Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

den Fahrpreis zu spielen schien. In Altorf wollte ich
erst kurzen Halt machen und einen Imbiß nehmen. Wie
ich da einem Wirthshause zugehe, führt mich der Weg
an einem Trödlerkram vorüber, mein Blick fällt durch's
niedrige Fenster in die Stube und wen erkenne ich da
drin? Meinen A. E., eben eine Brille prüfend, gegen
das Fenster haltend; der Trödler, sichtbar zum Kaufe
zuredend, stand neben ihm. Ich blickte schnell wieder weg,
hatte aber doch Zeit gehabt, zu bemerken, daß es eine
Brille von gediegen altmodischer Gestalt war, und mich
an die Zwiebel zu erinnern, die mir in Brunnen als
redlichere Nachfolgerin einer zertrümmerten Uhr gezeigt
worden war. Zugleich meinte ich, so flüchtig mein
Blick auch gewesen, doch beobachtet zu haben, daß A.
E. mich erkannte und sich umdrehte.

Ich weiß nicht, welche Rührung in diesem Mo¬
mente über mich kam. Während der Anblick doch eigent¬
lich komisch war, fiel mir Alles ein, was mich an den
Mann angezogen, ja, ich muß gestehen, mir imponirt,
mich sogar in ein gewisses Verhältniß nicht drückender
Unselbständigkeit zu ihm gesetzt hatte; seine Schwächen
und Grillen flößten mir nicht mehr Unwillen, sondern
Theilnahme ein. Es kam mir klarer zum Bewußtsein,
was es doch eigentlich war, das diesen Menschen so
peinvoll empfindlich, so schaallos gegen die kleinen
Uebel des Lebens machte. Ja, ich war jetzt sogar ge¬
neigt, den Ausdruck: Vernunftwuth, den er einmal

den Fahrpreis zu ſpielen ſchien. In Altorf wollte ich
erſt kurzen Halt machen und einen Imbiß nehmen. Wie
ich da einem Wirthshauſe zugehe, führt mich der Weg
an einem Trödlerkram vorüber, mein Blick fällt durch's
niedrige Fenſter in die Stube und wen erkenne ich da
drin? Meinen A. E., eben eine Brille prüfend, gegen
das Fenſter haltend; der Trödler, ſichtbar zum Kaufe
zuredend, ſtand neben ihm. Ich blickte ſchnell wieder weg,
hatte aber doch Zeit gehabt, zu bemerken, daß es eine
Brille von gediegen altmodiſcher Geſtalt war, und mich
an die Zwiebel zu erinnern, die mir in Brunnen als
redlichere Nachfolgerin einer zertrümmerten Uhr gezeigt
worden war. Zugleich meinte ich, ſo flüchtig mein
Blick auch geweſen, doch beobachtet zu haben, daß A.
E. mich erkannte und ſich umdrehte.

Ich weiß nicht, welche Rührung in dieſem Mo¬
mente über mich kam. Während der Anblick doch eigent¬
lich komiſch war, fiel mir Alles ein, was mich an den
Mann angezogen, ja, ich muß geſtehen, mir imponirt,
mich ſogar in ein gewiſſes Verhältniß nicht drückender
Unſelbſtändigkeit zu ihm geſetzt hatte; ſeine Schwächen
und Grillen flößten mir nicht mehr Unwillen, ſondern
Theilnahme ein. Es kam mir klarer zum Bewußtſein,
was es doch eigentlich war, das dieſen Menſchen ſo
peinvoll empfindlich, ſo ſchaallos gegen die kleinen
Uebel des Lebens machte. Ja, ich war jetzt ſogar ge¬
neigt, den Ausdruck: Vernunftwuth, den er einmal

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0070" n="57"/>
den Fahrpreis zu &#x017F;pielen &#x017F;chien. In Altorf wollte ich<lb/>
er&#x017F;t kurzen Halt machen und einen Imbiß nehmen. Wie<lb/>
ich da einem Wirthshau&#x017F;e zugehe, führt mich der Weg<lb/>
an einem Trödlerkram vorüber, mein Blick fällt durch's<lb/>
niedrige Fen&#x017F;ter in die Stube und wen erkenne ich da<lb/>
drin? Meinen A. E., eben eine Brille prüfend, gegen<lb/>
das Fen&#x017F;ter haltend; der Trödler, &#x017F;ichtbar zum Kaufe<lb/>
zuredend, &#x017F;tand neben ihm. Ich blickte &#x017F;chnell wieder weg,<lb/>
hatte aber doch Zeit gehabt, zu bemerken, daß es eine<lb/>
Brille von gediegen altmodi&#x017F;cher Ge&#x017F;talt war, und mich<lb/>
an die Zwiebel zu erinnern, die mir in Brunnen als<lb/>
redlichere Nachfolgerin einer zertrümmerten Uhr gezeigt<lb/>
worden war. Zugleich meinte ich, &#x017F;o flüchtig mein<lb/>
Blick auch gewe&#x017F;en, doch beobachtet zu haben, daß A.<lb/>
E. mich erkannte und &#x017F;ich umdrehte.</p><lb/>
        <p>Ich weiß nicht, welche Rührung in die&#x017F;em Mo¬<lb/>
mente über mich kam. Während der Anblick doch eigent¬<lb/>
lich komi&#x017F;ch war, fiel mir Alles ein, was mich an den<lb/>
Mann angezogen, ja, ich muß ge&#x017F;tehen, mir imponirt,<lb/>
mich &#x017F;ogar in ein gewi&#x017F;&#x017F;es Verhältniß nicht drückender<lb/>
Un&#x017F;elb&#x017F;tändigkeit zu ihm ge&#x017F;etzt hatte; &#x017F;eine Schwächen<lb/>
und Grillen flößten mir nicht mehr Unwillen, &#x017F;ondern<lb/>
Theilnahme ein. Es kam mir klarer zum Bewußt&#x017F;ein,<lb/><hi rendition="#g">was</hi> es doch eigentlich war, das die&#x017F;en Men&#x017F;chen &#x017F;o<lb/>
peinvoll empfindlich, &#x017F;o &#x017F;chaallos gegen die kleinen<lb/>
Uebel des Lebens machte. Ja, ich war jetzt &#x017F;ogar ge¬<lb/>
neigt, den Ausdruck: Vernunftwuth, den er einmal<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0070] den Fahrpreis zu ſpielen ſchien. In Altorf wollte ich erſt kurzen Halt machen und einen Imbiß nehmen. Wie ich da einem Wirthshauſe zugehe, führt mich der Weg an einem Trödlerkram vorüber, mein Blick fällt durch's niedrige Fenſter in die Stube und wen erkenne ich da drin? Meinen A. E., eben eine Brille prüfend, gegen das Fenſter haltend; der Trödler, ſichtbar zum Kaufe zuredend, ſtand neben ihm. Ich blickte ſchnell wieder weg, hatte aber doch Zeit gehabt, zu bemerken, daß es eine Brille von gediegen altmodiſcher Geſtalt war, und mich an die Zwiebel zu erinnern, die mir in Brunnen als redlichere Nachfolgerin einer zertrümmerten Uhr gezeigt worden war. Zugleich meinte ich, ſo flüchtig mein Blick auch geweſen, doch beobachtet zu haben, daß A. E. mich erkannte und ſich umdrehte. Ich weiß nicht, welche Rührung in dieſem Mo¬ mente über mich kam. Während der Anblick doch eigent¬ lich komiſch war, fiel mir Alles ein, was mich an den Mann angezogen, ja, ich muß geſtehen, mir imponirt, mich ſogar in ein gewiſſes Verhältniß nicht drückender Unſelbſtändigkeit zu ihm geſetzt hatte; ſeine Schwächen und Grillen flößten mir nicht mehr Unwillen, ſondern Theilnahme ein. Es kam mir klarer zum Bewußtſein, was es doch eigentlich war, das dieſen Menſchen ſo peinvoll empfindlich, ſo ſchaallos gegen die kleinen Uebel des Lebens machte. Ja, ich war jetzt ſogar ge¬ neigt, den Ausdruck: Vernunftwuth, den er einmal

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/70
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/70>, abgerufen am 05.12.2024.