noch die Maske trägt, die Masken-artigen stehenden Figuren des Stotterers u. s. w. auf. Shakespeare hat den Narren noch; er ist aber im Lustspiele wirklich nicht ebenso der Urheber des charakteristischen Styls wie im ernsten Drama; wenigstens nur sofern das Charakteristische in der humoristischen Tiefe der Personen liegt: seine Fabel führt nicht so eng in die Wirklichkeit des Lebens, als der moderne Realismus es mit sich bringt, er liebt phantastische Si- tuation und Handlung. -- Dieß führt uns auf einen weiteren Grundzug des komischen Idealstyls, wie er in seiner reinsten Gestalt allerdings nur in der alten, der Aristophanischen Komödie gegeben ist: jenes Gegenbild des My- thischen in der Handlung, die wesentlich wunderbar komisch (vergl. §. 915), also grottesk ist (vergl. §. 440, 3.). Der neueren Zeit steht hiefür statt des classischen Mythus der romantische Glauben, die Elfen-, Feen-, Zauber-Welt des Occidents und Orients, Himmel und Hölle, Engel und Teufel zu Ge- bote: freilich ein anderes Element, das mit einem vertieften Gemüthsleben zusammenhängt; dennoch wird auch hier, wo es eingeführt wird und eine phantastische Fabel begründet, niemals der Grad von Detaillirung der menschlichen Verhältnisse eintreten können, welche der charakteristische Styl mit sich bringt, denn alles Herausstellen der Motive in der Form wunder- barer Personification führt irgendwie auf die einfachere Idealität des clas- sischen, plastischen Styls. Wie die typische Charakterbehandlung und die phantastischen Motive in der Fabel sich naturgemäß anziehen, zeigt Gozzi in der Vereinigung der italienischen Masken mit dem dramatisirten Feen- Mährchen; es war der Versuch einer Verjüngung der Volkskomödie, die in Gefahr stand, von dem charakteristischen Style der Kunstdichtung (Gol- doni) verdrängt zu werden, ähnlich den späteren Bestrebungen Raimund's in Wien. Es ist wahr, daß die moderne Zeit diese phantastische Komödie der Volksbühne und der Verbindung von Poesie und Musik, der höheren komischen Oper und der volksmäßigen, musikalischen Zauberposse überlassen hat, daß jene Versuche der romantischen Schule, auf den Spuren von Shakespeare's Sommernachtstraum und Gozzi's Stücken, keine gedeihliche Folge haben konnten (vergl. Hettner a. a. O. S. 165. 166); doch haben wir bereits die Meinung ausgesprochen, daß die phantastisch mythische Ko- mik sich unter günstigen Verhältnissen wieder erheben und mit großem po- litischem Stoffe verbinden könnte (auch Hettner läßt diese Aussicht unbe- nommen, S. 176 ff.); dieß geschah in den Bemerkungen zu §. 915 und es bestätigt sich nun, was dort gesagt ist, daß die Frage über das My- thische in der Lehre von der Komödie nicht zu den Unterschieden des Stoffs, sondern des Styls gehört. -- Endlich erhellt von selbst, daß der classisch ideale Styl, so weit er in der Komödie sich entwickeln kann, rhythmische Sprachform mit sich bringt; als komisches Gegenbild der Götterwelt, das die Wirklichkeit aus den Bedingungen des prosaischen Zusammenhangs
noch die Maske trägt, die Masken-artigen ſtehenden Figuren des Stotterers u. ſ. w. auf. Shakespeare hat den Narren noch; er iſt aber im Luſtſpiele wirklich nicht ebenſo der Urheber des charakteriſtiſchen Styls wie im ernſten Drama; wenigſtens nur ſofern das Charakteriſtiſche in der humoriſtiſchen Tiefe der Perſonen liegt: ſeine Fabel führt nicht ſo eng in die Wirklichkeit des Lebens, als der moderne Realismus es mit ſich bringt, er liebt phantaſtiſche Si- tuation und Handlung. — Dieß führt uns auf einen weiteren Grundzug des komiſchen Idealſtyls, wie er in ſeiner reinſten Geſtalt allerdings nur in der alten, der Ariſtophaniſchen Komödie gegeben iſt: jenes Gegenbild des My- thiſchen in der Handlung, die weſentlich wunderbar komiſch (vergl. §. 915), alſo grottesk iſt (vergl. §. 440, 3.). Der neueren Zeit ſteht hiefür ſtatt des claſſiſchen Mythus der romantiſche Glauben, die Elfen-, Feen-, Zauber-Welt des Occidents und Orients, Himmel und Hölle, Engel und Teufel zu Ge- bote: freilich ein anderes Element, das mit einem vertieften Gemüthsleben zuſammenhängt; dennoch wird auch hier, wo es eingeführt wird und eine phantaſtiſche Fabel begründet, niemals der Grad von Detaillirung der menſchlichen Verhältniſſe eintreten können, welche der charakteriſtiſche Styl mit ſich bringt, denn alles Herausſtellen der Motive in der Form wunder- barer Perſonification führt irgendwie auf die einfachere Idealität des claſ- ſiſchen, plaſtiſchen Styls. Wie die typiſche Charakterbehandlung und die phantaſtiſchen Motive in der Fabel ſich naturgemäß anziehen, zeigt Gozzi in der Vereinigung der italieniſchen Masken mit dem dramatiſirten Feen- Mährchen; es war der Verſuch einer Verjüngung der Volkskomödie, die in Gefahr ſtand, von dem charakteriſtiſchen Style der Kunſtdichtung (Gol- doni) verdrängt zu werden, ähnlich den ſpäteren Beſtrebungen Raimund’s in Wien. Es iſt wahr, daß die moderne Zeit dieſe phantaſtiſche Komödie der Volksbühne und der Verbindung von Poeſie und Muſik, der höheren komiſchen Oper und der volksmäßigen, muſikaliſchen Zauberpoſſe überlaſſen hat, daß jene Verſuche der romantiſchen Schule, auf den Spuren von Shakespeare’s Sommernachtstraum und Gozzi’s Stücken, keine gedeihliche Folge haben konnten (vergl. Hettner a. a. O. S. 165. 166); doch haben wir bereits die Meinung ausgeſprochen, daß die phantaſtiſch mythiſche Ko- mik ſich unter günſtigen Verhältniſſen wieder erheben und mit großem po- litiſchem Stoffe verbinden könnte (auch Hettner läßt dieſe Ausſicht unbe- nommen, S. 176 ff.); dieß geſchah in den Bemerkungen zu §. 915 und es beſtätigt ſich nun, was dort geſagt iſt, daß die Frage über das My- thiſche in der Lehre von der Komödie nicht zu den Unterſchieden des Stoffs, ſondern des Styls gehört. — Endlich erhellt von ſelbſt, daß der claſſiſch ideale Styl, ſo weit er in der Komödie ſich entwickeln kann, rhythmiſche Sprachform mit ſich bringt; als komiſches Gegenbild der Götterwelt, das die Wirklichkeit aus den Bedingungen des proſaiſchen Zuſammenhangs
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[1438/0302]
noch die Maske trägt, die Masken-artigen ſtehenden Figuren des Stotterers
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nicht ebenſo der Urheber des charakteriſtiſchen Styls wie im ernſten Drama;
wenigſtens nur ſofern das Charakteriſtiſche in der humoriſtiſchen Tiefe der
Perſonen liegt: ſeine Fabel führt nicht ſo eng in die Wirklichkeit des Lebens,
als der moderne Realismus es mit ſich bringt, er liebt phantaſtiſche Si-
tuation und Handlung. — Dieß führt uns auf einen weiteren Grundzug des
komiſchen Idealſtyls, wie er in ſeiner reinſten Geſtalt allerdings nur in der
alten, der Ariſtophaniſchen Komödie gegeben iſt: jenes Gegenbild des My-
thiſchen in der Handlung, die weſentlich wunderbar komiſch (vergl. §. 915),
alſo grottesk iſt (vergl. §. 440, 3.). Der neueren Zeit ſteht hiefür ſtatt des
claſſiſchen Mythus der romantiſche Glauben, die Elfen-, Feen-, Zauber-Welt
des Occidents und Orients, Himmel und Hölle, Engel und Teufel zu Ge-
bote: freilich ein anderes Element, das mit einem vertieften Gemüthsleben
zuſammenhängt; dennoch wird auch hier, wo es eingeführt wird und eine
phantaſtiſche Fabel begründet, niemals der Grad von Detaillirung der
menſchlichen Verhältniſſe eintreten können, welche der charakteriſtiſche Styl
mit ſich bringt, denn alles Herausſtellen der Motive in der Form wunder-
barer Perſonification führt irgendwie auf die einfachere Idealität des claſ-
ſiſchen, plaſtiſchen Styls. Wie die typiſche Charakterbehandlung und die
phantaſtiſchen Motive in der Fabel ſich naturgemäß anziehen, zeigt Gozzi
in der Vereinigung der italieniſchen Masken mit dem dramatiſirten Feen-
Mährchen; es war der Verſuch einer Verjüngung der Volkskomödie, die
in Gefahr ſtand, von dem charakteriſtiſchen Style der Kunſtdichtung (Gol-
doni) verdrängt zu werden, ähnlich den ſpäteren Beſtrebungen Raimund’s
in Wien. Es iſt wahr, daß die moderne Zeit dieſe phantaſtiſche Komödie
der Volksbühne und der Verbindung von Poeſie und Muſik, der höheren
komiſchen Oper und der volksmäßigen, muſikaliſchen Zauberpoſſe überlaſſen
hat, daß jene Verſuche der romantiſchen Schule, auf den Spuren von
Shakespeare’s Sommernachtstraum und Gozzi’s Stücken, keine gedeihliche
Folge haben konnten (vergl. Hettner a. a. O. S. 165. 166); doch haben
wir bereits die Meinung ausgeſprochen, daß die phantaſtiſch mythiſche Ko-
mik ſich unter günſtigen Verhältniſſen wieder erheben und mit großem po-
litiſchem Stoffe verbinden könnte (auch Hettner läßt dieſe Ausſicht unbe-
nommen, S. 176 ff.); dieß geſchah in den Bemerkungen zu §. 915 und
es beſtätigt ſich nun, was dort geſagt iſt, daß die Frage über das My-
thiſche in der Lehre von der Komödie nicht zu den Unterſchieden des Stoffs,
ſondern des Styls gehört. — Endlich erhellt von ſelbſt, daß der claſſiſch
ideale Styl, ſo weit er in der Komödie ſich entwickeln kann, rhythmiſche
Sprachform mit ſich bringt; als komiſches Gegenbild der Götterwelt, das
die Wirklichkeit aus den Bedingungen des proſaiſchen Zuſammenhangs
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/302>, abgerufen am 22.11.2024.
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