über erhalten, aus welchem Boden ein Baum mit so krausgebogenen Aesten entsprungen, unter welchen Ein¬ flüssen er so knorrig und krumm gewachsen ist. Mir ziemt jedoch nicht, den Gedanken, die sich der Leser hierüber bilden mag, mit Schlüssen und Vermuthungen aus meiner Werkstatt vorzugreifen.
Sehr Vieles habe ich gestrichen, die Blätter könnten mit weit mehr Recht ein Tagebuch genannt werden, wenn ich allen Stoff aufgenommen hätte, was doch gewiß nicht zweckmäßig gewesen wäre. Ein Theil des¬ selben besteht aus einer Masse ganz trockener Notizen. Es sind in den Abschnitten, welche der Zeit der Amts¬ thätigkeit angehören, meist Vormerkungen für die Tages¬ aufgaben, man sieht in ein sehr pünktliches, gewissen¬ haftes Arbeiten hinein. Außerdem findet sich überall eine Menge äußerst kleinlichen Zeuges; A. E. zeichnet sich auf, wo man dieß und jenes Bagatell am besten kauft, z. B. Hemdknöpfe von richtigem Profil; für die Reisen besonders ist in dieser Richtung umständlich vorgesorgt; sehr wichtig wird überall die Frage nach guten Gasthöfen behandelt, und es läßt sich erkennen, daß A. E. ein bitterer Feind der Häuser war, die auf vornehmen, modernen Fuß eingerichtet sind, eifrig meidet er, was hotel heißt, und weilt dagegen gern, wo es noch in gutem patriarchalisch-gemüthlichem Style zugeht. Geräth er in ein Gasthaus der ersteren Klasse, so kann man die Zwischenbemerkung finden: "Einen nase¬
über erhalten, aus welchem Boden ein Baum mit ſo krausgebogenen Aeſten entſprungen, unter welchen Ein¬ flüſſen er ſo knorrig und krumm gewachſen iſt. Mir ziemt jedoch nicht, den Gedanken, die ſich der Leſer hierüber bilden mag, mit Schlüſſen und Vermuthungen aus meiner Werkſtatt vorzugreifen.
Sehr Vieles habe ich geſtrichen, die Blätter könnten mit weit mehr Recht ein Tagebuch genannt werden, wenn ich allen Stoff aufgenommen hätte, was doch gewiß nicht zweckmäßig geweſen wäre. Ein Theil des¬ ſelben beſteht aus einer Maſſe ganz trockener Notizen. Es ſind in den Abſchnitten, welche der Zeit der Amts¬ thätigkeit angehören, meiſt Vormerkungen für die Tages¬ aufgaben, man ſieht in ein ſehr pünktliches, gewiſſen¬ haftes Arbeiten hinein. Außerdem findet ſich überall eine Menge äußerſt kleinlichen Zeuges; A. E. zeichnet ſich auf, wo man dieß und jenes Bagatell am beſten kauft, z. B. Hemdknöpfe von richtigem Profil; für die Reiſen beſonders iſt in dieſer Richtung umſtändlich vorgeſorgt; ſehr wichtig wird überall die Frage nach guten Gaſthöfen behandelt, und es läßt ſich erkennen, daß A. E. ein bitterer Feind der Häuſer war, die auf vornehmen, modernen Fuß eingerichtet ſind, eifrig meidet er, was hôtel heißt, und weilt dagegen gern, wo es noch in gutem patriarchaliſch-gemüthlichem Style zugeht. Geräth er in ein Gaſthaus der erſteren Klaſſe, ſo kann man die Zwiſchenbemerkung finden: „Einen naſe¬
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über erhalten, aus welchem Boden ein Baum mit ſo
krausgebogenen Aeſten entſprungen, unter welchen Ein¬
flüſſen er ſo knorrig und krumm gewachſen iſt. Mir
ziemt jedoch nicht, den Gedanken, die ſich der Leſer
hierüber bilden mag, mit Schlüſſen und Vermuthungen
aus meiner Werkſtatt vorzugreifen.
Sehr Vieles habe ich geſtrichen, die Blätter könnten
mit weit mehr Recht ein Tagebuch genannt werden,
wenn ich allen Stoff aufgenommen hätte, was doch
gewiß nicht zweckmäßig geweſen wäre. Ein Theil des¬
ſelben beſteht aus einer Maſſe ganz trockener Notizen.
Es ſind in den Abſchnitten, welche der Zeit der Amts¬
thätigkeit angehören, meiſt Vormerkungen für die Tages¬
aufgaben, man ſieht in ein ſehr pünktliches, gewiſſen¬
haftes Arbeiten hinein. Außerdem findet ſich überall
eine Menge äußerſt kleinlichen Zeuges; A. E. zeichnet
ſich auf, wo man dieß und jenes Bagatell am beſten
kauft, z. B. Hemdknöpfe von richtigem Profil; für die
Reiſen beſonders iſt in dieſer Richtung umſtändlich
vorgeſorgt; ſehr wichtig wird überall die Frage nach
guten Gaſthöfen behandelt, und es läßt ſich erkennen,
daß A. E. ein bitterer Feind der Häuſer war, die
auf vornehmen, modernen Fuß eingerichtet ſind, eifrig
meidet er, was hôtel heißt, und weilt dagegen gern,
wo es noch in gutem patriarchaliſch-gemüthlichem Style
zugeht. Geräth er in ein Gaſthaus der erſteren Klaſſe,
ſo kann man die Zwiſchenbemerkung finden: „Einen naſe¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/101>, abgerufen am 23.11.2024.
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