wildfremde, gespenstische Erscheinung. Der Greis neben ihr trug an einer blauen Schnur einen Holznapf, in seinem Gürtel steckte eine Art von Futteral, ungefähr jenem gleich, worin unsere Schnitter den Sensenwetz¬ stein tragen. Hinter den Zweien sah man sechs Ge¬ meindeälteste schreiten, auf sie folgte der Zug der Knaben und Mädchen und ihn beschlossen zwei Wächter mit Bogen und Speer. Draußen auf dem Platze standen Männer und Frauen getrennt, doch nicht durch so starke Zwischenräume, daß die äußersten Flügel der Bursche und der Dirnen nicht Fühlung miteinander gehabt hätten. Da gab es Geplauder, Spaß, Necke¬ reien. Alpin mied Sigunen; er mußte sie in mun¬ terem Gespräch mit Arthur sehen; es tröstete ihn wenig, daß sie doch seine krystallene Halskette trug, denn er dachte, die kostbarere Gabe des schrecklichen Nebenbuhlers werde für's Hauptfest gespart sein; er wollte es sich abzwingen, nicht weiter hinzublicken und that es doch; ihm war, wie es Verdammten sein mag, wenn ihnen Teufel die himmlische Seligkeit vormalen, denn wie schön war sie heute! wie leuchtend hob sich Hals und Kopf aus dem feinen Marderpelz, der ihr blau und roth gestreiftes Gewand verbrämte! Die Kugeln und Würfel des Schmuckes aus seiner Hand kamen ihm vor wie Thränentropfen, die er an ihrem Halse weinte. Inzwischen machte sich Gwennywar, Gwydyr's Tochter, in seine Nähe, sein Drittenkind¬
wildfremde, geſpenſtiſche Erſcheinung. Der Greis neben ihr trug an einer blauen Schnur einen Holznapf, in ſeinem Gürtel ſteckte eine Art von Futteral, ungefähr jenem gleich, worin unſere Schnitter den Senſenwetz¬ ſtein tragen. Hinter den Zweien ſah man ſechs Ge¬ meindeälteſte ſchreiten, auf ſie folgte der Zug der Knaben und Mädchen und ihn beſchloſſen zwei Wächter mit Bogen und Speer. Draußen auf dem Platze ſtanden Männer und Frauen getrennt, doch nicht durch ſo ſtarke Zwiſchenräume, daß die äußerſten Flügel der Burſche und der Dirnen nicht Fühlung miteinander gehabt hätten. Da gab es Geplauder, Spaß, Necke¬ reien. Alpin mied Sigunen; er mußte ſie in mun¬ terem Geſpräch mit Arthur ſehen; es tröſtete ihn wenig, daß ſie doch ſeine kryſtallene Halskette trug, denn er dachte, die koſtbarere Gabe des ſchrecklichen Nebenbuhlers werde für's Hauptfeſt geſpart ſein; er wollte es ſich abzwingen, nicht weiter hinzublicken und that es doch; ihm war, wie es Verdammten ſein mag, wenn ihnen Teufel die himmliſche Seligkeit vormalen, denn wie ſchön war ſie heute! wie leuchtend hob ſich Hals und Kopf aus dem feinen Marderpelz, der ihr blau und roth geſtreiftes Gewand verbrämte! Die Kugeln und Würfel des Schmuckes aus ſeiner Hand kamen ihm vor wie Thränentropfen, die er an ihrem Halſe weinte. Inzwiſchen machte ſich Gwennywar, Gwydyr's Tochter, in ſeine Nähe, ſein Drittenkind¬
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wildfremde, geſpenſtiſche Erſcheinung. Der Greis neben
ihr trug an einer blauen Schnur einen Holznapf, in
ſeinem Gürtel ſteckte eine Art von Futteral, ungefähr
jenem gleich, worin unſere Schnitter den Senſenwetz¬
ſtein tragen. Hinter den Zweien ſah man ſechs Ge¬
meindeälteſte ſchreiten, auf ſie folgte der Zug der Knaben
und Mädchen und ihn beſchloſſen zwei Wächter mit
Bogen und Speer. Draußen auf dem Platze ſtanden
Männer und Frauen getrennt, doch nicht durch ſo
ſtarke Zwiſchenräume, daß die äußerſten Flügel der
Burſche und der Dirnen nicht Fühlung miteinander
gehabt hätten. Da gab es Geplauder, Spaß, Necke¬
reien. Alpin mied Sigunen; er mußte ſie in mun¬
terem Geſpräch mit Arthur ſehen; es tröſtete ihn
wenig, daß ſie doch ſeine kryſtallene Halskette trug,
denn er dachte, die koſtbarere Gabe des ſchrecklichen
Nebenbuhlers werde für's Hauptfeſt geſpart ſein; er
wollte es ſich abzwingen, nicht weiter hinzublicken und
that es doch; ihm war, wie es Verdammten ſein mag,
wenn ihnen Teufel die himmliſche Seligkeit vormalen,
denn wie ſchön war ſie heute! wie leuchtend hob ſich
Hals und Kopf aus dem feinen Marderpelz, der ihr
blau und roth geſtreiftes Gewand verbrämte! Die
Kugeln und Würfel des Schmuckes aus ſeiner Hand
kamen ihm vor wie Thränentropfen, die er an ihrem
Halſe weinte. Inzwiſchen machte ſich Gwennywar,
Gwydyr's Tochter, in ſeine Nähe, ſein Drittenkind¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/209>, abgerufen am 05.12.2024.
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