ziehen gemußt, stellt er sich an's Fenster und spricht, in den Regenhimmel hinaufblickend: "dir geh' ich noch mehr zum Abendmahl!"
Um Gottes willen, mein kleiner Finger jückt, linkes Auge glüht, Nasenzipfel brennt -- es kommt ein neuer!
Zum Trost einen Hund gekauft, junger zottiger Dachs; seltener Schlag. Heißt Igelmeyer. Neulich sagt des Oberrichters Sohn: "Gelt, Vater, ohne Hund wär's doch nix auf der Welt." Gut! Wahr!
Dieser Nihilismus und Pessimismus ist eigentlich Spätprodukt der Romantik, Erscheinung ihres Zer¬ setzungsprozesses, Schopenhauer ist Heine in der Philo¬ sophie. Mit Abzug natürlich; der Philosoph ernster, trauriger. Herkunft der Romantik vom Idealismus. Der verlangte von der Welt mehr, als sie sein kann, forderte überspannt. Nun Weltschmerz, Zerrissenheit. Dann Blasirtheit. Diese nimmt jetzt philosophische Form an: es ist Alles nichts. Doch Vieles wahr, viel Recht gegen erbauliche Illusionen. Hauptfehler: Sie erkennen ganz, wie schlecht es neben so viel
Vischer, Auch Einer. II. 8
ziehen gemußt, ſtellt er ſich an's Fenſter und ſpricht, in den Regenhimmel hinaufblickend: „dir geh' ich noch mehr zum Abendmahl!“
Um Gottes willen, mein kleiner Finger jückt, linkes Auge glüht, Naſenzipfel brennt — es kommt ein neuer!
Zum Troſt einen Hund gekauft, junger zottiger Dachs; ſeltener Schlag. Heißt Igelmeyer. Neulich ſagt des Oberrichters Sohn: „Gelt, Vater, ohne Hund wär's doch nix auf der Welt.“ Gut! Wahr!
Dieſer Nihilismus und Peſſimismus iſt eigentlich Spätprodukt der Romantik, Erſcheinung ihres Zer¬ ſetzungsprozeſſes, Schopenhauer iſt Heine in der Philo¬ ſophie. Mit Abzug natürlich; der Philoſoph ernſter, trauriger. Herkunft der Romantik vom Idealismus. Der verlangte von der Welt mehr, als ſie ſein kann, forderte überſpannt. Nun Weltſchmerz, Zerriſſenheit. Dann Blaſirtheit. Dieſe nimmt jetzt philoſophiſche Form an: es iſt Alles nichts. Doch Vieles wahr, viel Recht gegen erbauliche Illuſionen. Hauptfehler: Sie erkennen ganz, wie ſchlecht es neben ſo viel
Viſcher, Auch Einer. II. 8
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0126"n="113"/>
ziehen gemußt, ſtellt er ſich an's Fenſter und ſpricht,<lb/>
in den Regenhimmel hinaufblickend: „dir geh' ich noch<lb/>
mehr zum Abendmahl!“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Um Gottes willen, mein kleiner Finger jückt, linkes<lb/>
Auge glüht, Naſenzipfel brennt — es kommt ein<lb/>
neuer!</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Zum Troſt einen Hund gekauft, junger zottiger<lb/>
Dachs; ſeltener Schlag. Heißt Igelmeyer. Neulich<lb/>ſagt des Oberrichters Sohn: „Gelt, Vater, ohne Hund<lb/>
wär's doch nix auf der Welt.“ Gut! Wahr!</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Dieſer Nihilismus und Peſſimismus iſt eigentlich<lb/>
Spätprodukt der Romantik, Erſcheinung ihres Zer¬<lb/>ſetzungsprozeſſes, Schopenhauer iſt Heine in der Philo¬<lb/>ſophie. Mit Abzug natürlich; der Philoſoph ernſter,<lb/>
trauriger. Herkunft der Romantik vom Idealismus.<lb/>
Der verlangte von der Welt mehr, als ſie ſein kann,<lb/>
forderte überſpannt. Nun Weltſchmerz, Zerriſſenheit.<lb/>
Dann Blaſirtheit. Dieſe nimmt jetzt philoſophiſche<lb/>
Form an: es iſt Alles nichts. Doch Vieles wahr,<lb/>
viel Recht gegen erbauliche Illuſionen. Hauptfehler:<lb/>
Sie erkennen ganz, wie ſchlecht es neben ſo viel<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Viſcher</hi>, Auch Einer. <hirendition="#aq">II.</hi> 8<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[113/0126]
ziehen gemußt, ſtellt er ſich an's Fenſter und ſpricht,
in den Regenhimmel hinaufblickend: „dir geh' ich noch
mehr zum Abendmahl!“
Um Gottes willen, mein kleiner Finger jückt, linkes
Auge glüht, Naſenzipfel brennt — es kommt ein
neuer!
Zum Troſt einen Hund gekauft, junger zottiger
Dachs; ſeltener Schlag. Heißt Igelmeyer. Neulich
ſagt des Oberrichters Sohn: „Gelt, Vater, ohne Hund
wär's doch nix auf der Welt.“ Gut! Wahr!
Dieſer Nihilismus und Peſſimismus iſt eigentlich
Spätprodukt der Romantik, Erſcheinung ihres Zer¬
ſetzungsprozeſſes, Schopenhauer iſt Heine in der Philo¬
ſophie. Mit Abzug natürlich; der Philoſoph ernſter,
trauriger. Herkunft der Romantik vom Idealismus.
Der verlangte von der Welt mehr, als ſie ſein kann,
forderte überſpannt. Nun Weltſchmerz, Zerriſſenheit.
Dann Blaſirtheit. Dieſe nimmt jetzt philoſophiſche
Form an: es iſt Alles nichts. Doch Vieles wahr,
viel Recht gegen erbauliche Illuſionen. Hauptfehler:
Sie erkennen ganz, wie ſchlecht es neben ſo viel
Viſcher, Auch Einer. II. 8
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/126>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.