und hat sie aufgelegt; der Kranke liegt jetzt in erquicken¬ dem Schlaf auf Fellen und weicher Streu." -- "Gut, ganz recht," sagte Alpin, einen Stich verarbeitend, der ihm durch die Seele gieng. "Was hast denn aber da?" Sie hatte den Gegenstand beiseite gelegt. "Da schau' her," rief sie jetzt, "was Neues, Wunderbares! Vetter Arthur hat uns zu den schönen Sachen gestern Abend noch das gebracht, nun guck'! Nachher will ich den neuen Schmuck anziehen und mich so da drin sehen." Es war eine ovale Scheibe von Erz mit zierlichem Griff; Sigune drückte sie ihm in die Hand. "Was soll's?" -- "Nun, sieh' doch stät auf die Fläche." Alpin schaute und schaute, er sah sich selbst. Verglieche man dieß Bild mit dem, das unsere jetzigen Spiegel uns zeigen, so müßte es freilich nur als ein verschwomme¬ nes erscheinen; das wäre aber sehr unrichtig, wir haben das Bild im Erzspiegel mit dem ungleich verschwom¬ menern auf dem Wasserspiegel zu vergleichen, dem einzigen, das unserem Alpin bekannt ist, und so kommt es ihm deutlich in einem Maße vor, das alle seine Begriffe übersteigt. Er läßt den Spiegel fallen, geisterhaft wird ihm zu Muthe. Er steht so und starrt vor sich hin, hinaus in's Leere, wie in eine tiefe Finsterniß. Allmälig taucht ein schwaches Licht in dieser Finsterniß auf: "Also -- also so -- von nun an wird der Mensch sich selbst sehen -- zweimal da¬ sein -- und dann -- wenn er von dem Bild weg¬
und hat ſie aufgelegt; der Kranke liegt jetzt in erquicken¬ dem Schlaf auf Fellen und weicher Streu.“ — „Gut, ganz recht,“ ſagte Alpin, einen Stich verarbeitend, der ihm durch die Seele gieng. „Was haſt denn aber da?“ Sie hatte den Gegenſtand beiſeite gelegt. „Da ſchau' her,“ rief ſie jetzt, „was Neues, Wunderbares! Vetter Arthur hat uns zu den ſchönen Sachen geſtern Abend noch das gebracht, nun guck'! Nachher will ich den neuen Schmuck anziehen und mich ſo da drin ſehen.“ Es war eine ovale Scheibe von Erz mit zierlichem Griff; Sigune drückte ſie ihm in die Hand. „Was ſoll's?“ — „Nun, ſieh' doch ſtät auf die Fläche.“ Alpin ſchaute und ſchaute, er ſah ſich ſelbſt. Verglieche man dieß Bild mit dem, das unſere jetzigen Spiegel uns zeigen, ſo müßte es freilich nur als ein verſchwomme¬ nes erſcheinen; das wäre aber ſehr unrichtig, wir haben das Bild im Erzſpiegel mit dem ungleich verſchwom¬ menern auf dem Waſſerſpiegel zu vergleichen, dem einzigen, das unſerem Alpin bekannt iſt, und ſo kommt es ihm deutlich in einem Maße vor, das alle ſeine Begriffe überſteigt. Er läßt den Spiegel fallen, geiſterhaft wird ihm zu Muthe. Er ſteht ſo und ſtarrt vor ſich hin, hinaus in's Leere, wie in eine tiefe Finſterniß. Allmälig taucht ein ſchwaches Licht in dieſer Finſterniß auf: „Alſo — alſo ſo — von nun an wird der Menſch ſich ſelbſt ſehen — zweimal da¬ ſein — und dann — wenn er von dem Bild weg¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0239"n="226"/>
und hat ſie aufgelegt; der Kranke liegt jetzt in erquicken¬<lb/>
dem Schlaf auf Fellen und weicher Streu.“—„Gut,<lb/>
ganz recht,“ſagte Alpin, einen Stich verarbeitend, der<lb/>
ihm durch die Seele gieng. „Was haſt denn aber da?“<lb/>
Sie hatte den Gegenſtand beiſeite gelegt. „Da ſchau'<lb/>
her,“ rief ſie jetzt, „was Neues, Wunderbares! Vetter<lb/>
Arthur hat uns zu den ſchönen Sachen geſtern Abend<lb/>
noch das gebracht, nun guck'! Nachher will ich den<lb/>
neuen Schmuck anziehen und mich ſo da drin ſehen.“<lb/>
Es war eine ovale Scheibe von Erz mit zierlichem<lb/>
Griff; Sigune drückte ſie ihm in die Hand. „Was<lb/>ſoll's?“—„Nun, ſieh' doch ſtät auf die Fläche.“ Alpin<lb/>ſchaute und ſchaute, er ſah ſich ſelbſt. Verglieche man<lb/>
dieß Bild mit dem, das unſere jetzigen Spiegel uns<lb/>
zeigen, ſo müßte es freilich nur als ein verſchwomme¬<lb/>
nes erſcheinen; das wäre aber ſehr unrichtig, wir haben<lb/>
das Bild im Erzſpiegel mit dem ungleich verſchwom¬<lb/>
menern auf dem Waſſerſpiegel zu vergleichen, dem<lb/>
einzigen, das unſerem Alpin bekannt iſt, und ſo kommt<lb/>
es ihm deutlich in einem Maße vor, das alle ſeine<lb/>
Begriffe überſteigt. Er läßt den Spiegel fallen,<lb/>
geiſterhaft wird ihm zu Muthe. Er ſteht ſo und ſtarrt<lb/>
vor ſich hin, hinaus in's Leere, wie in eine tiefe<lb/>
Finſterniß. Allmälig taucht ein ſchwaches Licht in<lb/>
dieſer Finſterniß auf: „Alſo — alſo ſo — von nun<lb/>
an wird der Menſch ſich ſelbſt ſehen — zweimal da¬<lb/>ſein — und dann — wenn er von dem Bild weg¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[226/0239]
und hat ſie aufgelegt; der Kranke liegt jetzt in erquicken¬
dem Schlaf auf Fellen und weicher Streu.“ — „Gut,
ganz recht,“ ſagte Alpin, einen Stich verarbeitend, der
ihm durch die Seele gieng. „Was haſt denn aber da?“
Sie hatte den Gegenſtand beiſeite gelegt. „Da ſchau'
her,“ rief ſie jetzt, „was Neues, Wunderbares! Vetter
Arthur hat uns zu den ſchönen Sachen geſtern Abend
noch das gebracht, nun guck'! Nachher will ich den
neuen Schmuck anziehen und mich ſo da drin ſehen.“
Es war eine ovale Scheibe von Erz mit zierlichem
Griff; Sigune drückte ſie ihm in die Hand. „Was
ſoll's?“ — „Nun, ſieh' doch ſtät auf die Fläche.“ Alpin
ſchaute und ſchaute, er ſah ſich ſelbſt. Verglieche man
dieß Bild mit dem, das unſere jetzigen Spiegel uns
zeigen, ſo müßte es freilich nur als ein verſchwomme¬
nes erſcheinen; das wäre aber ſehr unrichtig, wir haben
das Bild im Erzſpiegel mit dem ungleich verſchwom¬
menern auf dem Waſſerſpiegel zu vergleichen, dem
einzigen, das unſerem Alpin bekannt iſt, und ſo kommt
es ihm deutlich in einem Maße vor, das alle ſeine
Begriffe überſteigt. Er läßt den Spiegel fallen,
geiſterhaft wird ihm zu Muthe. Er ſteht ſo und ſtarrt
vor ſich hin, hinaus in's Leere, wie in eine tiefe
Finſterniß. Allmälig taucht ein ſchwaches Licht in
dieſer Finſterniß auf: „Alſo — alſo ſo — von nun
an wird der Menſch ſich ſelbſt ſehen — zweimal da¬
ſein — und dann — wenn er von dem Bild weg¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/239>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.