Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.
Zunge, aber so ganz in der Weise der Innerlichkeit der Empfindung, daß §. 838. Die Poesie ist aber als die subjectiv-objective Kunstform auch die Tota- Es ist jetzt näher zu bestimmen, wie die Poesie den Gegensatz der
Zunge, aber ſo ganz in der Weiſe der Innerlichkeit der Empfindung, daß §. 838. Die Poeſie iſt aber als die ſubjectiv-objective Kunſtform auch die Tota- Es iſt jetzt näher zu beſtimmen, wie die Poeſie den Gegenſatz der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0035" n="1171"/> Zunge, aber ſo ganz in der Weiſe der Innerlichkeit der Empfindung, daß<lb/> er gerade noch unbewußter erſcheint, als namentlich die Maler-Natur, die<lb/> hellblickendſte und am meiſten geſchüttelte in der Gruppe der bildenden<lb/> Künſtler. Der Dichter aber wird ſich zu andern Künſtlern verhalten wie<lb/> (in allem tiefen Unterſchiede) der Philoſoph zu den Männern der Fachwiſſen-<lb/> ſchaften, vor ihm liegt das Leben enthüllt, er hat das Räthſel gefunden.<lb/> Die geiſtige Gelöstheit, durch die er ſich auszeichnet, hat ihre negative<lb/> Grundlage in der ungleich leichtern Beherrſchung des Vehikels, das an die<lb/> Stelle des Materials getreten iſt: der Dichter iſt weniger, als jeder andere<lb/> Künſtler, Handwerker, der Geiſt hat daher wirklich auch weit mehr ſeine<lb/> Zeit frei für ſinnendes Umſchauen und Durchdringen der Dinge. Der<lb/> poſitive Grund aber liegt in dem Weſen ſeiner Kunſt, wie es aufgezeigt iſt.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 838.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die Poeſie iſt aber als die ſubjectiv-objective Kunſtform auch die <hi rendition="#g">Tota-<lb/> lität der andern Künſte</hi>. Auf der einen Seite hat ſie (vgl. §. 834 u. 835)<lb/> das Reich der <hi rendition="#g">bildenden Künſte</hi> im Beſitze: ſie bildet nicht nur ihr Ver-<lb/> fahren nach, ſondern umfaßt überhaupt ihre Gegenſtände, und zwar, wie keine<lb/> von ihnen, in unbeſchränkter Ausdehnung, ſo daß ſie die ganze ſichtbare Welt<lb/> vor dem innern Auge ausbreitet. Dazu kommt noch, daß der Dichter auch<lb/> Taſtſinn, Geruch und Geſchmack (vergl. §. 71) bedingter Weiſe in Wirkung<lb/> ſetzen kann.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Es iſt jetzt näher zu beſtimmen, wie die Poeſie den Gegenſatz der<lb/> Künſte, der objectiven, bildenden, und der ſubjectiven, ſtimmenden Haupt-<lb/> form ſo aufhebt, daß ſie in ſich vereinigt, was jede derſelben vor der andern<lb/> voraus hat, und ſo als die Kunſt der Künſte ſich darſtellt. Dabei iſt von<lb/> der Wiederaufnahme des Prinzipes der bildenden Kunſt auszugehen, denn<lb/> es iſt eine ebenſo weſentliche, als vielfach, namentlich in der modernen Zeit,<lb/> verkannte Grundbeſtimmung, daß der Dichter das Innere, das er darſtellen<lb/> will, in Geſtalten niederlegen, dieſe als Träger deſſelben vorführen muß.<lb/> Wer dem innern Auge nichts gibt, wer ihm nicht zeichnen kann, iſt kein<lb/> Dichter. Das iſt die μιμησις der Alten: objective Darſtellung; dadurch<lb/> iſt der Künſtler ποιητὴς. „Jeden, der im Stande iſt, ſeinen Empfindungs-<lb/> zuſtand <hi rendition="#g">in ein Object zu legen</hi>, ſo daß dieſes Object mich nöthigt,<lb/> in jenen Empfindungszuſtand überzugehen, folglich lebendig auf mich wirkt,<lb/> heiße ich einen Poeten, einen <hi rendition="#g">Macher</hi>,“ dieſes Wort Schiller’s (Brief-<lb/> wechſel mit Göthe Th. 6. S. 35), das wir zu §. 392, <hi rendition="#sub">1</hi>. in weiterer<lb/> Bedeutung ſchon angeführt haben, gilt hier natürlich in ſeiner engſten.<lb/> Mancher hält ſich für einen Dichter, weil er ein paar Gefühle in Verſe<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1171/0035]
Zunge, aber ſo ganz in der Weiſe der Innerlichkeit der Empfindung, daß
er gerade noch unbewußter erſcheint, als namentlich die Maler-Natur, die
hellblickendſte und am meiſten geſchüttelte in der Gruppe der bildenden
Künſtler. Der Dichter aber wird ſich zu andern Künſtlern verhalten wie
(in allem tiefen Unterſchiede) der Philoſoph zu den Männern der Fachwiſſen-
ſchaften, vor ihm liegt das Leben enthüllt, er hat das Räthſel gefunden.
Die geiſtige Gelöstheit, durch die er ſich auszeichnet, hat ihre negative
Grundlage in der ungleich leichtern Beherrſchung des Vehikels, das an die
Stelle des Materials getreten iſt: der Dichter iſt weniger, als jeder andere
Künſtler, Handwerker, der Geiſt hat daher wirklich auch weit mehr ſeine
Zeit frei für ſinnendes Umſchauen und Durchdringen der Dinge. Der
poſitive Grund aber liegt in dem Weſen ſeiner Kunſt, wie es aufgezeigt iſt.
§. 838.
Die Poeſie iſt aber als die ſubjectiv-objective Kunſtform auch die Tota-
lität der andern Künſte. Auf der einen Seite hat ſie (vgl. §. 834 u. 835)
das Reich der bildenden Künſte im Beſitze: ſie bildet nicht nur ihr Ver-
fahren nach, ſondern umfaßt überhaupt ihre Gegenſtände, und zwar, wie keine
von ihnen, in unbeſchränkter Ausdehnung, ſo daß ſie die ganze ſichtbare Welt
vor dem innern Auge ausbreitet. Dazu kommt noch, daß der Dichter auch
Taſtſinn, Geruch und Geſchmack (vergl. §. 71) bedingter Weiſe in Wirkung
ſetzen kann.
Es iſt jetzt näher zu beſtimmen, wie die Poeſie den Gegenſatz der
Künſte, der objectiven, bildenden, und der ſubjectiven, ſtimmenden Haupt-
form ſo aufhebt, daß ſie in ſich vereinigt, was jede derſelben vor der andern
voraus hat, und ſo als die Kunſt der Künſte ſich darſtellt. Dabei iſt von
der Wiederaufnahme des Prinzipes der bildenden Kunſt auszugehen, denn
es iſt eine ebenſo weſentliche, als vielfach, namentlich in der modernen Zeit,
verkannte Grundbeſtimmung, daß der Dichter das Innere, das er darſtellen
will, in Geſtalten niederlegen, dieſe als Träger deſſelben vorführen muß.
Wer dem innern Auge nichts gibt, wer ihm nicht zeichnen kann, iſt kein
Dichter. Das iſt die μιμησις der Alten: objective Darſtellung; dadurch
iſt der Künſtler ποιητὴς. „Jeden, der im Stande iſt, ſeinen Empfindungs-
zuſtand in ein Object zu legen, ſo daß dieſes Object mich nöthigt,
in jenen Empfindungszuſtand überzugehen, folglich lebendig auf mich wirkt,
heiße ich einen Poeten, einen Macher,“ dieſes Wort Schiller’s (Brief-
wechſel mit Göthe Th. 6. S. 35), das wir zu §. 392, 1. in weiterer
Bedeutung ſchon angeführt haben, gilt hier natürlich in ſeiner engſten.
Mancher hält ſich für einen Dichter, weil er ein paar Gefühle in Verſe
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