Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich nahm herzlichen Abschied von den guten Leuten
und machte mich auf den Weg, um in Wasen zu über¬
nachten. Unweit des Dorfes fuhr ein Wagen an mir
vorüber, in welchem ich den würdigen alten Herrn
und die zwei Knaben zu erkennen glaubte, die ich einst
in Bürglen an der Tafel getroffen hatte. Es war
an einer Steigung, der Wagen fuhr langsam. Ich
bemerkte, wie die Knaben, nachdem sie aufmerksam
nach mir hergesehen, dem Alten etwas zuflüsterten.
Er ließ halten und fragte mich höflich, ob er nicht im
Spätsommer 1865 das Vergnügen gehabt, mich in
Bürglen an der Tafel zu treffen; er sagte, er erinnere
sich zwar nicht, daß ich damals an der Unterhaltung
theilgenommen hätte, wohl aber, daß ich Herrn Einhart
halb fremd, halb wie ein Bekannter gegrüßt. Er bot mir
an, einzusteigen, ich schlug höflich ab; er mochte mir
aber anmerken, daß ich zwischen Unlust, zu fahren, und
Drang, ihn zu sprechen, im Kampfe stand, und fuhr
fort: "Wir füttern in Wasen die Pferde, werden eine
starke Stunde verweilen; könnten wir uns dort sprechen?"
Ich bejahte gern. Wasen war bald erreicht. Herr
Mac-Carmon, so hatte er sich mir vorgestellt, kam mir
entgegen; schnell war unser Gespräch im Fluß, und
schmerzvoll theilte er mir mit, er sei auf dem Rückwege
nach Schottland von Italien; er habe sich schwer vom
Grabe seiner Tochter getrennt, der ihr Mann, ein
schwedischer Arzt, sieben Jahre im Tode vorangegangen

Ich nahm herzlichen Abſchied von den guten Leuten
und machte mich auf den Weg, um in Waſen zu über¬
nachten. Unweit des Dorfes fuhr ein Wagen an mir
vorüber, in welchem ich den würdigen alten Herrn
und die zwei Knaben zu erkennen glaubte, die ich einſt
in Bürglen an der Tafel getroffen hatte. Es war
an einer Steigung, der Wagen fuhr langſam. Ich
bemerkte, wie die Knaben, nachdem ſie aufmerkſam
nach mir hergeſehen, dem Alten etwas zuflüſterten.
Er ließ halten und fragte mich höflich, ob er nicht im
Spätſommer 1865 das Vergnügen gehabt, mich in
Bürglen an der Tafel zu treffen; er ſagte, er erinnere
ſich zwar nicht, daß ich damals an der Unterhaltung
theilgenommen hätte, wohl aber, daß ich Herrn Einhart
halb fremd, halb wie ein Bekannter gegrüßt. Er bot mir
an, einzuſteigen, ich ſchlug höflich ab; er mochte mir
aber anmerken, daß ich zwiſchen Unluſt, zu fahren, und
Drang, ihn zu ſprechen, im Kampfe ſtand, und fuhr
fort: „Wir füttern in Waſen die Pferde, werden eine
ſtarke Stunde verweilen; könnten wir uns dort ſprechen?“
Ich bejahte gern. Waſen war bald erreicht. Herr
Mac-Carmon, ſo hatte er ſich mir vorgeſtellt, kam mir
entgegen; ſchnell war unſer Geſpräch im Fluß, und
ſchmerzvoll theilte er mir mit, er ſei auf dem Rückwege
nach Schottland von Italien; er habe ſich ſchwer vom
Grabe ſeiner Tochter getrennt, der ihr Mann, ein
ſchwediſcher Arzt, ſieben Jahre im Tode vorangegangen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0116" n="103"/>
      <p>Ich nahm herzlichen Ab&#x017F;chied von den guten Leuten<lb/>
und machte mich auf den Weg, um in Wa&#x017F;en zu über¬<lb/>
nachten. Unweit des Dorfes fuhr ein Wagen an mir<lb/>
vorüber, in welchem ich den würdigen alten Herrn<lb/>
und die zwei Knaben zu erkennen glaubte, die ich ein&#x017F;t<lb/>
in Bürglen an der Tafel getroffen hatte. Es war<lb/>
an einer Steigung, der Wagen fuhr lang&#x017F;am. Ich<lb/>
bemerkte, wie die Knaben, nachdem &#x017F;ie aufmerk&#x017F;am<lb/>
nach mir herge&#x017F;ehen, dem Alten etwas zuflü&#x017F;terten.<lb/>
Er ließ halten und fragte mich höflich, ob er nicht im<lb/>
Spät&#x017F;ommer 1865 das Vergnügen gehabt, mich in<lb/>
Bürglen an der Tafel zu treffen; er &#x017F;agte, er erinnere<lb/>
&#x017F;ich zwar nicht, daß ich damals an der Unterhaltung<lb/>
theilgenommen hätte, wohl aber, daß ich Herrn Einhart<lb/>
halb fremd, halb wie ein Bekannter gegrüßt. Er bot mir<lb/>
an, einzu&#x017F;teigen, ich &#x017F;chlug höflich ab; er mochte mir<lb/>
aber anmerken, daß ich zwi&#x017F;chen Unlu&#x017F;t, zu fahren, und<lb/>
Drang, ihn zu &#x017F;prechen, im Kampfe &#x017F;tand, und fuhr<lb/>
fort: &#x201E;Wir füttern in Wa&#x017F;en die Pferde, werden eine<lb/>
&#x017F;tarke Stunde verweilen; könnten wir uns dort &#x017F;prechen?&#x201C;<lb/>
Ich bejahte gern. Wa&#x017F;en war bald erreicht. Herr<lb/>
Mac-Carmon, &#x017F;o hatte er &#x017F;ich mir vorge&#x017F;tellt, kam mir<lb/>
entgegen; &#x017F;chnell war un&#x017F;er Ge&#x017F;präch im Fluß, und<lb/>
&#x017F;chmerzvoll theilte er mir mit, er &#x017F;ei auf dem Rückwege<lb/>
nach Schottland von Italien; er habe &#x017F;ich &#x017F;chwer vom<lb/>
Grabe &#x017F;einer Tochter getrennt, der ihr Mann, ein<lb/>
&#x017F;chwedi&#x017F;cher Arzt, &#x017F;ieben Jahre im Tode vorangegangen<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0116] Ich nahm herzlichen Abſchied von den guten Leuten und machte mich auf den Weg, um in Waſen zu über¬ nachten. Unweit des Dorfes fuhr ein Wagen an mir vorüber, in welchem ich den würdigen alten Herrn und die zwei Knaben zu erkennen glaubte, die ich einſt in Bürglen an der Tafel getroffen hatte. Es war an einer Steigung, der Wagen fuhr langſam. Ich bemerkte, wie die Knaben, nachdem ſie aufmerkſam nach mir hergeſehen, dem Alten etwas zuflüſterten. Er ließ halten und fragte mich höflich, ob er nicht im Spätſommer 1865 das Vergnügen gehabt, mich in Bürglen an der Tafel zu treffen; er ſagte, er erinnere ſich zwar nicht, daß ich damals an der Unterhaltung theilgenommen hätte, wohl aber, daß ich Herrn Einhart halb fremd, halb wie ein Bekannter gegrüßt. Er bot mir an, einzuſteigen, ich ſchlug höflich ab; er mochte mir aber anmerken, daß ich zwiſchen Unluſt, zu fahren, und Drang, ihn zu ſprechen, im Kampfe ſtand, und fuhr fort: „Wir füttern in Waſen die Pferde, werden eine ſtarke Stunde verweilen; könnten wir uns dort ſprechen?“ Ich bejahte gern. Waſen war bald erreicht. Herr Mac-Carmon, ſo hatte er ſich mir vorgeſtellt, kam mir entgegen; ſchnell war unſer Geſpräch im Fluß, und ſchmerzvoll theilte er mir mit, er ſei auf dem Rückwege nach Schottland von Italien; er habe ſich ſchwer vom Grabe ſeiner Tochter getrennt, der ihr Mann, ein ſchwediſcher Arzt, ſieben Jahre im Tode vorangegangen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/116
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/116>, abgerufen am 25.11.2024.