charakteristischen und eines classisch idealen Styles ist daher für die Komödie ein im engsten Sinne nur relativer und Aristophanes selbst im Vergleiche mit Sophokles so naturalistisch und individualisirend, als Rembrandt und Teniers im Vergleiche mit Raphael. Trotz dieser Relativität ist der Styl- Unterschied vorhanden. Der §. setzt ihn zunächst in die Behandlung des Charakters. Die Komödie der romanischen Völker hat denselben, wie in anderem Zusammenhang schon öfters gesagt worden ist, von jeher typisch behandelt: es sind die Masken-artig scharfgeschnittenen Figuren des zärt- lichen Vaters, gutmüthigen Polterers, schelmischen und dummen Bedienten, Geizhalses, Charlatans, Hypochondristen, Heuchlers, Intriguanten, Renom- misten, Biedermanns u. s. w., die in der Schauspielkunst Rollen-Fächer heißen. Die Typen sind durch ihre Einfachheit schlagend, entschieden aus- geprägt wie das Bild menschlicher Eigenschaften in den Charakteren der Thierwelt, aber es sind keine wahren Individuen mit der verwickelten, un- ausmeßbaren Vielheit von Eigenschaften, die das wirkliche Einzelwesen, so bestimmt auch Eine Eigenschaft in ihm herrschen mag, charakterisiren. Diese Richtung des Geistes der romanischen Komödie stammt durch verwandte Anschauungsweise und wirkliche Nachahmung von der neueren Komödie der Alten; ihre Charaktere sind die reinen Abkömmlinge der letzteren, und diese, obwohl sie in anderer Beziehung den Aufgang des charakteristischen Styls darstellt, ist doch in der Charakterbehandlung auf ihre Art einfach und un- colorirt wie die Statuen-artigen Gestalten der antiken Tragödie; es sind ungleich mehr empirische Züge aufgenommen, aber weit nicht so viele, als der porträt-artige Blick der germanischen Auffassungsweise ergreift und auf- nimmt. Dieß läuft denn schließlich auf den Standpunct des mythischen Bewußtseins zurück, dem doch auch die neuere Komödie des antiken Thea- ters noch angehört: die Gewohnheit, die allgemeinen Grundzüge des Lebens, herausgehoben aus der Verwicklung des Empirischen, in absoluten Personen zu objectiviren, wirkt vereinfachend, nur die wesentlichen Züge entwickelnd auf die Charakterzeichnung in der Kunst. Sie äußert sich aber auch in der besondern Form: in der Person des Narren, des Hanswursts, der in der neueren Komödie der Griechen und bestimmter in der römischen schon auftaucht, im Mittelalter fortlebt und in den Anfängen der modernen Komödie, wie noch heute im Volkslustspiel, seine große Rolle behauptet. An dieser Figur kann man recht den Unterschied der Style erkennen, denn im charakteristischen ist Alles gegenseitig bedingt, die Komik liegt im dialektischen Zusammenhange des Ganzen und ist an die Einzelnen nach Maaßgabe ihres motivirten Verhältnisses zu der Handlung vertheilt, der Narr dagegen hat in der Handlung nur eine scheinbare Rolle und ist eigentlich die Per- songewordene, für sich herausgestellte Komik des Ganzen, ein komischer Gott. Neben ihm treten in der italienischen Volkskomödie, wo er wirklich auch
charakteriſtiſchen und eines claſſiſch idealen Styles iſt daher für die Komödie ein im engſten Sinne nur relativer und Ariſtophanes ſelbſt im Vergleiche mit Sophokles ſo naturaliſtiſch und individualiſirend, als Rembrandt und Teniers im Vergleiche mit Raphael. Trotz dieſer Relativität iſt der Styl- Unterſchied vorhanden. Der §. ſetzt ihn zunächſt in die Behandlung des Charakters. Die Komödie der romaniſchen Völker hat denſelben, wie in anderem Zuſammenhang ſchon öfters geſagt worden iſt, von jeher typiſch behandelt: es ſind die Masken-artig ſcharfgeſchnittenen Figuren des zärt- lichen Vaters, gutmüthigen Polterers, ſchelmiſchen und dummen Bedienten, Geizhalſes, Charlatans, Hypochondriſten, Heuchlers, Intriguanten, Renom- miſten, Biedermanns u. ſ. w., die in der Schauſpielkunſt Rollen-Fächer heißen. Die Typen ſind durch ihre Einfachheit ſchlagend, entſchieden aus- geprägt wie das Bild menſchlicher Eigenſchaften in den Charakteren der Thierwelt, aber es ſind keine wahren Individuen mit der verwickelten, un- ausmeßbaren Vielheit von Eigenſchaften, die das wirkliche Einzelweſen, ſo beſtimmt auch Eine Eigenſchaft in ihm herrſchen mag, charakteriſiren. Dieſe Richtung des Geiſtes der romaniſchen Komödie ſtammt durch verwandte Anſchauungsweiſe und wirkliche Nachahmung von der neueren Komödie der Alten; ihre Charaktere ſind die reinen Abkömmlinge der letzteren, und dieſe, obwohl ſie in anderer Beziehung den Aufgang des charakteriſtiſchen Styls darſtellt, iſt doch in der Charakterbehandlung auf ihre Art einfach und un- colorirt wie die Statuen-artigen Geſtalten der antiken Tragödie; es ſind ungleich mehr empiriſche Züge aufgenommen, aber weit nicht ſo viele, als der porträt-artige Blick der germaniſchen Auffaſſungsweiſe ergreift und auf- nimmt. Dieß läuft denn ſchließlich auf den Standpunct des mythiſchen Bewußtſeins zurück, dem doch auch die neuere Komödie des antiken Thea- ters noch angehört: die Gewohnheit, die allgemeinen Grundzüge des Lebens, herausgehoben aus der Verwicklung des Empiriſchen, in abſoluten Perſonen zu objectiviren, wirkt vereinfachend, nur die weſentlichen Züge entwickelnd auf die Charakterzeichnung in der Kunſt. Sie äußert ſich aber auch in der beſondern Form: in der Perſon des Narren, des Hanswurſts, der in der neueren Komödie der Griechen und beſtimmter in der römiſchen ſchon auftaucht, im Mittelalter fortlebt und in den Anfängen der modernen Komödie, wie noch heute im Volksluſtſpiel, ſeine große Rolle behauptet. An dieſer Figur kann man recht den Unterſchied der Style erkennen, denn im charakteriſtiſchen iſt Alles gegenſeitig bedingt, die Komik liegt im dialektiſchen Zuſammenhange des Ganzen und iſt an die Einzelnen nach Maaßgabe ihres motivirten Verhältniſſes zu der Handlung vertheilt, der Narr dagegen hat in der Handlung nur eine ſcheinbare Rolle und iſt eigentlich die Per- ſongewordene, für ſich herausgeſtellte Komik des Ganzen, ein komiſcher Gott. Neben ihm treten in der italieniſchen Volkskomödie, wo er wirklich auch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0301"n="1437"/>
charakteriſtiſchen und eines claſſiſch idealen Styles iſt daher für die Komödie<lb/>
ein im engſten Sinne nur relativer und Ariſtophanes ſelbſt im Vergleiche<lb/>
mit Sophokles ſo naturaliſtiſch und individualiſirend, als Rembrandt und<lb/>
Teniers im Vergleiche mit Raphael. Trotz dieſer Relativität iſt der Styl-<lb/>
Unterſchied vorhanden. Der §. ſetzt ihn zunächſt in die Behandlung des<lb/>
Charakters. Die Komödie der romaniſchen Völker hat denſelben, wie in<lb/>
anderem Zuſammenhang ſchon öfters geſagt worden iſt, von jeher typiſch<lb/>
behandelt: es ſind die Masken-artig ſcharfgeſchnittenen Figuren des zärt-<lb/>
lichen Vaters, gutmüthigen Polterers, ſchelmiſchen und dummen Bedienten,<lb/>
Geizhalſes, Charlatans, Hypochondriſten, Heuchlers, Intriguanten, Renom-<lb/>
miſten, Biedermanns u. ſ. w., die in der Schauſpielkunſt Rollen-Fächer<lb/>
heißen. Die Typen ſind durch ihre Einfachheit ſchlagend, entſchieden aus-<lb/>
geprägt wie das Bild menſchlicher Eigenſchaften in den Charakteren der<lb/>
Thierwelt, aber es ſind keine wahren Individuen mit der verwickelten, un-<lb/>
ausmeßbaren Vielheit von Eigenſchaften, die das wirkliche Einzelweſen, ſo<lb/>
beſtimmt auch Eine Eigenſchaft in ihm herrſchen mag, charakteriſiren. Dieſe<lb/>
Richtung des Geiſtes der romaniſchen Komödie ſtammt durch verwandte<lb/>
Anſchauungsweiſe und wirkliche Nachahmung von der neueren Komödie der<lb/>
Alten; ihre Charaktere ſind die reinen Abkömmlinge der letzteren, und dieſe,<lb/>
obwohl ſie in anderer Beziehung den Aufgang des charakteriſtiſchen Styls<lb/>
darſtellt, iſt doch in der Charakterbehandlung auf ihre Art einfach und un-<lb/>
colorirt wie die Statuen-artigen Geſtalten der antiken Tragödie; es ſind<lb/>
ungleich mehr empiriſche Züge aufgenommen, aber weit nicht ſo viele, als<lb/>
der porträt-artige Blick der germaniſchen Auffaſſungsweiſe ergreift und auf-<lb/>
nimmt. Dieß läuft denn ſchließlich auf den Standpunct des mythiſchen<lb/>
Bewußtſeins zurück, dem doch auch die neuere Komödie des antiken Thea-<lb/>
ters noch angehört: die Gewohnheit, die allgemeinen Grundzüge des Lebens,<lb/>
herausgehoben aus der Verwicklung des Empiriſchen, in abſoluten Perſonen<lb/>
zu objectiviren, wirkt vereinfachend, nur die weſentlichen Züge entwickelnd<lb/>
auf die Charakterzeichnung in der Kunſt. Sie äußert ſich aber auch in<lb/>
der beſondern Form: in der Perſon des Narren, des Hanswurſts, der in<lb/>
der neueren Komödie der Griechen und beſtimmter in der römiſchen ſchon<lb/>
auftaucht, im Mittelalter fortlebt und in den Anfängen der modernen<lb/>
Komödie, wie noch heute im Volksluſtſpiel, ſeine große Rolle behauptet. An<lb/>
dieſer Figur kann man recht den Unterſchied der Style erkennen, denn im<lb/>
charakteriſtiſchen iſt Alles gegenſeitig bedingt, die Komik liegt im dialektiſchen<lb/>
Zuſammenhange des Ganzen und iſt an die Einzelnen nach Maaßgabe<lb/>
ihres motivirten Verhältniſſes zu der Handlung vertheilt, der Narr dagegen<lb/>
hat in der Handlung nur eine ſcheinbare Rolle und iſt eigentlich die Per-<lb/>ſongewordene, für ſich herausgeſtellte Komik des Ganzen, ein komiſcher Gott.<lb/>
Neben ihm treten in der italieniſchen Volkskomödie, wo er wirklich auch<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[1437/0301]
charakteriſtiſchen und eines claſſiſch idealen Styles iſt daher für die Komödie
ein im engſten Sinne nur relativer und Ariſtophanes ſelbſt im Vergleiche
mit Sophokles ſo naturaliſtiſch und individualiſirend, als Rembrandt und
Teniers im Vergleiche mit Raphael. Trotz dieſer Relativität iſt der Styl-
Unterſchied vorhanden. Der §. ſetzt ihn zunächſt in die Behandlung des
Charakters. Die Komödie der romaniſchen Völker hat denſelben, wie in
anderem Zuſammenhang ſchon öfters geſagt worden iſt, von jeher typiſch
behandelt: es ſind die Masken-artig ſcharfgeſchnittenen Figuren des zärt-
lichen Vaters, gutmüthigen Polterers, ſchelmiſchen und dummen Bedienten,
Geizhalſes, Charlatans, Hypochondriſten, Heuchlers, Intriguanten, Renom-
miſten, Biedermanns u. ſ. w., die in der Schauſpielkunſt Rollen-Fächer
heißen. Die Typen ſind durch ihre Einfachheit ſchlagend, entſchieden aus-
geprägt wie das Bild menſchlicher Eigenſchaften in den Charakteren der
Thierwelt, aber es ſind keine wahren Individuen mit der verwickelten, un-
ausmeßbaren Vielheit von Eigenſchaften, die das wirkliche Einzelweſen, ſo
beſtimmt auch Eine Eigenſchaft in ihm herrſchen mag, charakteriſiren. Dieſe
Richtung des Geiſtes der romaniſchen Komödie ſtammt durch verwandte
Anſchauungsweiſe und wirkliche Nachahmung von der neueren Komödie der
Alten; ihre Charaktere ſind die reinen Abkömmlinge der letzteren, und dieſe,
obwohl ſie in anderer Beziehung den Aufgang des charakteriſtiſchen Styls
darſtellt, iſt doch in der Charakterbehandlung auf ihre Art einfach und un-
colorirt wie die Statuen-artigen Geſtalten der antiken Tragödie; es ſind
ungleich mehr empiriſche Züge aufgenommen, aber weit nicht ſo viele, als
der porträt-artige Blick der germaniſchen Auffaſſungsweiſe ergreift und auf-
nimmt. Dieß läuft denn ſchließlich auf den Standpunct des mythiſchen
Bewußtſeins zurück, dem doch auch die neuere Komödie des antiken Thea-
ters noch angehört: die Gewohnheit, die allgemeinen Grundzüge des Lebens,
herausgehoben aus der Verwicklung des Empiriſchen, in abſoluten Perſonen
zu objectiviren, wirkt vereinfachend, nur die weſentlichen Züge entwickelnd
auf die Charakterzeichnung in der Kunſt. Sie äußert ſich aber auch in
der beſondern Form: in der Perſon des Narren, des Hanswurſts, der in
der neueren Komödie der Griechen und beſtimmter in der römiſchen ſchon
auftaucht, im Mittelalter fortlebt und in den Anfängen der modernen
Komödie, wie noch heute im Volksluſtſpiel, ſeine große Rolle behauptet. An
dieſer Figur kann man recht den Unterſchied der Style erkennen, denn im
charakteriſtiſchen iſt Alles gegenſeitig bedingt, die Komik liegt im dialektiſchen
Zuſammenhange des Ganzen und iſt an die Einzelnen nach Maaßgabe
ihres motivirten Verhältniſſes zu der Handlung vertheilt, der Narr dagegen
hat in der Handlung nur eine ſcheinbare Rolle und iſt eigentlich die Per-
ſongewordene, für ſich herausgeſtellte Komik des Ganzen, ein komiſcher Gott.
Neben ihm treten in der italieniſchen Volkskomödie, wo er wirklich auch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/301>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.