die concentrirtesten Affecte hervorrufen können. Es folgt einfach aus dem Wesen des Schönen, daß diese Hebel nur objectiv verwendet werden sollen, d. h. daß das Wilde und Ueppige nur entfesselt werden darf in einem Zu- sammenhang, der ihm durch einen großen und gesunden Inhalt seine stoff- artige Spitze bricht und aus der Vollendung der Form hervorleuchtend dem Heißesten selbst eine ideale Kühle gibt; sonst fällt die Poesie unter ihren schönsten Beruf herab, worin sich alles hier Gesagte zusammenfaßt: ent- schiedener, als jede andere Kunst, die Idee durch die begrenzte Erscheinung hindurchscheinen zu lassen. Alle Kunst stellt für die Phantasie dar, "die Einbildungskraft durch die Einbildungskraft zu entzünden, ist das Geheimniß des Künstlers" (W. v. Humboldt. Aesth. Versuche. W. B. 4, S. 19), aber die bildenden Künste stellen einen Körper in die Mitte zwischen die Phantasie des Künstlers und Zuschauers, der Musiker bedarf noch eines solchen, um die Tonwelle zu erzeugen, welche er zur Erscheinung des Bildes seiner empfindenden Phantasie gestaltet; der Dichter aber weckt unmittelbar Phan- tasie mit Phantasie und macht sein Bild nur so äußerlich, daß es in der Veräußerung innerlich bleibt. Daher geht ihm nichts ver- loren von der Unendlichkeit, deren wunderbarer Hauch das Object der Anschauung umschwebt, sobald es durch die Einbildungskraft innerlich gesetzt ist (vergl. §. 388), und die natürlich nicht verschwindet, sondern wächst, wenn sich dieser Act zur Phantasie steigert. Es ist zu §. 388 gesagt, die Vergeistigung bemächtige sich in dem Momente, wo das Angeschaute zum innern Bilde wird, obwohl es qualitativ noch nicht zum schönen umgeschaffen sei, sozusagen erst der Umrisse und mache sie erzittern, in unendlichen Wieder- hall des subjectiven Gefühls verschweben, es ist an die grenzenlose Geister- gewalt des Furchtbaren erinnert, das wir genöthigt werden uns vorzustellen, während wir es nicht sehen. Wir kommen an seinem Orte darauf zurück, wie der Dichtkunst die besondern Wirkungen, die in diesen Zusammenhang gehören, erst wahrhaft zu Gebot stehen. Die Geistigkeit des einzelnen Zuges im poetischen Bilde ist aber zugleich ein Theil der geistigen Durchsichtigkeit, der in dieser Kunst wie in keiner andern das Ganze durchdringt. Sie betont mit jedem Strich ihres Gemäldes nachdrücklicher, als die übrigen Künste, die ideale Einheit, welcher alle Theile desselben dienen. Der Ausdruck herrscht hier ähnlich wie in der Malerei, aber auf höherer Stufe, daher intensiver über die Form. Isolirt sich ein Theil des Kunstwerks und dient nicht der Idee, so ist das Wesen dieser Kunst noch schuldhafter verletzt, als wenn ebendieß in der bildenden geschieht, denn ihre Gestalten sind geistig schwebend und flüssig, das Beziehungsvolle ist ihr Element. Nun offenbart das Schöne in der bestimmten Idee die absolute Idee (§. 15); indem es ein Individuum zeigt, das ganz Individuum ist und doch ganz seiner Gattung entspricht, alle Gattungen und deren Individuen aber Glieder des Einen Weltganzen
die concentrirteſten Affecte hervorrufen können. Es folgt einfach aus dem Weſen des Schönen, daß dieſe Hebel nur objectiv verwendet werden ſollen, d. h. daß das Wilde und Ueppige nur entfeſſelt werden darf in einem Zu- ſammenhang, der ihm durch einen großen und geſunden Inhalt ſeine ſtoff- artige Spitze bricht und aus der Vollendung der Form hervorleuchtend dem Heißeſten ſelbſt eine ideale Kühle gibt; ſonſt fällt die Poeſie unter ihren ſchönſten Beruf herab, worin ſich alles hier Geſagte zuſammenfaßt: ent- ſchiedener, als jede andere Kunſt, die Idee durch die begrenzte Erſcheinung hindurchſcheinen zu laſſen. Alle Kunſt ſtellt für die Phantaſie dar, „die Einbildungskraft durch die Einbildungskraft zu entzünden, iſt das Geheimniß des Künſtlers“ (W. v. Humboldt. Aeſth. Verſuche. W. B. 4, S. 19), aber die bildenden Künſte ſtellen einen Körper in die Mitte zwiſchen die Phantaſie des Künſtlers und Zuſchauers, der Muſiker bedarf noch eines ſolchen, um die Tonwelle zu erzeugen, welche er zur Erſcheinung des Bildes ſeiner empfindenden Phantaſie geſtaltet; der Dichter aber weckt unmittelbar Phan- taſie mit Phantaſie und macht ſein Bild nur ſo äußerlich, daß es in der Veräußerung innerlich bleibt. Daher geht ihm nichts ver- loren von der Unendlichkeit, deren wunderbarer Hauch das Object der Anſchauung umſchwebt, ſobald es durch die Einbildungskraft innerlich geſetzt iſt (vergl. §. 388), und die natürlich nicht verſchwindet, ſondern wächst, wenn ſich dieſer Act zur Phantaſie ſteigert. Es iſt zu §. 388 geſagt, die Vergeiſtigung bemächtige ſich in dem Momente, wo das Angeſchaute zum innern Bilde wird, obwohl es qualitativ noch nicht zum ſchönen umgeſchaffen ſei, ſozuſagen erſt der Umriſſe und mache ſie erzittern, in unendlichen Wieder- hall des ſubjectiven Gefühls verſchweben, es iſt an die grenzenloſe Geiſter- gewalt des Furchtbaren erinnert, das wir genöthigt werden uns vorzuſtellen, während wir es nicht ſehen. Wir kommen an ſeinem Orte darauf zurück, wie der Dichtkunſt die beſondern Wirkungen, die in dieſen Zuſammenhang gehören, erſt wahrhaft zu Gebot ſtehen. Die Geiſtigkeit des einzelnen Zuges im poetiſchen Bilde iſt aber zugleich ein Theil der geiſtigen Durchſichtigkeit, der in dieſer Kunſt wie in keiner andern das Ganze durchdringt. Sie betont mit jedem Strich ihres Gemäldes nachdrücklicher, als die übrigen Künſte, die ideale Einheit, welcher alle Theile deſſelben dienen. Der Ausdruck herrſcht hier ähnlich wie in der Malerei, aber auf höherer Stufe, daher intenſiver über die Form. Iſolirt ſich ein Theil des Kunſtwerks und dient nicht der Idee, ſo iſt das Weſen dieſer Kunſt noch ſchuldhafter verletzt, als wenn ebendieß in der bildenden geſchieht, denn ihre Geſtalten ſind geiſtig ſchwebend und flüſſig, das Beziehungsvolle iſt ihr Element. Nun offenbart das Schöne in der beſtimmten Idee die abſolute Idee (§. 15); indem es ein Individuum zeigt, das ganz Individuum iſt und doch ganz ſeiner Gattung entſpricht, alle Gattungen und deren Individuen aber Glieder des Einen Weltganzen
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[1169/0033]
die concentrirteſten Affecte hervorrufen können. Es folgt einfach aus dem
Weſen des Schönen, daß dieſe Hebel nur objectiv verwendet werden ſollen,
d. h. daß das Wilde und Ueppige nur entfeſſelt werden darf in einem Zu-
ſammenhang, der ihm durch einen großen und geſunden Inhalt ſeine ſtoff-
artige Spitze bricht und aus der Vollendung der Form hervorleuchtend dem
Heißeſten ſelbſt eine ideale Kühle gibt; ſonſt fällt die Poeſie unter ihren
ſchönſten Beruf herab, worin ſich alles hier Geſagte zuſammenfaßt: ent-
ſchiedener, als jede andere Kunſt, die Idee durch die begrenzte Erſcheinung
hindurchſcheinen zu laſſen. Alle Kunſt ſtellt für die Phantaſie dar, „die
Einbildungskraft durch die Einbildungskraft zu entzünden, iſt das Geheimniß
des Künſtlers“ (W. v. Humboldt. Aeſth. Verſuche. W. B. 4, S. 19), aber
die bildenden Künſte ſtellen einen Körper in die Mitte zwiſchen die Phantaſie
des Künſtlers und Zuſchauers, der Muſiker bedarf noch eines ſolchen, um
die Tonwelle zu erzeugen, welche er zur Erſcheinung des Bildes ſeiner
empfindenden Phantaſie geſtaltet; der Dichter aber weckt unmittelbar Phan-
taſie mit Phantaſie und macht ſein Bild nur ſo äußerlich, daß es in
der Veräußerung innerlich bleibt. Daher geht ihm nichts ver-
loren von der Unendlichkeit, deren wunderbarer Hauch das Object der
Anſchauung umſchwebt, ſobald es durch die Einbildungskraft innerlich geſetzt
iſt (vergl. §. 388), und die natürlich nicht verſchwindet, ſondern wächst,
wenn ſich dieſer Act zur Phantaſie ſteigert. Es iſt zu §. 388 geſagt, die
Vergeiſtigung bemächtige ſich in dem Momente, wo das Angeſchaute zum
innern Bilde wird, obwohl es qualitativ noch nicht zum ſchönen umgeſchaffen
ſei, ſozuſagen erſt der Umriſſe und mache ſie erzittern, in unendlichen Wieder-
hall des ſubjectiven Gefühls verſchweben, es iſt an die grenzenloſe Geiſter-
gewalt des Furchtbaren erinnert, das wir genöthigt werden uns vorzuſtellen,
während wir es nicht ſehen. Wir kommen an ſeinem Orte darauf zurück,
wie der Dichtkunſt die beſondern Wirkungen, die in dieſen Zuſammenhang
gehören, erſt wahrhaft zu Gebot ſtehen. Die Geiſtigkeit des einzelnen Zuges
im poetiſchen Bilde iſt aber zugleich ein Theil der geiſtigen Durchſichtigkeit,
der in dieſer Kunſt wie in keiner andern das Ganze durchdringt. Sie betont
mit jedem Strich ihres Gemäldes nachdrücklicher, als die übrigen Künſte,
die ideale Einheit, welcher alle Theile deſſelben dienen. Der Ausdruck herrſcht
hier ähnlich wie in der Malerei, aber auf höherer Stufe, daher intenſiver
über die Form. Iſolirt ſich ein Theil des Kunſtwerks und dient nicht der
Idee, ſo iſt das Weſen dieſer Kunſt noch ſchuldhafter verletzt, als wenn
ebendieß in der bildenden geſchieht, denn ihre Geſtalten ſind geiſtig ſchwebend
und flüſſig, das Beziehungsvolle iſt ihr Element. Nun offenbart das Schöne
in der beſtimmten Idee die abſolute Idee (§. 15); indem es ein Individuum
zeigt, das ganz Individuum iſt und doch ganz ſeiner Gattung entſpricht,
alle Gattungen und deren Individuen aber Glieder des Einen Weltganzen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/33>, abgerufen am 24.11.2024.
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