Seite, die humoristische Charakterschöpfung, und entbehrt die Leichtigkeit für die formellere Seite, für die Composition der Handlung, die ja eben irgendwie immer Intrigue sein muß. So kommt es, daß der tiefer begabte Geist nichts machen kann, weil ohne Handlung kein Drama denkbar ist, und vom leichteren überholt wird, der frischweg eine Handlung erfindet und oft mit nichtigen, Schablonenhaften, selbst frivolen, nicht komischen Charakteren wie mit Rechenpfennigen witzig spielt, und daß wir in unserer Armuth noch an einem Kotzebue dankbar zehren müssen. Wir haben ähnliche Trennungen des an sich Zusammengehörigen in aller Kunst, namentlich auch in der bildenden beobachtet. Es gilt auch hier, was von allem Drama- tischen gilt, daß das Talent für die Composition der Handlung, wenn auch das weniger tiefe, doch das von der Gattung spezifischer geforderte ist. Freilich dürfen wir uns mit unserem Sinne für Charakter-Tiefe auch nicht zu sehr brüsten, er verläuft sich in eine fatale Neigung, das Seltsame, Grillenhafte, was auch nicht komische Wahrheit hat, für Tiefe der Individualität zu geben. -- Der Unterschied des Charakter- und Intriguenstücks wird und soll bleiben, aber das letztere mit leeren, blos schematischen oder blos skizzirten Charakteren ist hohl und das erstere mit schwacher Fabel bewegt sich nicht, klebt, wird bloßes Lesedrama.
§. 917.
Der Unterschied der Style ist in der Komödie von ungleich geringerer Kraft, als in der Tragödie, da die ganze Gattung vermöge der Natur des Komischen zum charakteristischen Style drängt. Der classisch ideale äußert sich theils durch mehr generalisirende, typische Behandlung der Charaktere, theils durch phantastische Personificationen und Handlung, daher das Mythische (§. 915) eigentlich hier seine Stelle findet; diese Art der komischen Idealität fordert zu- gleich rhythmische Sprachform, während dem entgegengesetzten Style die Prosa angemessen ist; ursprünglich hat sie sich mit dem politischen Stoffe verbunden.
Der Styl-Unterschied ist schon in §. 906 in Beziehung auf den Ueber- gang von der alten zur neuen Komödie in der griechischen Poesie berührt und gesagt, daß derselbe nach der einen Seite ein Fortschritt sei, weil das Wesen des Komischen auf die ausgebildete Kleinwelt des Privatlebens führe. Es folgt dieß einfach aus der Begriffs-Entwicklung dieser Grundform des Schönen im ersten Theile des Systems; der Komiker spezialisirt, detaillirt, weil er das unendlich Kleine gegen das Erhabene in den Kampf führt; was durch die Würde der tragischen Idee auch im charakteristischen Style nothwendig gebunden und gedämpft wird, die Naturwahrheit, die Einzelzüge menschlicher Eigenheit, die Härten der Existenz und jedes geselligen Verhältnisses, das eben entbindet er und sein Blick ist ein mikroskopischer. Der Gegensatz eines
Seite, die humoriſtiſche Charakterſchöpfung, und entbehrt die Leichtigkeit für die formellere Seite, für die Compoſition der Handlung, die ja eben irgendwie immer Intrigue ſein muß. So kommt es, daß der tiefer begabte Geiſt nichts machen kann, weil ohne Handlung kein Drama denkbar iſt, und vom leichteren überholt wird, der friſchweg eine Handlung erfindet und oft mit nichtigen, Schablonenhaften, ſelbſt frivolen, nicht komiſchen Charakteren wie mit Rechenpfennigen witzig ſpielt, und daß wir in unſerer Armuth noch an einem Kotzebue dankbar zehren müſſen. Wir haben ähnliche Trennungen des an ſich Zuſammengehörigen in aller Kunſt, namentlich auch in der bildenden beobachtet. Es gilt auch hier, was von allem Drama- tiſchen gilt, daß das Talent für die Compoſition der Handlung, wenn auch das weniger tiefe, doch das von der Gattung ſpezifiſcher geforderte iſt. Freilich dürfen wir uns mit unſerem Sinne für Charakter-Tiefe auch nicht zu ſehr brüſten, er verläuft ſich in eine fatale Neigung, das Seltſame, Grillenhafte, was auch nicht komiſche Wahrheit hat, für Tiefe der Individualität zu geben. — Der Unterſchied des Charakter- und Intriguenſtücks wird und ſoll bleiben, aber das letztere mit leeren, blos ſchematiſchen oder blos ſkizzirten Charakteren iſt hohl und das erſtere mit ſchwacher Fabel bewegt ſich nicht, klebt, wird bloßes Leſedrama.
§. 917.
Der Unterſchied der Style iſt in der Komödie von ungleich geringerer Kraft, als in der Tragödie, da die ganze Gattung vermöge der Natur des Komiſchen zum charakteriſtiſchen Style drängt. Der claſſiſch ideale äußert ſich theils durch mehr generaliſirende, typiſche Behandlung der Charaktere, theils durch phantaſtiſche Perſonificationen und Handlung, daher das Mythiſche (§. 915) eigentlich hier ſeine Stelle findet; dieſe Art der komiſchen Idealität fordert zu- gleich rhythmiſche Sprachform, während dem entgegengeſetzten Style die Proſa angemeſſen iſt; urſprünglich hat ſie ſich mit dem politiſchen Stoffe verbunden.
Der Styl-Unterſchied iſt ſchon in §. 906 in Beziehung auf den Ueber- gang von der alten zur neuen Komödie in der griechiſchen Poeſie berührt und geſagt, daß derſelbe nach der einen Seite ein Fortſchritt ſei, weil das Weſen des Komiſchen auf die ausgebildete Kleinwelt des Privatlebens führe. Es folgt dieß einfach aus der Begriffs-Entwicklung dieſer Grundform des Schönen im erſten Theile des Syſtems; der Komiker ſpezialiſirt, detaillirt, weil er das unendlich Kleine gegen das Erhabene in den Kampf führt; was durch die Würde der tragiſchen Idee auch im charakteriſtiſchen Style nothwendig gebunden und gedämpft wird, die Naturwahrheit, die Einzelzüge menſchlicher Eigenheit, die Härten der Exiſtenz und jedes geſelligen Verhältniſſes, das eben entbindet er und ſein Blick iſt ein mikroſkopiſcher. Der Gegenſatz eines
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[1436/0300]
Seite, die humoriſtiſche Charakterſchöpfung, und entbehrt die Leichtigkeit
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irgendwie immer Intrigue ſein muß. So kommt es, daß der tiefer begabte
Geiſt nichts machen kann, weil ohne Handlung kein Drama denkbar iſt,
und vom leichteren überholt wird, der friſchweg eine Handlung erfindet
und oft mit nichtigen, Schablonenhaften, ſelbſt frivolen, nicht komiſchen
Charakteren wie mit Rechenpfennigen witzig ſpielt, und daß wir in unſerer
Armuth noch an einem Kotzebue dankbar zehren müſſen. Wir haben ähnliche
Trennungen des an ſich Zuſammengehörigen in aller Kunſt, namentlich
auch in der bildenden beobachtet. Es gilt auch hier, was von allem Drama-
tiſchen gilt, daß das Talent für die Compoſition der Handlung, wenn auch
das weniger tiefe, doch das von der Gattung ſpezifiſcher geforderte iſt.
Freilich dürfen wir uns mit unſerem Sinne für Charakter-Tiefe auch nicht
zu ſehr brüſten, er verläuft ſich in eine fatale Neigung, das Seltſame,
Grillenhafte, was auch nicht komiſche Wahrheit hat, für Tiefe der Individualität
zu geben. — Der Unterſchied des Charakter- und Intriguenſtücks wird und
ſoll bleiben, aber das letztere mit leeren, blos ſchematiſchen oder blos ſkizzirten
Charakteren iſt hohl und das erſtere mit ſchwacher Fabel bewegt ſich nicht, klebt,
wird bloßes Leſedrama.
§. 917.
Der Unterſchied der Style iſt in der Komödie von ungleich geringerer
Kraft, als in der Tragödie, da die ganze Gattung vermöge der Natur des
Komiſchen zum charakteriſtiſchen Style drängt. Der claſſiſch ideale äußert ſich
theils durch mehr generaliſirende, typiſche Behandlung der Charaktere, theils
durch phantaſtiſche Perſonificationen und Handlung, daher das Mythiſche (§. 915)
eigentlich hier ſeine Stelle findet; dieſe Art der komiſchen Idealität fordert zu-
gleich rhythmiſche Sprachform, während dem entgegengeſetzten Style die Proſa
angemeſſen iſt; urſprünglich hat ſie ſich mit dem politiſchen Stoffe verbunden.
Der Styl-Unterſchied iſt ſchon in §. 906 in Beziehung auf den Ueber-
gang von der alten zur neuen Komödie in der griechiſchen Poeſie berührt
und geſagt, daß derſelbe nach der einen Seite ein Fortſchritt ſei, weil das
Weſen des Komiſchen auf die ausgebildete Kleinwelt des Privatlebens führe.
Es folgt dieß einfach aus der Begriffs-Entwicklung dieſer Grundform des
Schönen im erſten Theile des Syſtems; der Komiker ſpezialiſirt, detaillirt,
weil er das unendlich Kleine gegen das Erhabene in den Kampf führt; was
durch die Würde der tragiſchen Idee auch im charakteriſtiſchen Style nothwendig
gebunden und gedämpft wird, die Naturwahrheit, die Einzelzüge menſchlicher
Eigenheit, die Härten der Exiſtenz und jedes geſelligen Verhältniſſes, das
eben entbindet er und ſein Blick iſt ein mikroſkopiſcher. Der Gegenſatz eines
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/300>, abgerufen am 16.02.2025.
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