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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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er aber keine rechte Entrüstung, keinen Zornstoß. "Thö¬
richt, auf Bess'rung der Thoren zu hoffen" -- "haltet
die Narren eben für Narren auch, wie sich geziemt" --
Aber was sagt er von Schiller?

"Es glühte seine Wange roth und röther
Von jenem Feuer, das uns nie verfliegt,
Von jener Glut, die früher oder später
Den Widerstand der dumpfen Welt besiegt."

Goethe war in diesem Sinn zu früh objektiv. Der
Dichter soll freilich auch das Schlechte, Dumpfe, Böse
ganz objektiv geben, dennoch soll man ihm anspüren,
daß er es haßt, daß ein Grimm dagegen in ihm kocht.


Gestern ein Gespräch mit einem Dichter von großem
Talent. Der glaubt an Fernsehen, Fernwirken, Geister.
Erzählt mir als ganz beglaubigt eine Geschichte von
einem adeligen Schloß, wo irgend eine Ahnfrau, deren
Bild im Saale hängt, alle Abend zum Essen erscheint
und hinsitzt. "Das ist ein langweiliger und imperti¬
nenter Geist," sage ich; "der Geist Banquo's, der
weiß, warum er kommt; ein Geist darf erscheinen,
wenn ihn ein Dichter brauchen kann; Punktum." --
Es that mir besonders leid, weil es ein Poet ist. Die
Poesie läßt nicht nur in Erfindung von Handlungen,
Begebenheiten, sondern in jedem gefühlten und stim¬
mungsvollen Einzelbilde die Kräfte der Seele und der

er aber keine rechte Entrüſtung, keinen Zornſtoß. „Thö¬
richt, auf Beſſ'rung der Thoren zu hoffen“ — „haltet
die Narren eben für Narren auch, wie ſich geziemt“ —
Aber was ſagt er von Schiller?

„Es glühte ſeine Wange roth und röther
Von jenem Feuer, das uns nie verfliegt,
Von jener Glut, die früher oder ſpäter
Den Widerſtand der dumpfen Welt beſiegt.“

Goethe war in dieſem Sinn zu früh objektiv. Der
Dichter ſoll freilich auch das Schlechte, Dumpfe, Böſe
ganz objektiv geben, dennoch ſoll man ihm anſpüren,
daß er es haßt, daß ein Grimm dagegen in ihm kocht.


Geſtern ein Geſpräch mit einem Dichter von großem
Talent. Der glaubt an Fernſehen, Fernwirken, Geiſter.
Erzählt mir als ganz beglaubigt eine Geſchichte von
einem adeligen Schloß, wo irgend eine Ahnfrau, deren
Bild im Saale hängt, alle Abend zum Eſſen erſcheint
und hinſitzt. „Das iſt ein langweiliger und imperti¬
nenter Geiſt,“ ſage ich; „der Geiſt Banquo's, der
weiß, warum er kommt; ein Geiſt darf erſcheinen,
wenn ihn ein Dichter brauchen kann; Punktum.“ —
Es that mir beſonders leid, weil es ein Poet iſt. Die
Poeſie läßt nicht nur in Erfindung von Handlungen,
Begebenheiten, ſondern in jedem gefühlten und ſtim¬
mungsvollen Einzelbilde die Kräfte der Seele und der

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[123/0136] er aber keine rechte Entrüſtung, keinen Zornſtoß. „Thö¬ richt, auf Beſſ'rung der Thoren zu hoffen“ — „haltet die Narren eben für Narren auch, wie ſich geziemt“ — Aber was ſagt er von Schiller? „Es glühte ſeine Wange roth und röther Von jenem Feuer, das uns nie verfliegt, Von jener Glut, die früher oder ſpäter Den Widerſtand der dumpfen Welt beſiegt.“ Goethe war in dieſem Sinn zu früh objektiv. Der Dichter ſoll freilich auch das Schlechte, Dumpfe, Böſe ganz objektiv geben, dennoch ſoll man ihm anſpüren, daß er es haßt, daß ein Grimm dagegen in ihm kocht. Geſtern ein Geſpräch mit einem Dichter von großem Talent. Der glaubt an Fernſehen, Fernwirken, Geiſter. Erzählt mir als ganz beglaubigt eine Geſchichte von einem adeligen Schloß, wo irgend eine Ahnfrau, deren Bild im Saale hängt, alle Abend zum Eſſen erſcheint und hinſitzt. „Das iſt ein langweiliger und imperti¬ nenter Geiſt,“ ſage ich; „der Geiſt Banquo's, der weiß, warum er kommt; ein Geiſt darf erſcheinen, wenn ihn ein Dichter brauchen kann; Punktum.“ — Es that mir beſonders leid, weil es ein Poet iſt. Die Poeſie läßt nicht nur in Erfindung von Handlungen, Begebenheiten, ſondern in jedem gefühlten und ſtim¬ mungsvollen Einzelbilde die Kräfte der Seele und der

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/136>, abgerufen am 24.11.2024.