszustoßen beginnt. ,Unter die Erde verschlüpft, Plato? -- Man findet dich!' -- Hier fieng er an mit den Händen Be¬ wegungen zu machen, als hiebe und scharrte er mit
entdecken; ‚Nichts, nichts!' hört er ihn hauchen. Er läßt vorerſt von ihm ab, denn ohne Verzug muß er¬ kundet werden, was im Hauſe geſchehen iſt. Erik tritt raſch ein, ſieht eine Thüre offen, aus welcher Helle dringt, und im Zimmer eine weibliche Geſtalt am Boden liegen; eine Dienerin iſt um ſie beſchäftigt, Erik bemerkt einen Dolch am Boden und ruft: „Hier iſt ein Mord geſchehen!“ Bei dieſem Laut erwacht die Hingeſtreckte und ſtöhnt: „Kein Mord! kein Mord! Schweigen! Um Gottes willen, geheim halten!“ Die Dienerin ſtottert hervor, ſie ſei dem Hineinſtürmenden nachgedrungen, habe noch geſehen, wie er unter wilden Ausrufungen, die ſie nicht verſtanden, der Herrin einen Dolch an den Kopf ſchleuderte, dann ſei er fortgeſtürzt. Erik nahm den Dolch auf, es war kein Blut an der Klinge, aber mit Grauſen warf er ihn weit von ſich, als er näher hingeſehen hatte. An der Stirn der Dame glaubte er eine kleine Ritzwunde zu bemerken. Er eilt nun, ſich des Ohnmächtigen anzunehmen, bringt ihn durch Benetzen mit kaltem Waſſer aus dem nahen Brunnen zu ſich und ſchafft ihn, halb führend, halb tragend, in ſeine nahe Wohnung, wo er, ent¬ kleidet, auf ein Bett gelegt, verworrene und doch nur zu verſtändliche Worte fiebernd herauszuſtoßen beginnt. ‚Unter die Erde verſchlüpft, Plato? — Man findet dich!' — Hier fieng er an mit den Händen Be¬ wegungen zu machen, als hiebe und ſcharrte er mit
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entdecken; ‚Nichts, nichts!' hört er ihn hauchen. Er
läßt vorerſt von ihm ab, denn ohne Verzug muß er¬
kundet werden, was im Hauſe geſchehen iſt. Erik tritt
raſch ein, ſieht eine Thüre offen, aus welcher Helle
dringt, und im Zimmer eine weibliche Geſtalt am
Boden liegen; eine Dienerin iſt um ſie beſchäftigt,
Erik bemerkt einen Dolch am Boden und ruft: „Hier
iſt ein Mord geſchehen!“ Bei dieſem Laut erwacht die
Hingeſtreckte und ſtöhnt: „Kein Mord! kein Mord!
Schweigen! Um Gottes willen, geheim halten!“ Die
Dienerin ſtottert hervor, ſie ſei dem Hineinſtürmenden
nachgedrungen, habe noch geſehen, wie er unter wilden
Ausrufungen, die ſie nicht verſtanden, der Herrin einen
Dolch an den Kopf ſchleuderte, dann ſei er fortgeſtürzt.
Erik nahm den Dolch auf, es war kein Blut an der
Klinge, aber mit Grauſen warf er ihn weit von ſich,
als er näher hingeſehen hatte. An der Stirn der
Dame glaubte er eine kleine Ritzwunde zu bemerken.
Er eilt nun, ſich des Ohnmächtigen anzunehmen,
bringt ihn durch Benetzen mit kaltem Waſſer aus dem
nahen Brunnen zu ſich und ſchafft ihn, halb führend,
halb tragend, in ſeine nahe Wohnung, wo er, ent¬
kleidet, auf ein Bett gelegt, verworrene und doch nur
zu verſtändliche Worte fiebernd herauszuſtoßen beginnt.
‚Unter die Erde verſchlüpft, Plato? — Man findet
dich!' — Hier fieng er an mit den Händen Be¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/212>, abgerufen am 24.11.2024.
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