durch den Kampf gegen die geistlose Regel eines conventionell gewordenen Styls sich erzeugen. So brach in der neueren deutschen Poesie der erwachte Genius im Sturme gegen Gotsched und die Franzosen zuerst als hoch angeschwelltes, überschwengliches Gefühl hervor; diese Stimmung brütet wie eine heiße, zitternde Luft, in die sich alle Bestimmtheit der Umrisse auflöst, über den ersten Poesieen der jugendlich drängenden Geister. Klop- stock's Messias wurde, wie es Gervinus treffend bezeichnet hat, mehr ein Oratorium, als ein Epos, Herder's und Göthe's Styl war ein Sprudeln des übervollen Herzens, das sich athemlos in Ausrufungen und Gedanken- strichen bewegt und die Herrlichkeit der neu aufgegangenen inneren Welt zu verletzen fürchtet, wenn es zur Ruhe objectiver Gestaltung übergienge. Das hatte freilich seinen tieferen und allgemeineren Grund in dem Charakter einer geistigen Revolution, welche, ergänzend, was die Reformation begonnen, dem Subjecte zuerst das Bewußtsein seiner freien Unendlichkeit gab, ohne ihm noch den Weg zu zeigen, wie sich dieselbe mit der Erfahrung, mit der Schranke des Endlichen zu vermitteln habe; wie daher die politische Revo- lution nicht zu bauen vermochte, so die geistige nicht, ein klares Weltbild zu geben. Vergl. hiezu §. 477. Ohne die Kraft und Frische, die sie in jener ersten Zeit der ächten Sentimentalität hatte, blieb die Subjectivität ein Grundzug der modernen Zeit, der sich auf Kosten der Gestaltung in die Poesie legte. Es äußert sich dieß nicht nur darin, daß das Lyrische im Epischen und Dramatischen überwuchert, die festen Grenzen der Zweige löst und Zwitterformen hervorbringt, sondern auch im Lyrischen selbst, denn wie sehr dieser Zweig der Musik verwandt sein mag, so verlangt er doch seine Bestimmtheit, Deutlichkeit, seine Art von Objectivität. Ein Beispiel des musikalisch Nebelhaften sind namentlich die lyrischen Dichtungen Tieck's: sie wirken, als hätte man zu starken Thee getrunken und befände sich in einer Ueberspannung aller Nerven, die der Seele eine unendliche Hebung ihrer Kräfte vorspiegelt, ein inneres Sausen, Summen und Weben, wobei schlechterdings nichts zu denken ist und das etwa einem verworrenen Phan- tasiren auf dem Clavier gleicht. -- Musikalisch subjectiv ist auch die unend- liche Masse von lyrischen Erzeugnissen jenes Dilettantismus zu nennen, dem die Leichtigkeit, in einer längst zugerichteten Dichtersprache Verse zu machen, den Mangel des Talents, der Originalität verhüllt: allgemeine Empfindungen, wie sie in jedem menschlichen Leben wiederkehren, ausge- drückt in verbrauchtem Apparate, gelten für Poesie, weil sie eben Empfin- dungen sind.
Die andere Art des Uebergriffs in die Musik liegt auf der formellen Seite: das Vehikel, der Rhythmus, die Sprachform, wird zum Zwecke. Die Versuchung hiezu entspringt daraus, daß das Vehikel allerdings, obwohl es nicht Material ist (vergl. §. 839, 3.), von der Idealität der Stimmung
durch den Kampf gegen die geiſtloſe Regel eines conventionell gewordenen Styls ſich erzeugen. So brach in der neueren deutſchen Poeſie der erwachte Genius im Sturme gegen Gotſched und die Franzoſen zuerſt als hoch angeſchwelltes, überſchwengliches Gefühl hervor; dieſe Stimmung brütet wie eine heiße, zitternde Luft, in die ſich alle Beſtimmtheit der Umriſſe auflöst, über den erſten Poeſieen der jugendlich drängenden Geiſter. Klop- ſtock’s Meſſias wurde, wie es Gervinus treffend bezeichnet hat, mehr ein Oratorium, als ein Epos, Herder’s und Göthe’s Styl war ein Sprudeln des übervollen Herzens, das ſich athemlos in Ausrufungen und Gedanken- ſtrichen bewegt und die Herrlichkeit der neu aufgegangenen inneren Welt zu verletzen fürchtet, wenn es zur Ruhe objectiver Geſtaltung übergienge. Das hatte freilich ſeinen tieferen und allgemeineren Grund in dem Charakter einer geiſtigen Revolution, welche, ergänzend, was die Reformation begonnen, dem Subjecte zuerſt das Bewußtſein ſeiner freien Unendlichkeit gab, ohne ihm noch den Weg zu zeigen, wie ſich dieſelbe mit der Erfahrung, mit der Schranke des Endlichen zu vermitteln habe; wie daher die politiſche Revo- lution nicht zu bauen vermochte, ſo die geiſtige nicht, ein klares Weltbild zu geben. Vergl. hiezu §. 477. Ohne die Kraft und Friſche, die ſie in jener erſten Zeit der ächten Sentimentalität hatte, blieb die Subjectivität ein Grundzug der modernen Zeit, der ſich auf Koſten der Geſtaltung in die Poeſie legte. Es äußert ſich dieß nicht nur darin, daß das Lyriſche im Epiſchen und Dramatiſchen überwuchert, die feſten Grenzen der Zweige löst und Zwitterformen hervorbringt, ſondern auch im Lyriſchen ſelbſt, denn wie ſehr dieſer Zweig der Muſik verwandt ſein mag, ſo verlangt er doch ſeine Beſtimmtheit, Deutlichkeit, ſeine Art von Objectivität. Ein Beiſpiel des muſikaliſch Nebelhaften ſind namentlich die lyriſchen Dichtungen Tieck’s: ſie wirken, als hätte man zu ſtarken Thee getrunken und befände ſich in einer Ueberſpannung aller Nerven, die der Seele eine unendliche Hebung ihrer Kräfte vorſpiegelt, ein inneres Sauſen, Summen und Weben, wobei ſchlechterdings nichts zu denken iſt und das etwa einem verworrenen Phan- taſiren auf dem Clavier gleicht. — Muſikaliſch ſubjectiv iſt auch die unend- liche Maſſe von lyriſchen Erzeugniſſen jenes Dilettantismus zu nennen, dem die Leichtigkeit, in einer längſt zugerichteten Dichterſprache Verſe zu machen, den Mangel des Talents, der Originalität verhüllt: allgemeine Empfindungen, wie ſie in jedem menſchlichen Leben wiederkehren, ausge- drückt in verbrauchtem Apparate, gelten für Poeſie, weil ſie eben Empfin- dungen ſind.
Die andere Art des Uebergriffs in die Muſik liegt auf der formellen Seite: das Vehikel, der Rhythmus, die Sprachform, wird zum Zwecke. Die Verſuchung hiezu entſpringt daraus, daß das Vehikel allerdings, obwohl es nicht Material iſt (vergl. §. 839, 3.), von der Idealität der Stimmung
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[1198/0062]
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Styls ſich erzeugen. So brach in der neueren deutſchen Poeſie der erwachte
Genius im Sturme gegen Gotſched und die Franzoſen zuerſt als hoch
angeſchwelltes, überſchwengliches Gefühl hervor; dieſe Stimmung brütet
wie eine heiße, zitternde Luft, in die ſich alle Beſtimmtheit der Umriſſe
auflöst, über den erſten Poeſieen der jugendlich drängenden Geiſter. Klop-
ſtock’s Meſſias wurde, wie es Gervinus treffend bezeichnet hat, mehr ein
Oratorium, als ein Epos, Herder’s und Göthe’s Styl war ein Sprudeln
des übervollen Herzens, das ſich athemlos in Ausrufungen und Gedanken-
ſtrichen bewegt und die Herrlichkeit der neu aufgegangenen inneren Welt
zu verletzen fürchtet, wenn es zur Ruhe objectiver Geſtaltung übergienge.
Das hatte freilich ſeinen tieferen und allgemeineren Grund in dem Charakter
einer geiſtigen Revolution, welche, ergänzend, was die Reformation begonnen,
dem Subjecte zuerſt das Bewußtſein ſeiner freien Unendlichkeit gab, ohne
ihm noch den Weg zu zeigen, wie ſich dieſelbe mit der Erfahrung, mit der
Schranke des Endlichen zu vermitteln habe; wie daher die politiſche Revo-
lution nicht zu bauen vermochte, ſo die geiſtige nicht, ein klares Weltbild
zu geben. Vergl. hiezu §. 477. Ohne die Kraft und Friſche, die ſie in
jener erſten Zeit der ächten Sentimentalität hatte, blieb die Subjectivität
ein Grundzug der modernen Zeit, der ſich auf Koſten der Geſtaltung in
die Poeſie legte. Es äußert ſich dieß nicht nur darin, daß das Lyriſche im
Epiſchen und Dramatiſchen überwuchert, die feſten Grenzen der Zweige
löst und Zwitterformen hervorbringt, ſondern auch im Lyriſchen ſelbſt, denn
wie ſehr dieſer Zweig der Muſik verwandt ſein mag, ſo verlangt er doch
ſeine Beſtimmtheit, Deutlichkeit, ſeine Art von Objectivität. Ein Beiſpiel
des muſikaliſch Nebelhaften ſind namentlich die lyriſchen Dichtungen Tieck’s:
ſie wirken, als hätte man zu ſtarken Thee getrunken und befände ſich in
einer Ueberſpannung aller Nerven, die der Seele eine unendliche Hebung
ihrer Kräfte vorſpiegelt, ein inneres Sauſen, Summen und Weben, wobei
ſchlechterdings nichts zu denken iſt und das etwa einem verworrenen Phan-
taſiren auf dem Clavier gleicht. — Muſikaliſch ſubjectiv iſt auch die unend-
liche Maſſe von lyriſchen Erzeugniſſen jenes Dilettantismus zu nennen,
dem die Leichtigkeit, in einer längſt zugerichteten Dichterſprache Verſe zu
machen, den Mangel des Talents, der Originalität verhüllt: allgemeine
Empfindungen, wie ſie in jedem menſchlichen Leben wiederkehren, ausge-
drückt in verbrauchtem Apparate, gelten für Poeſie, weil ſie eben Empfin-
dungen ſind.
Die andere Art des Uebergriffs in die Muſik liegt auf der formellen
Seite: das Vehikel, der Rhythmus, die Sprachform, wird zum Zwecke.
Die Verſuchung hiezu entſpringt daraus, daß das Vehikel allerdings, obwohl
es nicht Material iſt (vergl. §. 839, 3.), von der Idealität der Stimmung
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/62>, abgerufen am 24.11.2024.
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