Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.
heraushebt, wird er auch nach dieser Seite der Stimmung jenen Ausdruck §. 918. Die moderne Komödie liebt, namentlich um der Bedeutung willen, die sie Es ist hier nicht die Rede von jenem Ernste, der den Einen Pol im
heraushebt, wird er auch nach dieſer Seite der Stimmung jenen Ausdruck §. 918. Die moderne Komödie liebt, namentlich um der Bedeutung willen, die ſie Es iſt hier nicht die Rede von jenem Ernſte, der den Einen Pol im <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0303" n="1439"/> heraushebt, wird er auch nach dieſer Seite der Stimmung jenen Ausdruck<lb/> geben, daß wir in einer andern, als der gemeinen Welt, uns befinden. Ein<lb/> Wechſel kühner Versformen wird ſich einer modernen hohen Komödie ebenſo<lb/> natürlich darbieten, wie der Ariſtophaniſchen. Der charakteriſtiſche Styl<lb/> ſpricht dagegen zwar nicht nothwendig, aber mit Fug und Recht, je enger<lb/> er in die Zuſtände der wirklichen Geſellſchaft hereintritt, in Proſa. Er iſt<lb/> und bleibt der höher berechtigte und herrſchende, genau, wie in der Malerei,<lb/> ja noch um ſo viel mehr, als die Poeſie das Komiſche tiefer erſchöpfen, in<lb/> ſeine engſten Falten verfolgen kann und muß.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 918.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die moderne Komödie liebt, namentlich um der Bedeutung willen, die ſie<lb/> der Leidenſchaft der Liebe beilegt, einen im ernſten Sinne ſpannenden und rüh-<lb/> renden Mittelpunct und je nach der Intenſität und Ausdehnung dieſer Seite<lb/> entſteht daher ein fließender Unterſchied zwiſchen Werken, die der Tragödie mit<lb/> glücklicher Löſung verwandt ſind, und ſolchen, die ſich in ungetheilterer Komik<lb/> bewegen (vergl. §. 914).</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Es iſt hier nicht die Rede von jenem Ernſte, der den Einen Pol im<lb/> Weſen des Komiſchen überhaupt und mit beſonderer Tiefe im Humor bildet,<lb/> ſondern von einem beſtimmten Inhalte der Fabel, der eine Spannung für<lb/> ſich in Anſpruch nimmt, die ſich Furcht- und Mitleid-erregend anläßt. Das<lb/> Eindringen ſolcher Motive in das moderne Luſtſpiel iſt zunächſt aus dem-<lb/> ſelben Grunde zu erklären wie die Polymythie der modernen Tragödie: wir<lb/> wollen eine colorirtere, vielfacher gebrochene, eine contraſtreichere Welt, und<lb/> ſo denn auch hier eine Wirkung der <hi rendition="#g">Folie</hi>, eine Schärfung des Scherzes<lb/> durch ernſte Unterlage. Dieß hat namentlich in der Compoſition den Dua-<lb/> lismus von zwei Handlungen oder Gruppen zur Folge gehabt, wovon die<lb/> eine die Ironie der andern iſt; eine Anlage, wie ſie die Spanier und Sha-<lb/> kespeare nicht nur in derjenigen Gattung lieben, die wir nicht hieher zählen,<lb/> nämlich im Tragiſchen mit glücklichem Ausgang, im Schauſpiele, ſondern<lb/> auch im Luſtſpiele, wo denn die parodirte Seite entweder im ſtrengeren<lb/> Sinn ernſtes Intereſſe in Anſpruch nimmt oder von der parodirenden we-<lb/> nigſtens durch erhöhende Sitte und Bildung abſticht. Der ſpeziellere Grund<lb/> der Einführung rührenden Ernſtes liegt in dem unendlich vertieften Intereſſe,<lb/> das die Perſönlichkeit und ihr ſubjectiver Lebensgang für den modernen<lb/> Geiſt gewonnen hat; namentlich iſt es die Liebe, die für uns mit der Ent-<lb/> wicklung des ganzen Menſchen in ſo ernſtem Zuſammenhange ſteht, daß<lb/> wir uns einen ſpannenden, ſentimentalen Grundton im Luſtſpiele nicht gern<lb/> nehmen laſſen. Damit iſt natürlich nicht die breite Phantaſieloſigkeit ge-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1439/0303]
heraushebt, wird er auch nach dieſer Seite der Stimmung jenen Ausdruck
geben, daß wir in einer andern, als der gemeinen Welt, uns befinden. Ein
Wechſel kühner Versformen wird ſich einer modernen hohen Komödie ebenſo
natürlich darbieten, wie der Ariſtophaniſchen. Der charakteriſtiſche Styl
ſpricht dagegen zwar nicht nothwendig, aber mit Fug und Recht, je enger
er in die Zuſtände der wirklichen Geſellſchaft hereintritt, in Proſa. Er iſt
und bleibt der höher berechtigte und herrſchende, genau, wie in der Malerei,
ja noch um ſo viel mehr, als die Poeſie das Komiſche tiefer erſchöpfen, in
ſeine engſten Falten verfolgen kann und muß.
§. 918.
Die moderne Komödie liebt, namentlich um der Bedeutung willen, die ſie
der Leidenſchaft der Liebe beilegt, einen im ernſten Sinne ſpannenden und rüh-
renden Mittelpunct und je nach der Intenſität und Ausdehnung dieſer Seite
entſteht daher ein fließender Unterſchied zwiſchen Werken, die der Tragödie mit
glücklicher Löſung verwandt ſind, und ſolchen, die ſich in ungetheilterer Komik
bewegen (vergl. §. 914).
Es iſt hier nicht die Rede von jenem Ernſte, der den Einen Pol im
Weſen des Komiſchen überhaupt und mit beſonderer Tiefe im Humor bildet,
ſondern von einem beſtimmten Inhalte der Fabel, der eine Spannung für
ſich in Anſpruch nimmt, die ſich Furcht- und Mitleid-erregend anläßt. Das
Eindringen ſolcher Motive in das moderne Luſtſpiel iſt zunächſt aus dem-
ſelben Grunde zu erklären wie die Polymythie der modernen Tragödie: wir
wollen eine colorirtere, vielfacher gebrochene, eine contraſtreichere Welt, und
ſo denn auch hier eine Wirkung der Folie, eine Schärfung des Scherzes
durch ernſte Unterlage. Dieß hat namentlich in der Compoſition den Dua-
lismus von zwei Handlungen oder Gruppen zur Folge gehabt, wovon die
eine die Ironie der andern iſt; eine Anlage, wie ſie die Spanier und Sha-
kespeare nicht nur in derjenigen Gattung lieben, die wir nicht hieher zählen,
nämlich im Tragiſchen mit glücklichem Ausgang, im Schauſpiele, ſondern
auch im Luſtſpiele, wo denn die parodirte Seite entweder im ſtrengeren
Sinn ernſtes Intereſſe in Anſpruch nimmt oder von der parodirenden we-
nigſtens durch erhöhende Sitte und Bildung abſticht. Der ſpeziellere Grund
der Einführung rührenden Ernſtes liegt in dem unendlich vertieften Intereſſe,
das die Perſönlichkeit und ihr ſubjectiver Lebensgang für den modernen
Geiſt gewonnen hat; namentlich iſt es die Liebe, die für uns mit der Ent-
wicklung des ganzen Menſchen in ſo ernſtem Zuſammenhange ſteht, daß
wir uns einen ſpannenden, ſentimentalen Grundton im Luſtſpiele nicht gern
nehmen laſſen. Damit iſt natürlich nicht die breite Phantaſieloſigkeit ge-
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