Stechpalmdornen blutig geritzt, das Brusttuch hat sich im stürmischen Rennen durch diese dichten Hindernisse herabgestreift; so steht sie nun, schaut, sieht die zwei Betäubten am Boden und -- wirft sich über Alpin.
Er erwachte, das Antlitz an ihrem weißen, warmen Busen, von ihren braunen Locken überschattet, benetzt von ihren reichlichen Thränen.
"Bist du es?" fragt er.
"Ich bin's," antwortet Sigune.
"Ja, hast du mich denn lieb?"
Jetzt verfiel sie in ein tiefes, lautes Schluchzen und als sie die Sprache wieder fand, da brach es hervor: "Vergieb! vergieb! gequält, gepeinigt, gefoltert hab' ich dich im wilden Muthwill, in der grundbösen Schelmenlaune -- Liebe war's -- Liebe gegen sich selbst verkehrt -- dein will ich sein -- mein sollst du sein -- beisammen, beisammen, treu bis in den Tod!"
Und sie wußte noch nicht, daß er Arthur gerettet. Alpin wußte es auch nicht mehr, das Geschehene war ihm rein entschwunden, er kannte nur die Gegenwart und preßte wie in seligem Traume, auch er nun in einen Strom von Thränen ergossen, das schöne, reuige Weib an seine Brust. Mit sanfter Hand schob Sigune jetzt sein Haupt beiseite, sie erröthete, sie besann sich auf sich, verhüllte ihren keuschen Busen und schaute sich nach Arthur um. Ihn hatte nicht eine schöne Menschenerscheinung, nur das treue Thier aus seiner
Vischer, Auch Einer. I. 16
Stechpalmdornen blutig geritzt, das Bruſttuch hat ſich im ſtürmiſchen Rennen durch dieſe dichten Hinderniſſe herabgeſtreift; ſo ſteht ſie nun, ſchaut, ſieht die zwei Betäubten am Boden und — wirft ſich über Alpin.
Er erwachte, das Antlitz an ihrem weißen, warmen Buſen, von ihren braunen Locken überſchattet, benetzt von ihren reichlichen Thränen.
„Biſt du es?“ fragt er.
„Ich bin's,“ antwortet Sigune.
„Ja, haſt du mich denn lieb?“
Jetzt verfiel ſie in ein tiefes, lautes Schluchzen und als ſie die Sprache wieder fand, da brach es hervor: „Vergieb! vergieb! gequält, gepeinigt, gefoltert hab' ich dich im wilden Muthwill, in der grundböſen Schelmenlaune — Liebe war's — Liebe gegen ſich ſelbſt verkehrt — dein will ich ſein — mein ſollſt du ſein — beiſammen, beiſammen, treu bis in den Tod!“
Und ſie wußte noch nicht, daß er Arthur gerettet. Alpin wußte es auch nicht mehr, das Geſchehene war ihm rein entſchwunden, er kannte nur die Gegenwart und preßte wie in ſeligem Traume, auch er nun in einen Strom von Thränen ergoſſen, das ſchöne, reuige Weib an ſeine Bruſt. Mit ſanfter Hand ſchob Sigune jetzt ſein Haupt beiſeite, ſie erröthete, ſie beſann ſich auf ſich, verhüllte ihren keuſchen Buſen und ſchaute ſich nach Arthur um. Ihn hatte nicht eine ſchöne Menſchenerſcheinung, nur das treue Thier aus ſeiner
Viſcher, Auch Einer. I. 16
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Stechpalmdornen blutig geritzt, das Bruſttuch hat ſich
im ſtürmiſchen Rennen durch dieſe dichten Hinderniſſe
herabgeſtreift; ſo ſteht ſie nun, ſchaut, ſieht die zwei
Betäubten am Boden und — wirft ſich über Alpin.
Er erwachte, das Antlitz an ihrem weißen, warmen
Buſen, von ihren braunen Locken überſchattet, benetzt
von ihren reichlichen Thränen.
„Biſt du es?“ fragt er.
„Ich bin's,“ antwortet Sigune.
„Ja, haſt du mich denn lieb?“
Jetzt verfiel ſie in ein tiefes, lautes Schluchzen
und als ſie die Sprache wieder fand, da brach es
hervor: „Vergieb! vergieb! gequält, gepeinigt, gefoltert
hab' ich dich im wilden Muthwill, in der grundböſen
Schelmenlaune — Liebe war's — Liebe gegen ſich
ſelbſt verkehrt — dein will ich ſein — mein ſollſt du
ſein — beiſammen, beiſammen, treu bis in den Tod!“
Und ſie wußte noch nicht, daß er Arthur gerettet.
Alpin wußte es auch nicht mehr, das Geſchehene war
ihm rein entſchwunden, er kannte nur die Gegenwart
und preßte wie in ſeligem Traume, auch er nun in
einen Strom von Thränen ergoſſen, das ſchöne, reuige
Weib an ſeine Bruſt. Mit ſanfter Hand ſchob Sigune
jetzt ſein Haupt beiſeite, ſie erröthete, ſie beſann ſich
auf ſich, verhüllte ihren keuſchen Buſen und ſchaute
ſich nach Arthur um. Ihn hatte nicht eine ſchöne
Menſchenerſcheinung, nur das treue Thier aus ſeiner
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/254>, abgerufen am 23.12.2024.
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