Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Stieren in diesen kohlrabenschwarzen Abgrund erregen
mußte, packte jetzt die Sache von einer andern Seite,
die ihm ein klein, ein ganz winzig klein wenig deut¬
licher vorschwebte:

"Und dann -- mithelfen soll ich, daß das Zeug
aufkommt? Und so fortwächst, daß am End' kein Thal
in diesen ganzen Landen vor dem Pick-, Klopf- und
Hämmer- und Haspelwesen mehr sicher ist? Kein Bäch¬
lein lauter und lieblich mehr gehen kann, weil sie's
verschmutzen mit Waschereien und -- mit" (man er¬
kennt, daß er Mühlwerke und Fabriken mit Wasser¬
trieb ahnt und nicht nennen kann, daher setzt er nur
hinzu:) -- "und daß am Ende der ver¬
stummen muß?"

Mit dem Wort wurde ihm ganz erbärmlich zu
Muthe. Er war Meister auf dem langen Hirtenhorn
so gut, wie im Jodeln und auf dem Buchenblatt. Er
konnte blasen, daß es in die innerste Seele gieng.
Ihm kam in diesem Augenblick das Heimweh, als ob
er schon weit, weit weg in dem steinklappernden
Hämmerwerk wäre. Sein See, seine Schafe, seine
Rinder, voran die Pracht- und Staatskuh, die graue
Lisel, die so sanft blinzte, wenn er sie hinter dem Ohr
kratzte, seine Berge, die fernen silberblitzenden Gletscher
-- Alles kam ihm vor, als sehe er es bereits kaum
noch nur ganz ferne -- und ebenso ferne Sigunen. --

Auch seine gute Mutter Minona fiel ihm ein, die

Stieren in dieſen kohlrabenſchwarzen Abgrund erregen
mußte, packte jetzt die Sache von einer andern Seite,
die ihm ein klein, ein ganz winzig klein wenig deut¬
licher vorſchwebte:

„Und dann — mithelfen ſoll ich, daß das Zeug
aufkommt? Und ſo fortwächst, daß am End’ kein Thal
in dieſen ganzen Landen vor dem Pick-, Klopf- und
Hämmer- und Haſpelweſen mehr ſicher iſt? Kein Bäch¬
lein lauter und lieblich mehr gehen kann, weil ſie's
verſchmutzen mit Waſchereien und — mit“ (man er¬
kennt, daß er Mühlwerke und Fabriken mit Waſſer¬
trieb ahnt und nicht nennen kann, daher ſetzt er nur
hinzu:) — „und daß am Ende der ver¬
ſtummen muß?“

Mit dem Wort wurde ihm ganz erbärmlich zu
Muthe. Er war Meiſter auf dem langen Hirtenhorn
ſo gut, wie im Jodeln und auf dem Buchenblatt. Er
konnte blaſen, daß es in die innerſte Seele gieng.
Ihm kam in dieſem Augenblick das Heimweh, als ob
er ſchon weit, weit weg in dem ſteinklappernden
Hämmerwerk wäre. Sein See, ſeine Schafe, ſeine
Rinder, voran die Pracht- und Staatskuh, die graue
Liſel, die ſo ſanft blinzte, wenn er ſie hinter dem Ohr
kratzte, ſeine Berge, die fernen ſilberblitzenden Gletſcher
— Alles kam ihm vor, als ſehe er es bereits kaum
noch nur ganz ferne — und ebenſo ferne Sigunen. —

Auch ſeine gute Mutter Minona fiel ihm ein, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0161" n="148"/>
Stieren in die&#x017F;en kohlraben&#x017F;chwarzen Abgrund erregen<lb/>
mußte, packte jetzt die Sache von einer andern Seite,<lb/>
die ihm ein klein, ein ganz winzig klein wenig deut¬<lb/>
licher vor&#x017F;chwebte:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und dann &#x2014; mithelfen &#x017F;oll ich, daß das Zeug<lb/>
aufkommt? Und &#x017F;o fortwächst, daß am End&#x2019; kein Thal<lb/>
in die&#x017F;en ganzen Landen vor dem Pick-, Klopf- und<lb/>
Hämmer- und Ha&#x017F;pelwe&#x017F;en mehr &#x017F;icher i&#x017F;t? Kein Bäch¬<lb/>
lein lauter und lieblich mehr gehen kann, weil &#x017F;ie's<lb/>
ver&#x017F;chmutzen mit Wa&#x017F;chereien und &#x2014; mit&#x201C; (man er¬<lb/>
kennt, daß er Mühlwerke und Fabriken mit Wa&#x017F;&#x017F;er¬<lb/>
trieb ahnt und nicht nennen kann, daher &#x017F;etzt er nur<lb/>
hinzu:) &#x2014; &#x201E;und daß am Ende der ver¬<lb/>
&#x017F;tummen muß?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Mit dem Wort wurde ihm ganz erbärmlich zu<lb/>
Muthe. Er war Mei&#x017F;ter auf dem langen Hirtenhorn<lb/>
&#x017F;o gut, wie im Jodeln und auf dem Buchenblatt. Er<lb/>
konnte bla&#x017F;en, daß es in die inner&#x017F;te Seele gieng.<lb/>
Ihm kam in die&#x017F;em Augenblick das Heimweh, als ob<lb/>
er &#x017F;chon weit, weit weg in dem &#x017F;teinklappernden<lb/>
Hämmerwerk wäre. Sein See, &#x017F;eine Schafe, &#x017F;eine<lb/>
Rinder, voran die Pracht- und Staatskuh, die graue<lb/>
Li&#x017F;el, die &#x017F;o &#x017F;anft blinzte, wenn er &#x017F;ie hinter dem Ohr<lb/>
kratzte, &#x017F;eine Berge, die fernen &#x017F;ilberblitzenden Glet&#x017F;cher<lb/>
&#x2014; Alles kam ihm vor, als &#x017F;ehe er es bereits kaum<lb/>
noch nur ganz ferne &#x2014; und eben&#x017F;o ferne Sigunen. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Auch &#x017F;eine gute Mutter Minona fiel ihm ein, die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0161] Stieren in dieſen kohlrabenſchwarzen Abgrund erregen mußte, packte jetzt die Sache von einer andern Seite, die ihm ein klein, ein ganz winzig klein wenig deut¬ licher vorſchwebte: „Und dann — mithelfen ſoll ich, daß das Zeug aufkommt? Und ſo fortwächst, daß am End’ kein Thal in dieſen ganzen Landen vor dem Pick-, Klopf- und Hämmer- und Haſpelweſen mehr ſicher iſt? Kein Bäch¬ lein lauter und lieblich mehr gehen kann, weil ſie's verſchmutzen mit Waſchereien und — mit“ (man er¬ kennt, daß er Mühlwerke und Fabriken mit Waſſer¬ trieb ahnt und nicht nennen kann, daher ſetzt er nur hinzu:) — „und daß am Ende der ver¬ ſtummen muß?“ Mit dem Wort wurde ihm ganz erbärmlich zu Muthe. Er war Meiſter auf dem langen Hirtenhorn ſo gut, wie im Jodeln und auf dem Buchenblatt. Er konnte blaſen, daß es in die innerſte Seele gieng. Ihm kam in dieſem Augenblick das Heimweh, als ob er ſchon weit, weit weg in dem ſteinklappernden Hämmerwerk wäre. Sein See, ſeine Schafe, ſeine Rinder, voran die Pracht- und Staatskuh, die graue Liſel, die ſo ſanft blinzte, wenn er ſie hinter dem Ohr kratzte, ſeine Berge, die fernen ſilberblitzenden Gletſcher — Alles kam ihm vor, als ſehe er es bereits kaum noch nur ganz ferne — und ebenſo ferne Sigunen. — Auch ſeine gute Mutter Minona fiel ihm ein, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/161
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/161>, abgerufen am 05.12.2024.