Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

mehr wurde sein Lächeln von den Vielen mißdeutet,
die es bemerkten. Das hätte man vielleicht vergessen,
als aber die Gemeinde mit den Kindern heimzog, ent¬
fiel ihm ein sehr unbedachtes Wort; die Brust war
ihm zu voll, er konnte nicht schweigen. Gwalchmai
gieng gerade neben ihm, den er als einen der aufge¬
weckteren Köpfe des Pfahldorfs schon kannte. "Arme
Kinder!" sagte er zu ihm, "ich denke, die Heidelbeeren
werden ihnen gesünder sein, als der Blödsinn! Wie
ist es nur möglich, daß er noch besteht! Kann man
damit noch ein Volk erziehen? Ist dieß ein Stab und
Schild für den Eintritt in die Welt? Und es wär'
so ein schöner Brauch, einen starken Einschnitt in die
junge Seele zu machen an diesem Wendepunkt!
Was hätt' ich drum gegeben, hätt' mir Einer zu der
Zeit eindringlich, aber einfach gesagt, wo das wahre
Glück zu suchen ist! Und der unbekannte Gott, nun,
was den betrifft --" Er brach ab, er wußte wohl
nicht weiter. Er gieng vorwärts, ohne eine Antwort
abzuwarten, still vor sich niederblickend wie ein Mann,
in welchem Gedanken gähren und langsam reifen.
Wer außer Gwalchmai seine Worte noch vernommen,
hatte er nicht bemerkt. Es war Alpin, zugleich
aber noch ein Anderer, von dem wir hören werden.

Jetzt kam mit einem Trupp Kamerädinnen Sigune
vorüber, ohne Alpin gewahr zu werden; sie holten
Arthur ein, Sigune nahm ihn an der Hand und

mehr wurde ſein Lächeln von den Vielen mißdeutet,
die es bemerkten. Das hätte man vielleicht vergeſſen,
als aber die Gemeinde mit den Kindern heimzog, ent¬
fiel ihm ein ſehr unbedachtes Wort; die Bruſt war
ihm zu voll, er konnte nicht ſchweigen. Gwalchmai
gieng gerade neben ihm, den er als einen der aufge¬
weckteren Köpfe des Pfahldorfs ſchon kannte. „Arme
Kinder!“ ſagte er zu ihm, „ich denke, die Heidelbeeren
werden ihnen geſünder ſein, als der Blödſinn! Wie
iſt es nur möglich, daß er noch beſteht! Kann man
damit noch ein Volk erziehen? Iſt dieß ein Stab und
Schild für den Eintritt in die Welt? Und es wär'
ſo ein ſchöner Brauch, einen ſtarken Einſchnitt in die
junge Seele zu machen an dieſem Wendepunkt!
Was hätt' ich drum gegeben, hätt' mir Einer zu der
Zeit eindringlich, aber einfach geſagt, wo das wahre
Glück zu ſuchen iſt! Und der unbekannte Gott, nun,
was den betrifft —“ Er brach ab, er wußte wohl
nicht weiter. Er gieng vorwärts, ohne eine Antwort
abzuwarten, ſtill vor ſich niederblickend wie ein Mann,
in welchem Gedanken gähren und langſam reifen.
Wer außer Gwalchmai ſeine Worte noch vernommen,
hatte er nicht bemerkt. Es war Alpin, zugleich
aber noch ein Anderer, von dem wir hören werden.

Jetzt kam mit einem Trupp Kamerädinnen Sigune
vorüber, ohne Alpin gewahr zu werden; ſie holten
Arthur ein, Sigune nahm ihn an der Hand und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0229" n="216"/>
mehr wurde &#x017F;ein Lächeln von den Vielen mißdeutet,<lb/>
die es bemerkten. Das hätte man vielleicht verge&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
als aber die Gemeinde mit den Kindern heimzog, ent¬<lb/>
fiel ihm ein &#x017F;ehr unbedachtes Wort; die Bru&#x017F;t war<lb/>
ihm zu voll, er konnte nicht &#x017F;chweigen. Gwalchmai<lb/>
gieng gerade neben ihm, den er als einen der aufge¬<lb/>
weckteren Köpfe des Pfahldorfs &#x017F;chon kannte. &#x201E;Arme<lb/>
Kinder!&#x201C; &#x017F;agte er zu ihm, &#x201E;ich denke, die Heidelbeeren<lb/>
werden ihnen ge&#x017F;ünder &#x017F;ein, als der Blöd&#x017F;inn! Wie<lb/>
i&#x017F;t es nur möglich, daß er noch be&#x017F;teht! Kann man<lb/>
damit noch ein Volk erziehen? I&#x017F;t dieß ein Stab und<lb/>
Schild für den Eintritt in die Welt? Und es wär'<lb/>
&#x017F;o ein &#x017F;chöner Brauch, einen &#x017F;tarken Ein&#x017F;chnitt in die<lb/>
junge Seele zu machen an die&#x017F;em Wendepunkt!<lb/>
Was hätt' ich drum gegeben, hätt' mir Einer zu der<lb/>
Zeit eindringlich, aber einfach ge&#x017F;agt, wo das wahre<lb/>
Glück zu &#x017F;uchen i&#x017F;t! Und der unbekannte Gott, nun,<lb/>
was den betrifft &#x2014;&#x201C; Er brach ab, er wußte wohl<lb/>
nicht weiter. Er gieng vorwärts, ohne eine Antwort<lb/>
abzuwarten, &#x017F;till vor &#x017F;ich niederblickend wie ein Mann,<lb/>
in welchem Gedanken gähren und lang&#x017F;am reifen.<lb/>
Wer außer Gwalchmai &#x017F;eine Worte noch vernommen,<lb/>
hatte er nicht bemerkt. Es war Alpin, zugleich<lb/>
aber noch ein Anderer, von dem wir hören werden.</p><lb/>
        <p>Jetzt kam mit einem Trupp Kamerädinnen Sigune<lb/>
vorüber, ohne Alpin gewahr zu werden; &#x017F;ie holten<lb/>
Arthur ein, Sigune nahm ihn an der Hand und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0229] mehr wurde ſein Lächeln von den Vielen mißdeutet, die es bemerkten. Das hätte man vielleicht vergeſſen, als aber die Gemeinde mit den Kindern heimzog, ent¬ fiel ihm ein ſehr unbedachtes Wort; die Bruſt war ihm zu voll, er konnte nicht ſchweigen. Gwalchmai gieng gerade neben ihm, den er als einen der aufge¬ weckteren Köpfe des Pfahldorfs ſchon kannte. „Arme Kinder!“ ſagte er zu ihm, „ich denke, die Heidelbeeren werden ihnen geſünder ſein, als der Blödſinn! Wie iſt es nur möglich, daß er noch beſteht! Kann man damit noch ein Volk erziehen? Iſt dieß ein Stab und Schild für den Eintritt in die Welt? Und es wär' ſo ein ſchöner Brauch, einen ſtarken Einſchnitt in die junge Seele zu machen an dieſem Wendepunkt! Was hätt' ich drum gegeben, hätt' mir Einer zu der Zeit eindringlich, aber einfach geſagt, wo das wahre Glück zu ſuchen iſt! Und der unbekannte Gott, nun, was den betrifft —“ Er brach ab, er wußte wohl nicht weiter. Er gieng vorwärts, ohne eine Antwort abzuwarten, ſtill vor ſich niederblickend wie ein Mann, in welchem Gedanken gähren und langſam reifen. Wer außer Gwalchmai ſeine Worte noch vernommen, hatte er nicht bemerkt. Es war Alpin, zugleich aber noch ein Anderer, von dem wir hören werden. Jetzt kam mit einem Trupp Kamerädinnen Sigune vorüber, ohne Alpin gewahr zu werden; ſie holten Arthur ein, Sigune nahm ihn an der Hand und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/229
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/229>, abgerufen am 05.12.2024.