Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

den rechten Oberarm lief. "Was ist denn aber das?"
fragte ich. -- "Ach," sagte er, "der Lümmel, der dänische
Dragoner bei Krusau -- still davon! Das Moralische
versteht sich immer von selbst!"

Ich richtete mich langsam auf, that ein paar
Schritte und fand, daß ich auch leidlich gehen konnte.
"Wir schleichen nach Göschenen hinunter," sagte er,
"kommen Sie." -- "Warum nicht lieber vorwärts nach
Andermatt?" -- "Nein, nein! dort sitzt es voll von
Fremden; drunten ist's still!" Mit unendlicher Mühe
wurden die Hindernisse bis zur Teufelsbrücke über¬
wunden; er schob, zog, hielt mich, während ich
weniger kletterte, als auf allen Vieren kroch. Endlich
war die geebnete Straße erreicht, er gab mir den ge¬
sunden Arm und mit langsamen Schritten begann
die nun etwas leichtere, doch immer noch schwierige
Wanderung. "Aber wie ist's denn gegangen?" fragte ich.
"Nun, ich hab' Sie auf einmal gesehen, wie Sie hiengen,
dann vorwärts klettern wollten. Wie ich herabgelangt
bin, das weiß der Himmel, ich nicht mehr. -- Sehen
Sie dort!" -- Er zeigte nach der Stelle. "Nicht ein
Pfad, nur ein Ritzenzug im Fels, der mir für Gemsen
zu ungangbar schien, -- es gelang mir, just noch im
rechten Augenblick unter Sie zu kommen, -- Sie
schreien -- gleiten mir an die Schulter, ich packe Sie,
-- und nun, dann sind wir eben miteinander herunter¬
gerumpelt, wie's zugieng, weiß ich eben auch nicht

den rechten Oberarm lief. „Was iſt denn aber das?“
fragte ich. — „Ach,“ ſagte er, „der Lümmel, der däniſche
Dragoner bei Kruſau — ſtill davon! Das Moraliſche
verſteht ſich immer von ſelbſt!“

Ich richtete mich langſam auf, that ein paar
Schritte und fand, daß ich auch leidlich gehen konnte.
„Wir ſchleichen nach Göſchenen hinunter,“ ſagte er,
„kommen Sie.“ — „Warum nicht lieber vorwärts nach
Andermatt?“ — „Nein, nein! dort ſitzt es voll von
Fremden; drunten iſt's ſtill!“ Mit unendlicher Mühe
wurden die Hinderniſſe bis zur Teufelsbrücke über¬
wunden; er ſchob, zog, hielt mich, während ich
weniger kletterte, als auf allen Vieren kroch. Endlich
war die geebnete Straße erreicht, er gab mir den ge¬
ſunden Arm und mit langſamen Schritten begann
die nun etwas leichtere, doch immer noch ſchwierige
Wanderung. „Aber wie iſt's denn gegangen?“ fragte ich.
„Nun, ich hab' Sie auf einmal geſehen, wie Sie hiengen,
dann vorwärts klettern wollten. Wie ich herabgelangt
bin, das weiß der Himmel, ich nicht mehr. — Sehen
Sie dort!“ — Er zeigte nach der Stelle. „Nicht ein
Pfad, nur ein Ritzenzug im Fels, der mir für Gemſen
zu ungangbar ſchien, — es gelang mir, juſt noch im
rechten Augenblick unter Sie zu kommen, — Sie
ſchreien — gleiten mir an die Schulter, ich packe Sie,
— und nun, dann ſind wir eben miteinander herunter¬
gerumpelt, wie's zugieng, weiß ich eben auch nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0091" n="78"/>
den rechten Oberarm lief. &#x201E;Was i&#x017F;t denn aber das?&#x201C;<lb/>
fragte ich. &#x2014; &#x201E;Ach,&#x201C; &#x017F;agte er, &#x201E;der Lümmel, der däni&#x017F;che<lb/>
Dragoner bei Kru&#x017F;au &#x2014; &#x017F;till davon! Das Morali&#x017F;che<lb/>
ver&#x017F;teht &#x017F;ich immer von &#x017F;elb&#x017F;t!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich richtete mich lang&#x017F;am auf, that ein paar<lb/>
Schritte und fand, daß ich auch leidlich gehen konnte.<lb/>
&#x201E;Wir &#x017F;chleichen nach Gö&#x017F;chenen hinunter,&#x201C; &#x017F;agte er,<lb/>
&#x201E;kommen Sie.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Warum nicht lieber vorwärts nach<lb/>
Andermatt?&#x201C; &#x2014; &#x201E;Nein, nein! dort &#x017F;itzt es voll von<lb/>
Fremden; drunten i&#x017F;t's &#x017F;till!&#x201C; Mit unendlicher Mühe<lb/>
wurden die Hinderni&#x017F;&#x017F;e bis zur Teufelsbrücke über¬<lb/>
wunden; er &#x017F;chob, zog, hielt mich, während ich<lb/>
weniger kletterte, als auf allen Vieren kroch. Endlich<lb/>
war die geebnete Straße erreicht, er gab mir den ge¬<lb/>
&#x017F;unden Arm und mit lang&#x017F;amen Schritten begann<lb/>
die nun etwas leichtere, doch immer noch &#x017F;chwierige<lb/>
Wanderung. &#x201E;Aber wie i&#x017F;t's denn gegangen?&#x201C; fragte ich.<lb/>
&#x201E;Nun, ich hab' Sie auf einmal ge&#x017F;ehen, wie Sie hiengen,<lb/>
dann vorwärts klettern wollten. Wie ich herabgelangt<lb/>
bin, das weiß der Himmel, ich nicht mehr. &#x2014; Sehen<lb/>
Sie dort!&#x201C; &#x2014; Er zeigte nach der Stelle. &#x201E;Nicht ein<lb/>
Pfad, nur ein Ritzenzug im Fels, der mir für Gem&#x017F;en<lb/>
zu ungangbar &#x017F;chien, &#x2014; es gelang mir, ju&#x017F;t noch im<lb/>
rechten Augenblick unter Sie zu kommen, &#x2014; Sie<lb/>
&#x017F;chreien &#x2014; gleiten mir an die Schulter, ich packe Sie,<lb/>
&#x2014; und nun, dann &#x017F;ind wir eben miteinander herunter¬<lb/>
gerumpelt, wie's zugieng, weiß ich eben auch nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0091] den rechten Oberarm lief. „Was iſt denn aber das?“ fragte ich. — „Ach,“ ſagte er, „der Lümmel, der däniſche Dragoner bei Kruſau — ſtill davon! Das Moraliſche verſteht ſich immer von ſelbſt!“ Ich richtete mich langſam auf, that ein paar Schritte und fand, daß ich auch leidlich gehen konnte. „Wir ſchleichen nach Göſchenen hinunter,“ ſagte er, „kommen Sie.“ — „Warum nicht lieber vorwärts nach Andermatt?“ — „Nein, nein! dort ſitzt es voll von Fremden; drunten iſt's ſtill!“ Mit unendlicher Mühe wurden die Hinderniſſe bis zur Teufelsbrücke über¬ wunden; er ſchob, zog, hielt mich, während ich weniger kletterte, als auf allen Vieren kroch. Endlich war die geebnete Straße erreicht, er gab mir den ge¬ ſunden Arm und mit langſamen Schritten begann die nun etwas leichtere, doch immer noch ſchwierige Wanderung. „Aber wie iſt's denn gegangen?“ fragte ich. „Nun, ich hab' Sie auf einmal geſehen, wie Sie hiengen, dann vorwärts klettern wollten. Wie ich herabgelangt bin, das weiß der Himmel, ich nicht mehr. — Sehen Sie dort!“ — Er zeigte nach der Stelle. „Nicht ein Pfad, nur ein Ritzenzug im Fels, der mir für Gemſen zu ungangbar ſchien, — es gelang mir, juſt noch im rechten Augenblick unter Sie zu kommen, — Sie ſchreien — gleiten mir an die Schulter, ich packe Sie, — und nun, dann ſind wir eben miteinander herunter¬ gerumpelt, wie's zugieng, weiß ich eben auch nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/91
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/91>, abgerufen am 05.12.2024.