unter meiner Fußspitze das schmale, kaum zollbreit ausgeladene Felsstückchen und unter der greifenden Hand der kleine Zacken -- ein Angstschrei -- ich fiel, ich verlor das Bewußtsein.
Ich erwachte und fand mich in A. E.'s Armen liegend hart am steilen Ufer der tosenden Reuß, nahe der Teufelsbrücke. Er goß mir mit der hohlen Hand eiskaltes Wasser über das Haupt. "Wie steht's?" Ich tastete an mir herum. "Suchen Sie sich zu bewegen!" Ich konnte es, nur in der rechten Hüfte und linken Schulter fühlte ich scharfe Schmerzen; er untersuchte und fand nur starke Schürfungen. Inzwischen sah ich, daß ihm selbst aus einem großen Riß im Rockärmel das Blut hervorschoß. Er zog den Rock aus, streifte den Hemdärmel auf und es zeigte sich eine lange Wunde, von einem großen Dorn oder scharfen Felszacken gerissen. Er wusch sich den Arm mit der niedertriefenden Gletschermilch einer Runse, an der wir uns befanden, und sagte: "Es ist nur eine Fleischwunde, aber verbinden!" Er stöberte in seinen Taschen und ich mußte in allem Elend einen Augen¬ blick lächeln, als neben zwei gebrauchten zwei unge¬ gebrauchte feine Leinwandnastücher zum Vorschein kamen. Ich half ihm den Verband anlegen und freute mich, des Gebrauchs meiner Hände fähig zu sein. Bei dieser Arbeit bemerkte ich eine lange große Narbe, welche, durchkreuzt von der frischen Wunde, schief über
unter meiner Fußſpitze das ſchmale, kaum zollbreit ausgeladene Felsſtückchen und unter der greifenden Hand der kleine Zacken — ein Angſtſchrei — ich fiel, ich verlor das Bewußtſein.
Ich erwachte und fand mich in A. E.'s Armen liegend hart am ſteilen Ufer der toſenden Reuß, nahe der Teufelsbrücke. Er goß mir mit der hohlen Hand eiskaltes Waſſer über das Haupt. „Wie ſteht's?“ Ich taſtete an mir herum. „Suchen Sie ſich zu bewegen!“ Ich konnte es, nur in der rechten Hüfte und linken Schulter fühlte ich ſcharfe Schmerzen; er unterſuchte und fand nur ſtarke Schürfungen. Inzwiſchen ſah ich, daß ihm ſelbſt aus einem großen Riß im Rockärmel das Blut hervorſchoß. Er zog den Rock aus, ſtreifte den Hemdärmel auf und es zeigte ſich eine lange Wunde, von einem großen Dorn oder ſcharfen Felszacken geriſſen. Er wuſch ſich den Arm mit der niedertriefenden Gletſchermilch einer Runſe, an der wir uns befanden, und ſagte: „Es iſt nur eine Fleiſchwunde, aber verbinden!“ Er ſtöberte in ſeinen Taſchen und ich mußte in allem Elend einen Augen¬ blick lächeln, als neben zwei gebrauchten zwei unge¬ gebrauchte feine Leinwandnastücher zum Vorſchein kamen. Ich half ihm den Verband anlegen und freute mich, des Gebrauchs meiner Hände fähig zu ſein. Bei dieſer Arbeit bemerkte ich eine lange große Narbe, welche, durchkreuzt von der friſchen Wunde, ſchief über
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0090"n="77"/>
unter meiner Fußſpitze das ſchmale, kaum zollbreit<lb/>
ausgeladene Felsſtückchen und unter der greifenden<lb/>
Hand der kleine Zacken — ein Angſtſchrei — ich fiel,<lb/>
ich verlor das Bewußtſein.</p><lb/><p>Ich erwachte und fand mich in A. E.'s Armen<lb/>
liegend hart am ſteilen Ufer der toſenden Reuß, nahe<lb/>
der Teufelsbrücke. Er goß mir mit der hohlen Hand<lb/>
eiskaltes Waſſer über das Haupt. „Wie ſteht's?“<lb/>
Ich taſtete an mir herum. „Suchen Sie ſich zu<lb/>
bewegen!“ Ich konnte es, nur in der rechten Hüfte<lb/>
und linken Schulter fühlte ich ſcharfe Schmerzen;<lb/>
er unterſuchte und fand nur ſtarke Schürfungen.<lb/>
Inzwiſchen ſah ich, daß ihm ſelbſt aus einem großen<lb/>
Riß im Rockärmel das Blut hervorſchoß. Er zog den<lb/>
Rock aus, ſtreifte den Hemdärmel auf und es zeigte<lb/>ſich eine lange Wunde, von einem großen Dorn oder<lb/>ſcharfen Felszacken geriſſen. Er wuſch ſich den Arm<lb/>
mit der niedertriefenden Gletſchermilch einer Runſe,<lb/>
an der wir uns befanden, und ſagte: „Es iſt nur eine<lb/>
Fleiſchwunde, aber verbinden!“ Er ſtöberte in ſeinen<lb/>
Taſchen und ich mußte in allem Elend einen Augen¬<lb/>
blick lächeln, als neben zwei gebrauchten zwei unge¬<lb/>
gebrauchte feine Leinwandnastücher zum Vorſchein<lb/>
kamen. Ich half ihm den Verband anlegen und freute<lb/>
mich, des Gebrauchs meiner Hände fähig zu ſein.<lb/>
Bei dieſer Arbeit bemerkte ich eine lange große Narbe,<lb/>
welche, durchkreuzt von der friſchen Wunde, ſchief über<lb/></p></div></body></text></TEI>
[77/0090]
unter meiner Fußſpitze das ſchmale, kaum zollbreit
ausgeladene Felsſtückchen und unter der greifenden
Hand der kleine Zacken — ein Angſtſchrei — ich fiel,
ich verlor das Bewußtſein.
Ich erwachte und fand mich in A. E.'s Armen
liegend hart am ſteilen Ufer der toſenden Reuß, nahe
der Teufelsbrücke. Er goß mir mit der hohlen Hand
eiskaltes Waſſer über das Haupt. „Wie ſteht's?“
Ich taſtete an mir herum. „Suchen Sie ſich zu
bewegen!“ Ich konnte es, nur in der rechten Hüfte
und linken Schulter fühlte ich ſcharfe Schmerzen;
er unterſuchte und fand nur ſtarke Schürfungen.
Inzwiſchen ſah ich, daß ihm ſelbſt aus einem großen
Riß im Rockärmel das Blut hervorſchoß. Er zog den
Rock aus, ſtreifte den Hemdärmel auf und es zeigte
ſich eine lange Wunde, von einem großen Dorn oder
ſcharfen Felszacken geriſſen. Er wuſch ſich den Arm
mit der niedertriefenden Gletſchermilch einer Runſe,
an der wir uns befanden, und ſagte: „Es iſt nur eine
Fleiſchwunde, aber verbinden!“ Er ſtöberte in ſeinen
Taſchen und ich mußte in allem Elend einen Augen¬
blick lächeln, als neben zwei gebrauchten zwei unge¬
gebrauchte feine Leinwandnastücher zum Vorſchein
kamen. Ich half ihm den Verband anlegen und freute
mich, des Gebrauchs meiner Hände fähig zu ſein.
Bei dieſer Arbeit bemerkte ich eine lange große Narbe,
welche, durchkreuzt von der friſchen Wunde, ſchief über
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/90>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.