Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite
Vom Eise, vom Eise,
Vom reinen Schnee, vom hellen Firn
Dort auf des Riesenberges Stirn
Wie Sangesweise
Zieht's in die Brust
In stolzer Lust,
Beim hochher blitzenden Silberschein
Gedenk' ich dein."

Die Männer faßten schnell die angemessene, ohr¬
gerechte Melodie auf, sangen die letzten Verse kräftig mit,
hielten bis zum letzten Vers die Schlußzeilen gedämpft,
wie sich ziemte, ließen sie aber am Ende mit laut vor¬
brechendem Jubel erschallen, so daß die Tonwelle mäch¬
tig und prächtig über die Wasser des Sees hinaus in's
Weite schwoll und im Wiederhall der nahen Berge verklang.

Massikomur, Ullin und Karmor wurden gewählt,
zogen ihre besten Röcke an, verfügten sich zu dem
Druiden und trugen ihm gesetzt und höflich ihr Sprüch¬
lein vor.

Der Priester machte ein saures Gesicht, als er den
Antrag vernommen. Wir wissen bereits, daß er dem
Winde, der von Turik wehte, nicht zu trauen gestimmt
war, müssen uns aber die Sachen jetzt etwas näher
ansehen. Die Barden waren, wie der Leser sich er¬
innert, eigentlich eine Zunft im Orden der Druiden.
Man sollte meinen, diese hätten sich mit ihren Kollegen
friedlich in die Wissenschaften so getheilt, daß sie den

Vom Eiſe, vom Eiſe,
Vom reinen Schnee, vom hellen Firn
Dort auf des Rieſenberges Stirn
Wie Sangesweiſe
Zieht's in die Bruſt
In ſtolzer Luſt,
Beim hochher blitzenden Silberſchein
Gedenk' ich dein.“

Die Männer faßten ſchnell die angemeſſene, ohr¬
gerechte Melodie auf, ſangen die letzten Verſe kräftig mit,
hielten bis zum letzten Vers die Schlußzeilen gedämpft,
wie ſich ziemte, ließen ſie aber am Ende mit laut vor¬
brechendem Jubel erſchallen, ſo daß die Tonwelle mäch¬
tig und prächtig über die Waſſer des Sees hinaus in's
Weite ſchwoll und im Wiederhall der nahen Berge verklang.

Maſſikomur, Ullin und Karmor wurden gewählt,
zogen ihre beſten Röcke an, verfügten ſich zu dem
Druiden und trugen ihm geſetzt und höflich ihr Sprüch¬
lein vor.

Der Prieſter machte ein ſaures Geſicht, als er den
Antrag vernommen. Wir wiſſen bereits, daß er dem
Winde, der von Turik wehte, nicht zu trauen geſtimmt
war, müſſen uns aber die Sachen jetzt etwas näher
anſehen. Die Barden waren, wie der Leſer ſich er¬
innert, eigentlich eine Zunft im Orden der Druiden.
Man ſollte meinen, dieſe hätten ſich mit ihren Kollegen
friedlich in die Wiſſenſchaften ſo getheilt, daß ſie den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0198" n="185"/>
          <lg n="4">
            <l>Vom Ei&#x017F;e, vom Ei&#x017F;e,</l><lb/>
            <l>Vom reinen Schnee, vom hellen Firn</l><lb/>
            <l>Dort auf des Rie&#x017F;enberges Stirn</l><lb/>
            <l>Wie Sangeswei&#x017F;e</l><lb/>
            <l>Zieht's in die Bru&#x017F;t</l><lb/>
            <l>In &#x017F;tolzer Lu&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Beim hochher blitzenden Silber&#x017F;chein</l><lb/>
            <l>Gedenk' ich dein.&#x201C;</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
        <p>Die Männer faßten &#x017F;chnell die angeme&#x017F;&#x017F;ene, ohr¬<lb/>
gerechte Melodie auf, &#x017F;angen die letzten Ver&#x017F;e kräftig mit,<lb/>
hielten bis zum letzten Vers die Schlußzeilen gedämpft,<lb/>
wie &#x017F;ich ziemte, ließen &#x017F;ie aber am Ende mit laut vor¬<lb/>
brechendem Jubel er&#x017F;challen, &#x017F;o daß die Tonwelle mäch¬<lb/>
tig und prächtig über die Wa&#x017F;&#x017F;er des Sees hinaus in's<lb/>
Weite &#x017F;chwoll und im Wiederhall der nahen Berge verklang.</p><lb/>
        <p>Ma&#x017F;&#x017F;ikomur, Ullin und Karmor wurden gewählt,<lb/>
zogen ihre be&#x017F;ten Röcke an, verfügten &#x017F;ich zu dem<lb/>
Druiden und trugen ihm ge&#x017F;etzt und höflich ihr Sprüch¬<lb/>
lein vor.</p><lb/>
        <p>Der Prie&#x017F;ter machte ein &#x017F;aures Ge&#x017F;icht, als er den<lb/>
Antrag vernommen. Wir wi&#x017F;&#x017F;en bereits, daß er dem<lb/>
Winde, der von Turik wehte, nicht zu trauen ge&#x017F;timmt<lb/>
war, mü&#x017F;&#x017F;en uns aber die Sachen jetzt etwas näher<lb/>
an&#x017F;ehen. Die Barden waren, wie der Le&#x017F;er &#x017F;ich er¬<lb/>
innert, eigentlich eine Zunft im Orden der Druiden.<lb/>
Man &#x017F;ollte meinen, die&#x017F;e hätten &#x017F;ich mit ihren Kollegen<lb/>
friedlich in die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften &#x017F;o getheilt, daß &#x017F;ie den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0198] Vom Eiſe, vom Eiſe, Vom reinen Schnee, vom hellen Firn Dort auf des Rieſenberges Stirn Wie Sangesweiſe Zieht's in die Bruſt In ſtolzer Luſt, Beim hochher blitzenden Silberſchein Gedenk' ich dein.“ Die Männer faßten ſchnell die angemeſſene, ohr¬ gerechte Melodie auf, ſangen die letzten Verſe kräftig mit, hielten bis zum letzten Vers die Schlußzeilen gedämpft, wie ſich ziemte, ließen ſie aber am Ende mit laut vor¬ brechendem Jubel erſchallen, ſo daß die Tonwelle mäch¬ tig und prächtig über die Waſſer des Sees hinaus in's Weite ſchwoll und im Wiederhall der nahen Berge verklang. Maſſikomur, Ullin und Karmor wurden gewählt, zogen ihre beſten Röcke an, verfügten ſich zu dem Druiden und trugen ihm geſetzt und höflich ihr Sprüch¬ lein vor. Der Prieſter machte ein ſaures Geſicht, als er den Antrag vernommen. Wir wiſſen bereits, daß er dem Winde, der von Turik wehte, nicht zu trauen geſtimmt war, müſſen uns aber die Sachen jetzt etwas näher anſehen. Die Barden waren, wie der Leſer ſich er¬ innert, eigentlich eine Zunft im Orden der Druiden. Man ſollte meinen, dieſe hätten ſich mit ihren Kollegen friedlich in die Wiſſenſchaften ſo getheilt, daß ſie den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/198
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/198>, abgerufen am 05.12.2024.