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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

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"Das kann schon sein, das ist schon möglich, daß
die Sachen da herum um uns, Licht, Luft, Erde,
Bäume, Thiere und Menschen ein Weib geschaffen
hat. Es sieht schon darnach aus, denn da ist schön
und häßlich, gut und grausam, sanft und wild, ordent¬
lich und wieder so unordentlich durcheinander, wie in
Weibes Leben und Weibes Seele, die launisch ist und
sich nicht gleich bleiben kann. Aber nachher ist ein
Manngott drüber gekommen und hat's zu ordnen an¬
gefangen. Nur etwas verspätet hat er sich, weil
Männer langsamer sind, und so hat er nicht mehr ganz
fertig werden, hat's nichts mehr ganz richten können.
Ein Manngott, ein herrlicher, ein strahlender. Wo
ist er? Hauset er in der Sonne, von deren Majestät
euer blasser Mondsdienst nichts weiß, nichts wissen
will? Mannheit und Macht ist er, er brauset im
Sturm, er ist der große Athem der Welt, auf der
Donnerwolke fährt er daher. Das ist der unbekannte
Gott, den eure Priester nennen und von dem sie doch
nichts hören wollen!"

Ein Gewitter zog inzwischen am nächtlichen Himmel
auf, schwarze Wolkenberge thürmten sich im Westen.
Man hörte eben bei den letzten Worten das erste ferne
Grollen des wirklichen Donners. Die Männer er¬
bleichten, der Redner erschien ihnen verschworen mit
der geheimnißvollen Naturmacht und die Scheue, die
sich ihrer bemächtigte, schützte ihn vor den Leidenschaften,

„Das kann ſchon ſein, das iſt ſchon möglich, daß
die Sachen da herum um uns, Licht, Luft, Erde,
Bäume, Thiere und Menſchen ein Weib geſchaffen
hat. Es ſieht ſchon darnach aus, denn da iſt ſchön
und häßlich, gut und grauſam, ſanft und wild, ordent¬
lich und wieder ſo unordentlich durcheinander, wie in
Weibes Leben und Weibes Seele, die launiſch iſt und
ſich nicht gleich bleiben kann. Aber nachher iſt ein
Manngott drüber gekommen und hat's zu ordnen an¬
gefangen. Nur etwas verſpätet hat er ſich, weil
Männer langſamer ſind, und ſo hat er nicht mehr ganz
fertig werden, hat's nichts mehr ganz richten können.
Ein Manngott, ein herrlicher, ein ſtrahlender. Wo
iſt er? Hauſet er in der Sonne, von deren Majeſtät
euer blaſſer Mondsdienſt nichts weiß, nichts wiſſen
will? Mannheit und Macht iſt er, er brauſet im
Sturm, er iſt der große Athem der Welt, auf der
Donnerwolke fährt er daher. Das iſt der unbekannte
Gott, den eure Prieſter nennen und von dem ſie doch
nichts hören wollen!“

Ein Gewitter zog inzwiſchen am nächtlichen Himmel
auf, ſchwarze Wolkenberge thürmten ſich im Weſten.
Man hörte eben bei den letzten Worten das erſte ferne
Grollen des wirklichen Donners. Die Männer er¬
bleichten, der Redner erſchien ihnen verſchworen mit
der geheimnißvollen Naturmacht und die Scheue, die
ſich ihrer bemächtigte, ſchützte ihn vor den Leidenſchaften,

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[288/0301] „Das kann ſchon ſein, das iſt ſchon möglich, daß die Sachen da herum um uns, Licht, Luft, Erde, Bäume, Thiere und Menſchen ein Weib geſchaffen hat. Es ſieht ſchon darnach aus, denn da iſt ſchön und häßlich, gut und grauſam, ſanft und wild, ordent¬ lich und wieder ſo unordentlich durcheinander, wie in Weibes Leben und Weibes Seele, die launiſch iſt und ſich nicht gleich bleiben kann. Aber nachher iſt ein Manngott drüber gekommen und hat's zu ordnen an¬ gefangen. Nur etwas verſpätet hat er ſich, weil Männer langſamer ſind, und ſo hat er nicht mehr ganz fertig werden, hat's nichts mehr ganz richten können. Ein Manngott, ein herrlicher, ein ſtrahlender. Wo iſt er? Hauſet er in der Sonne, von deren Majeſtät euer blaſſer Mondsdienſt nichts weiß, nichts wiſſen will? Mannheit und Macht iſt er, er brauſet im Sturm, er iſt der große Athem der Welt, auf der Donnerwolke fährt er daher. Das iſt der unbekannte Gott, den eure Prieſter nennen und von dem ſie doch nichts hören wollen!“ Ein Gewitter zog inzwiſchen am nächtlichen Himmel auf, ſchwarze Wolkenberge thürmten ſich im Weſten. Man hörte eben bei den letzten Worten das erſte ferne Grollen des wirklichen Donners. Die Männer er¬ bleichten, der Redner erſchien ihnen verſchworen mit der geheimnißvollen Naturmacht und die Scheue, die ſich ihrer bemächtigte, ſchützte ihn vor den Leidenſchaften,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/301>, abgerufen am 23.12.2024.