scharfes, trockenes Husten dem Zuhörer die Ueberzeu¬ gung einflößen, daß der Katarrh jetzt in den Hals getreten ist und allda wie mit einer Nadelspitze kratzt, kitzelt und krabbelt. Jetzt tritt das eigentliche Katarrh¬ fieber ein, das Hirn ist eingenommen, giftig gereizt, alles Blut im Kopf, nicht nur die Nase ist roth oder blau, auch die Ohren sind es -- Sie wissen, mein Herr, wie wüthend und blutdürstig der Mensch ist, wenn er heiße, rothe Ohren hat --; mit Jago's Schein¬ beweisen, stets erneuten Einflüsterungen steigt in gleichem Schritte dieser traurige Zustand, die Ohnmacht im vierten Akt, aus bloßer Phantasieaufregung denn doch nicht erklärlich, ist Beweis einer radikalen innern Ver¬ pfropfung, das Uebel ist offenbar in den Magen niedergestiegen, ist ganz zur höllischen Grippe ge¬ worden; von nun an begleite Räuspern, Husten, unend¬ liches Schnäuzen jeden Schritt des Unglücklichen! So gelangen wir zur Mordßene; hier leiste der Künstler das Höchste! Othello ist jetzt auf dem Gipfel seines Leidens; nicht in kleinlich naturalistischer Weise, nein, ganz im furchtbar hohen Styl werde dieses Aeußerste des tragischen Zustands dargestellt, es seien Husten¬ anfälle erhabener Art, die wie Kanonenschüsse explodiren, endlich wird der Unselige blauroth-grünschwarz im ganzen Gesicht, er kann mit aller verzweifelten An¬ strengung die im Halse sitzenden zähen, schmählichen Hindernisse nicht herauswürgen, er kann durch den Mund
ſcharfes, trockenes Huſten dem Zuhörer die Ueberzeu¬ gung einflößen, daß der Katarrh jetzt in den Hals getreten iſt und allda wie mit einer Nadelſpitze kratzt, kitzelt und krabbelt. Jetzt tritt das eigentliche Katarrh¬ fieber ein, das Hirn iſt eingenommen, giftig gereizt, alles Blut im Kopf, nicht nur die Naſe iſt roth oder blau, auch die Ohren ſind es — Sie wiſſen, mein Herr, wie wüthend und blutdürſtig der Menſch iſt, wenn er heiße, rothe Ohren hat —; mit Jago's Schein¬ beweiſen, ſtets erneuten Einflüſterungen ſteigt in gleichem Schritte dieſer traurige Zuſtand, die Ohnmacht im vierten Akt, aus bloßer Phantaſieaufregung denn doch nicht erklärlich, iſt Beweis einer radikalen innern Ver¬ pfropfung, das Uebel iſt offenbar in den Magen niedergeſtiegen, iſt ganz zur hölliſchen Grippe ge¬ worden; von nun an begleite Räuſpern, Huſten, unend¬ liches Schnäuzen jeden Schritt des Unglücklichen! So gelangen wir zur Mordſzene; hier leiſte der Künſtler das Höchſte! Othello iſt jetzt auf dem Gipfel ſeines Leidens; nicht in kleinlich naturaliſtiſcher Weiſe, nein, ganz im furchtbar hohen Styl werde dieſes Aeußerſte des tragiſchen Zuſtands dargeſtellt, es ſeien Huſten¬ anfälle erhabener Art, die wie Kanonenſchüſſe explodiren, endlich wird der Unſelige blauroth-grünſchwarz im ganzen Geſicht, er kann mit aller verzweifelten An¬ ſtrengung die im Halſe ſitzenden zähen, ſchmählichen Hinderniſſe nicht herauswürgen, er kann durch den Mund
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0111"n="98"/>ſcharfes, trockenes Huſten dem Zuhörer die Ueberzeu¬<lb/>
gung einflößen, daß der Katarrh jetzt in den Hals<lb/>
getreten iſt und allda wie mit einer Nadelſpitze kratzt,<lb/>
kitzelt und krabbelt. Jetzt tritt das eigentliche Katarrh¬<lb/>
fieber ein, das Hirn iſt eingenommen, giftig gereizt,<lb/>
alles Blut im Kopf, nicht nur die Naſe iſt roth oder<lb/>
blau, auch die Ohren ſind es — Sie wiſſen, mein<lb/>
Herr, wie wüthend und blutdürſtig der Menſch iſt,<lb/>
wenn er heiße, rothe Ohren hat —; mit Jago's Schein¬<lb/>
beweiſen, ſtets erneuten Einflüſterungen ſteigt in gleichem<lb/>
Schritte dieſer traurige Zuſtand, die Ohnmacht im vierten<lb/>
Akt, aus bloßer Phantaſieaufregung denn doch nicht<lb/>
erklärlich, iſt Beweis einer radikalen innern Ver¬<lb/>
pfropfung, das Uebel iſt offenbar in den Magen<lb/>
niedergeſtiegen, iſt ganz zur hölliſchen Grippe ge¬<lb/>
worden; von nun an begleite Räuſpern, Huſten, unend¬<lb/>
liches Schnäuzen jeden Schritt des Unglücklichen! So<lb/>
gelangen wir zur Mordſzene; hier leiſte der Künſtler<lb/>
das Höchſte! Othello iſt jetzt auf dem Gipfel ſeines<lb/>
Leidens; nicht in kleinlich naturaliſtiſcher Weiſe, nein,<lb/>
ganz im furchtbar hohen Styl werde dieſes Aeußerſte<lb/>
des tragiſchen Zuſtands dargeſtellt, es ſeien Huſten¬<lb/>
anfälle erhabener Art, die wie Kanonenſchüſſe explodiren,<lb/>
endlich wird der Unſelige blauroth-grünſchwarz im<lb/>
ganzen Geſicht, er kann mit aller verzweifelten An¬<lb/>ſtrengung die im Halſe ſitzenden zähen, ſchmählichen<lb/>
Hinderniſſe nicht herauswürgen, er kann durch den Mund<lb/></p></div></body></text></TEI>
[98/0111]
ſcharfes, trockenes Huſten dem Zuhörer die Ueberzeu¬
gung einflößen, daß der Katarrh jetzt in den Hals
getreten iſt und allda wie mit einer Nadelſpitze kratzt,
kitzelt und krabbelt. Jetzt tritt das eigentliche Katarrh¬
fieber ein, das Hirn iſt eingenommen, giftig gereizt,
alles Blut im Kopf, nicht nur die Naſe iſt roth oder
blau, auch die Ohren ſind es — Sie wiſſen, mein
Herr, wie wüthend und blutdürſtig der Menſch iſt,
wenn er heiße, rothe Ohren hat —; mit Jago's Schein¬
beweiſen, ſtets erneuten Einflüſterungen ſteigt in gleichem
Schritte dieſer traurige Zuſtand, die Ohnmacht im vierten
Akt, aus bloßer Phantaſieaufregung denn doch nicht
erklärlich, iſt Beweis einer radikalen innern Ver¬
pfropfung, das Uebel iſt offenbar in den Magen
niedergeſtiegen, iſt ganz zur hölliſchen Grippe ge¬
worden; von nun an begleite Räuſpern, Huſten, unend¬
liches Schnäuzen jeden Schritt des Unglücklichen! So
gelangen wir zur Mordſzene; hier leiſte der Künſtler
das Höchſte! Othello iſt jetzt auf dem Gipfel ſeines
Leidens; nicht in kleinlich naturaliſtiſcher Weiſe, nein,
ganz im furchtbar hohen Styl werde dieſes Aeußerſte
des tragiſchen Zuſtands dargeſtellt, es ſeien Huſten¬
anfälle erhabener Art, die wie Kanonenſchüſſe explodiren,
endlich wird der Unſelige blauroth-grünſchwarz im
ganzen Geſicht, er kann mit aller verzweifelten An¬
ſtrengung die im Halſe ſitzenden zähen, ſchmählichen
Hinderniſſe nicht herauswürgen, er kann durch den Mund
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/111>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.