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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

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ling, der ohne seinen Willen die beiden Herzen so
düster entzweit hatte, zum andern Male zu retten!
"Du bist gut, o, du bist gut," rief unter Thränen
das entzückte Mädchen und legte, als er sich unter
erneuten Klagen über die Rathlosigkeit der Lage auf
den Sitz am Herde niederfallen ließ, vor ihn knieend
das lockige Haupt in seinen Schooß. Schweigend ver¬
weilten sie manche Minute in dieser Stellung; auf
einmal stand Sigune schnell auf, nahm die Berg¬
krystallschnur vom Herde, hielt sie Alpin vor Augen
und sagte: "Wer das machen, die Krystalle schleifen,
durchbohren konnte, der kann auch" -- Wir ziehen
vor, nicht zu verrathen, was sie weiter sagte, noch
was Alpin nach einigem Sinnen erwiderte; nur das
Wort sei angeführt: "Ihr Weibsleute seid doch öfters
gescheuter als wir." Er nahm das Schwert, der
Abschied war so kurz als zärtlich, und dann eilte er
nach Haus mit den Schritten eines Mannes, der keine
Zeit zu verlieren hat.

Das Gewitter hatte sich verzogen, die Menge vom
Festplatze sich verlaufen, Alles war zur Ruhe gegangen
und der Mondschein lag still auf dem schimmernden
See. In der kleinen Gemeinde -- wie viele und
verschiedene heftige Bewegungen wühlten bei stiller
Nacht in den Gemüthern der Schlaflosen und der
träumenden Schläfer! Arthur war übel gebettet in
seinem "Ungemach" (wie das Nibelungenlied den Kerker

ling, der ohne ſeinen Willen die beiden Herzen ſo
düſter entzweit hatte, zum andern Male zu retten!
„Du biſt gut, o, du biſt gut,“ rief unter Thränen
das entzückte Mädchen und legte, als er ſich unter
erneuten Klagen über die Rathloſigkeit der Lage auf
den Sitz am Herde niederfallen ließ, vor ihn knieend
das lockige Haupt in ſeinen Schooß. Schweigend ver¬
weilten ſie manche Minute in dieſer Stellung; auf
einmal ſtand Sigune ſchnell auf, nahm die Berg¬
kryſtallſchnur vom Herde, hielt ſie Alpin vor Augen
und ſagte: „Wer das machen, die Kryſtalle ſchleifen,
durchbohren konnte, der kann auch“ — Wir ziehen
vor, nicht zu verrathen, was ſie weiter ſagte, noch
was Alpin nach einigem Sinnen erwiderte; nur das
Wort ſei angeführt: „Ihr Weibsleute ſeid doch öfters
geſcheuter als wir.“ Er nahm das Schwert, der
Abſchied war ſo kurz als zärtlich, und dann eilte er
nach Haus mit den Schritten eines Mannes, der keine
Zeit zu verlieren hat.

Das Gewitter hatte ſich verzogen, die Menge vom
Feſtplatze ſich verlaufen, Alles war zur Ruhe gegangen
und der Mondſchein lag ſtill auf dem ſchimmernden
See. In der kleinen Gemeinde — wie viele und
verſchiedene heftige Bewegungen wühlten bei ſtiller
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[304/0317] ling, der ohne ſeinen Willen die beiden Herzen ſo düſter entzweit hatte, zum andern Male zu retten! „Du biſt gut, o, du biſt gut,“ rief unter Thränen das entzückte Mädchen und legte, als er ſich unter erneuten Klagen über die Rathloſigkeit der Lage auf den Sitz am Herde niederfallen ließ, vor ihn knieend das lockige Haupt in ſeinen Schooß. Schweigend ver¬ weilten ſie manche Minute in dieſer Stellung; auf einmal ſtand Sigune ſchnell auf, nahm die Berg¬ kryſtallſchnur vom Herde, hielt ſie Alpin vor Augen und ſagte: „Wer das machen, die Kryſtalle ſchleifen, durchbohren konnte, der kann auch“ — Wir ziehen vor, nicht zu verrathen, was ſie weiter ſagte, noch was Alpin nach einigem Sinnen erwiderte; nur das Wort ſei angeführt: „Ihr Weibsleute ſeid doch öfters geſcheuter als wir.“ Er nahm das Schwert, der Abſchied war ſo kurz als zärtlich, und dann eilte er nach Haus mit den Schritten eines Mannes, der keine Zeit zu verlieren hat. Das Gewitter hatte ſich verzogen, die Menge vom Feſtplatze ſich verlaufen, Alles war zur Ruhe gegangen und der Mondſchein lag ſtill auf dem ſchimmernden See. In der kleinen Gemeinde — wie viele und verſchiedene heftige Bewegungen wühlten bei ſtiller Nacht in den Gemüthern der Schlafloſen und der träumenden Schläfer! Arthur war übel gebettet in ſeinem „Ungemach“ (wie das Nibelungenlied den Kerker

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/317>, abgerufen am 23.12.2024.