die den Namen der Schöllenen trägt. "Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?" sang es in mir, als ich in die Biegung eintrat, welche die Straße bei dem genannten Dorf links nimmt, -- "in Höhlen wohnt der Drachen alte Brut -- es stürzt der Fels und über ihn die Flut." -- Die Phantasie läßt sich den Zwang nicht anthun, sich die Art, wie sich einst das Wasser diesen Weg bahnte, als einen Jahrhunderte, Jahrtausende dauernd langsamen Gang vorzustellen, sie muß sich den Durchbruch wie einen fürchterlichen stürmischen Gewaltakt denken, sie wirft sich selbst in's unwiderstehliche Element hinein, stürzt sich tobend mit ihm auf die trotzenden Riesen, zertrümmert sie, schleu¬ dert sich ihre ungeheuren Blöcke in den Weg und schäumt zornig zischend, brausend, brüllend über das selbstbereitete Hinderniß dahin.
Bei einer der Windungen des Weges bekam ich plötzlich einen Stoß, der mich fast zu Boden geworfen hätte. Auf Geiersittigen war jetzt der Föhn über das Joch herabgeschossen und schrie wüthend auf, da er sie an den stahlharten Felswänden zerstieß. Zwischen sein Aechzen, Pfeifen, Kreischen, Heulen mischten die klagenden, grollenden Wasser ihr Weinen, ihr Schelten, ihren Donner; es war, als sei die Hölle losgelassen. Die Sinne wurden betäubt, die Augen brannten in ihren Höhlen, es war, als siedete es mir in den Ohren, als wäre mir höllischer Schwefelbrodem durch alle
die den Namen der Schöllenen trägt. „Kennſt du den Berg und ſeinen Wolkenſteg?“ ſang es in mir, als ich in die Biegung eintrat, welche die Straße bei dem genannten Dorf links nimmt, — „in Höhlen wohnt der Drachen alte Brut — es ſtürzt der Fels und über ihn die Flut.“ — Die Phantaſie läßt ſich den Zwang nicht anthun, ſich die Art, wie ſich einſt das Waſſer dieſen Weg bahnte, als einen Jahrhunderte, Jahrtauſende dauernd langſamen Gang vorzuſtellen, ſie muß ſich den Durchbruch wie einen fürchterlichen ſtürmiſchen Gewaltakt denken, ſie wirft ſich ſelbſt in's unwiderſtehliche Element hinein, ſtürzt ſich tobend mit ihm auf die trotzenden Rieſen, zertrümmert ſie, ſchleu¬ dert ſich ihre ungeheuren Blöcke in den Weg und ſchäumt zornig ziſchend, brauſend, brüllend über das ſelbſtbereitete Hinderniß dahin.
Bei einer der Windungen des Weges bekam ich plötzlich einen Stoß, der mich faſt zu Boden geworfen hätte. Auf Geierſittigen war jetzt der Föhn über das Joch herabgeſchoſſen und ſchrie wüthend auf, da er ſie an den ſtahlharten Felswänden zerſtieß. Zwiſchen ſein Aechzen, Pfeifen, Kreiſchen, Heulen miſchten die klagenden, grollenden Waſſer ihr Weinen, ihr Schelten, ihren Donner; es war, als ſei die Hölle losgelaſſen. Die Sinne wurden betäubt, die Augen brannten in ihren Höhlen, es war, als ſiedete es mir in den Ohren, als wäre mir hölliſcher Schwefelbrodem durch alle
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0084"n="71"/>
die den Namen der Schöllenen trägt. „Kennſt du<lb/>
den Berg und ſeinen Wolkenſteg?“ſang es in mir,<lb/>
als ich in die Biegung eintrat, welche die Straße bei<lb/>
dem genannten Dorf links nimmt, —„in Höhlen<lb/>
wohnt der Drachen alte Brut — es ſtürzt der Fels<lb/>
und über ihn die Flut.“— Die Phantaſie läßt ſich<lb/>
den Zwang nicht anthun, ſich die Art, wie ſich einſt<lb/>
das Waſſer dieſen Weg bahnte, als einen Jahrhunderte,<lb/>
Jahrtauſende dauernd langſamen Gang vorzuſtellen,<lb/>ſie muß ſich den Durchbruch wie einen fürchterlichen<lb/>ſtürmiſchen Gewaltakt denken, ſie wirft ſich ſelbſt in's<lb/>
unwiderſtehliche Element hinein, ſtürzt ſich tobend mit<lb/>
ihm auf die trotzenden Rieſen, zertrümmert ſie, ſchleu¬<lb/>
dert ſich ihre ungeheuren Blöcke in den Weg und<lb/>ſchäumt zornig ziſchend, brauſend, brüllend über das<lb/>ſelbſtbereitete Hinderniß dahin.</p><lb/><p>Bei einer der Windungen des Weges bekam ich<lb/>
plötzlich einen Stoß, der mich faſt zu Boden geworfen<lb/>
hätte. Auf Geierſittigen war jetzt der Föhn über das<lb/>
Joch herabgeſchoſſen und ſchrie wüthend auf, da er<lb/>ſie an den ſtahlharten Felswänden zerſtieß. Zwiſchen<lb/>ſein Aechzen, Pfeifen, Kreiſchen, Heulen miſchten die<lb/>
klagenden, grollenden Waſſer ihr Weinen, ihr Schelten,<lb/>
ihren Donner; es war, als ſei die Hölle losgelaſſen.<lb/>
Die Sinne wurden betäubt, die Augen brannten in<lb/>
ihren Höhlen, es war, als ſiedete es mir in den Ohren,<lb/>
als wäre mir hölliſcher Schwefelbrodem durch alle<lb/></p></div></body></text></TEI>
[71/0084]
die den Namen der Schöllenen trägt. „Kennſt du
den Berg und ſeinen Wolkenſteg?“ ſang es in mir,
als ich in die Biegung eintrat, welche die Straße bei
dem genannten Dorf links nimmt, — „in Höhlen
wohnt der Drachen alte Brut — es ſtürzt der Fels
und über ihn die Flut.“ — Die Phantaſie läßt ſich
den Zwang nicht anthun, ſich die Art, wie ſich einſt
das Waſſer dieſen Weg bahnte, als einen Jahrhunderte,
Jahrtauſende dauernd langſamen Gang vorzuſtellen,
ſie muß ſich den Durchbruch wie einen fürchterlichen
ſtürmiſchen Gewaltakt denken, ſie wirft ſich ſelbſt in's
unwiderſtehliche Element hinein, ſtürzt ſich tobend mit
ihm auf die trotzenden Rieſen, zertrümmert ſie, ſchleu¬
dert ſich ihre ungeheuren Blöcke in den Weg und
ſchäumt zornig ziſchend, brauſend, brüllend über das
ſelbſtbereitete Hinderniß dahin.
Bei einer der Windungen des Weges bekam ich
plötzlich einen Stoß, der mich faſt zu Boden geworfen
hätte. Auf Geierſittigen war jetzt der Föhn über das
Joch herabgeſchoſſen und ſchrie wüthend auf, da er
ſie an den ſtahlharten Felswänden zerſtieß. Zwiſchen
ſein Aechzen, Pfeifen, Kreiſchen, Heulen miſchten die
klagenden, grollenden Waſſer ihr Weinen, ihr Schelten,
ihren Donner; es war, als ſei die Hölle losgelaſſen.
Die Sinne wurden betäubt, die Augen brannten in
ihren Höhlen, es war, als ſiedete es mir in den Ohren,
als wäre mir hölliſcher Schwefelbrodem durch alle
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/84>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.