um den Hals ein klingelndes Schellenband. Wir freuten uns des Anblicks. "Das Maulthier sucht im Nebel seinen Weg," zitirte ich. "Ja, wie wir Alle," sagte er, "nur stolpert es weniger."
Wir verfielen wieder in langes Schweigen, Jeder in sich vertieft und bei der Mühe unserer Bewegung doppelt wenig zum Sprechen aufgelegt. Die Straße war jetzt ganz menschenleer.
Indem wir so dahinschliechen, begegneten uns ein paar Kerle, verlumpte Gestalten, als Landstreicher leicht zu erkennen, gaben sich ein Zeichen, als sie uns sahen, und bettelten uns dann mit einem Tone an, der auch ohne die unheimliche Erläuterung durch die derben Stöcke, die sie führten, nicht mißzuverstehen war. Plötzlich war A. E. ganz verändert; bolz¬ gerad aufgerichtet, nicht mehr ein Hölderlin, sondern ganz Bild des persongewordenen Befehls, herrschte er die Strolche an, verhörte sie wie ihr gesetzlicher Richter nach Namen, Herkunft, Stand, kanzelte sie dann als Lumpen ab und schloß mit der Drohung, sie arretieren zu lassen, wenn sie ihm noch einmal unter Augen kämen. Sie standen überrascht und verschüchtert, doch zaudernd. Jetzt kommandirte A. E. mit lautem und straffem Stoß der Stimme: "Links um! Vorwärts marsch!" Es fuhr ihnen wie ein Blitz in die Beine und sie gehorchten. Ich sah recht, was die Persönlichkeit allein, auch ohne Machtmittel, durch das Gewicht des einfachen Im¬
um den Hals ein klingelndes Schellenband. Wir freuten uns des Anblicks. „Das Maulthier ſucht im Nebel ſeinen Weg,“ zitirte ich. „Ja, wie wir Alle,“ ſagte er, „nur ſtolpert es weniger.“
Wir verfielen wieder in langes Schweigen, Jeder in ſich vertieft und bei der Mühe unſerer Bewegung doppelt wenig zum Sprechen aufgelegt. Die Straße war jetzt ganz menſchenleer.
Indem wir ſo dahinſchliechen, begegneten uns ein paar Kerle, verlumpte Geſtalten, als Landſtreicher leicht zu erkennen, gaben ſich ein Zeichen, als ſie uns ſahen, und bettelten uns dann mit einem Tone an, der auch ohne die unheimliche Erläuterung durch die derben Stöcke, die ſie führten, nicht mißzuverſtehen war. Plötzlich war A. E. ganz verändert; bolz¬ gerad aufgerichtet, nicht mehr ein Hölderlin, ſondern ganz Bild des perſongewordenen Befehls, herrſchte er die Strolche an, verhörte ſie wie ihr geſetzlicher Richter nach Namen, Herkunft, Stand, kanzelte ſie dann als Lumpen ab und ſchloß mit der Drohung, ſie arretieren zu laſſen, wenn ſie ihm noch einmal unter Augen kämen. Sie ſtanden überraſcht und verſchüchtert, doch zaudernd. Jetzt kommandirte A. E. mit lautem und ſtraffem Stoß der Stimme: „Links um! Vorwärts marſch!“ Es fuhr ihnen wie ein Blitz in die Beine und ſie gehorchten. Ich ſah recht, was die Perſönlichkeit allein, auch ohne Machtmittel, durch das Gewicht des einfachen Im¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0093"n="80"/>
um den Hals ein klingelndes Schellenband. Wir<lb/>
freuten uns des Anblicks. „Das Maulthier ſucht im<lb/>
Nebel ſeinen Weg,“ zitirte ich. „Ja, wie wir Alle,“<lb/>ſagte er, „nur ſtolpert es weniger.“</p><lb/><p>Wir verfielen wieder in langes Schweigen, Jeder<lb/>
in ſich vertieft und bei der Mühe unſerer Bewegung<lb/>
doppelt wenig zum Sprechen aufgelegt. Die Straße<lb/>
war jetzt ganz menſchenleer.</p><lb/><p>Indem wir ſo dahinſchliechen, begegneten uns ein<lb/>
paar Kerle, verlumpte Geſtalten, als Landſtreicher<lb/>
leicht zu erkennen, gaben ſich ein Zeichen, als ſie uns<lb/>ſahen, und bettelten uns dann mit einem Tone an,<lb/>
der auch ohne die unheimliche Erläuterung durch die<lb/>
derben Stöcke, die ſie führten, nicht mißzuverſtehen<lb/>
war. Plötzlich war A. E. ganz verändert; bolz¬<lb/>
gerad aufgerichtet, nicht mehr ein Hölderlin, ſondern<lb/>
ganz Bild des perſongewordenen Befehls, herrſchte er<lb/>
die Strolche an, verhörte ſie wie ihr geſetzlicher Richter<lb/>
nach Namen, Herkunft, Stand, kanzelte ſie dann als<lb/>
Lumpen ab und ſchloß mit der Drohung, ſie arretieren<lb/>
zu laſſen, wenn ſie ihm noch einmal unter Augen kämen.<lb/>
Sie ſtanden überraſcht und verſchüchtert, doch zaudernd.<lb/>
Jetzt kommandirte A. E. mit lautem und ſtraffem Stoß<lb/>
der Stimme: „Links um! Vorwärts marſch!“ Es fuhr<lb/>
ihnen wie ein Blitz in die Beine und ſie gehorchten.<lb/>
Ich ſah recht, was die Perſönlichkeit allein, auch ohne<lb/>
Machtmittel, durch das Gewicht des einfachen Im¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[80/0093]
um den Hals ein klingelndes Schellenband. Wir
freuten uns des Anblicks. „Das Maulthier ſucht im
Nebel ſeinen Weg,“ zitirte ich. „Ja, wie wir Alle,“
ſagte er, „nur ſtolpert es weniger.“
Wir verfielen wieder in langes Schweigen, Jeder
in ſich vertieft und bei der Mühe unſerer Bewegung
doppelt wenig zum Sprechen aufgelegt. Die Straße
war jetzt ganz menſchenleer.
Indem wir ſo dahinſchliechen, begegneten uns ein
paar Kerle, verlumpte Geſtalten, als Landſtreicher
leicht zu erkennen, gaben ſich ein Zeichen, als ſie uns
ſahen, und bettelten uns dann mit einem Tone an,
der auch ohne die unheimliche Erläuterung durch die
derben Stöcke, die ſie führten, nicht mißzuverſtehen
war. Plötzlich war A. E. ganz verändert; bolz¬
gerad aufgerichtet, nicht mehr ein Hölderlin, ſondern
ganz Bild des perſongewordenen Befehls, herrſchte er
die Strolche an, verhörte ſie wie ihr geſetzlicher Richter
nach Namen, Herkunft, Stand, kanzelte ſie dann als
Lumpen ab und ſchloß mit der Drohung, ſie arretieren
zu laſſen, wenn ſie ihm noch einmal unter Augen kämen.
Sie ſtanden überraſcht und verſchüchtert, doch zaudernd.
Jetzt kommandirte A. E. mit lautem und ſtraffem Stoß
der Stimme: „Links um! Vorwärts marſch!“ Es fuhr
ihnen wie ein Blitz in die Beine und ſie gehorchten.
Ich ſah recht, was die Perſönlichkeit allein, auch ohne
Machtmittel, durch das Gewicht des einfachen Im¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/93>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.