Harfners im W. Meister, an Heine's "Hirtenknaben". Rein menschlicher Gehalt ist natürlich auch im Spezifischen vorausgesetzt. Vielleicht die ganze Hälfte des lyrischen Parnasses gehört dieser einfachen Uebertragungsform an. Auch in die Natur kann der Dichter sein Inneres legen und aus ihr sprechen lassen, wie Göthe in: "der Junggesell und der Mühlbach" oder wie Anakreon durch seine Taube sagen läßt, wie es sich bei ihm lebt. -- Die zwei andern Formen dieser Gruppe sind viel weniger unmittelbar: der Dichter gibt ein kurzes Sittenbild, kleines Landschaftgemälde; er tritt nicht im eigenen, auch nicht im Namen eines Andern auf, er zeigt ein Object, aber ein gegenwärtiges, auf und läßt dasselbe so ohne alles weitere Zuthun für sich sprechen. Es scheint nichts einfacher, als ganz auf den eigenen Vortrag des Gefühls zu verzichten, es ganz in den Gegenstand zu versenken, aber dieß Verzichten geschieht mit mehr Bewußtheit, als es scheint, und zugleich hängt die Richtung mit denselben Ursachen zusammen, aus welchen in der neueren Zeit das Sittenbild und die Landschaft in der Malerei eine so bedeutende Rolle spielt: dem Interesse für die Aufdeckung immer neuer Länder, Zonen, den ethnographischen, naturwissenschaftlichen Neigungen, und allerdings zugleich der Sehnsucht nach Frischem, von der Sündfluth der Reisenden nicht Abgelecktem, also in Culturmüde, in idyllischem Bedürfnisse. So sind denn diese Formen sehr modern. Bei Heine hatten sie entschieden noch subjectiveren Ton, wie sein unheimliches Bild des Jäger- hauses "Die Nacht ist feucht und stürmisch" (Heimkehr N. V), des Pfarr- hauses (N. XXVIII) "Der bleiche, herbstliche Halbmond", das Völkerbild: "Wir saßen im Fischerhause" (N. VII), das rührende kleine Gemälde: "Das ist ein schlechtes Wetter" (N. XXIX), die liebliche Berg-Idylle aus dem Harze, diese nur leider mit dem blasirten cremor tartari stark vermischt; ebenso die vielen tief bewegten Landschaftbilder; die berühmten Strophen von der Fichte und Palme gehören nicht der vorliegenden, sondern jener ersten Form an, weil sie, obwohl in schlagend einfacher Objectivität, doch durch eine poetische Fiction einem Naturgegenstande ganz menschliches Em- pfinden leihen. Lenau's Bilder magyarischer Zustände und Haiden entwickeln bereits mehr das Object an sich und Freiligrath wird ganz zum glühenden, aber auch seinen Pinsel sehr bewußt führenden Maler menschlichen, thierischen, landschaftlichen Lebens aus der Wildniß, wohin der Fuß der Cultur nicht getreten. Das sanfte und schöne Gemüth C. Mayer's liebt es besonders, mit völliger Verzichtung auf ein Wort im eigenen Namen kleine Bilder friedlich heimlicher Landschaft aneinanderzureihen. Recht und Fug solcher lyrischen Objectivität kann nach dem Obigen nicht bestritten werden, nur wechsle sie öfter mit directem Aussprechen der Stimmung, denn schließlich ist sie doch ein Zurückhalten, das im Fortgang ermüdet, weil man der Natur der Gattung nach darauf wartet, die Menschenstimme selbst zu vernehmen.
Harfners im W. Meiſter, an Heine’s „Hirtenknaben“. Rein menſchlicher Gehalt iſt natürlich auch im Spezifiſchen vorausgeſetzt. Vielleicht die ganze Hälfte des lyriſchen Parnaſſes gehört dieſer einfachen Uebertragungsform an. Auch in die Natur kann der Dichter ſein Inneres legen und aus ihr ſprechen laſſen, wie Göthe in: „der Junggeſell und der Mühlbach“ oder wie Anakreon durch ſeine Taube ſagen läßt, wie es ſich bei ihm lebt. — Die zwei andern Formen dieſer Gruppe ſind viel weniger unmittelbar: der Dichter gibt ein kurzes Sittenbild, kleines Landſchaftgemälde; er tritt nicht im eigenen, auch nicht im Namen eines Andern auf, er zeigt ein Object, aber ein gegenwärtiges, auf und läßt daſſelbe ſo ohne alles weitere Zuthun für ſich ſprechen. Es ſcheint nichts einfacher, als ganz auf den eigenen Vortrag des Gefühls zu verzichten, es ganz in den Gegenſtand zu verſenken, aber dieß Verzichten geſchieht mit mehr Bewußtheit, als es ſcheint, und zugleich hängt die Richtung mit denſelben Urſachen zuſammen, aus welchen in der neueren Zeit das Sittenbild und die Landſchaft in der Malerei eine ſo bedeutende Rolle ſpielt: dem Intereſſe für die Aufdeckung immer neuer Länder, Zonen, den ethnographiſchen, naturwiſſenſchaftlichen Neigungen, und allerdings zugleich der Sehnſucht nach Friſchem, von der Sündfluth der Reiſenden nicht Abgelecktem, alſo in Culturmüde, in idylliſchem Bedürfniſſe. So ſind denn dieſe Formen ſehr modern. Bei Heine hatten ſie entſchieden noch ſubjectiveren Ton, wie ſein unheimliches Bild des Jäger- hauſes „Die Nacht iſt feucht und ſtürmiſch“ (Heimkehr N. V), des Pfarr- hauſes (N. XXVIII) „Der bleiche, herbſtliche Halbmond“, das Völkerbild: „Wir ſaßen im Fiſcherhauſe“ (N. VII), das rührende kleine Gemälde: „Das iſt ein ſchlechtes Wetter“ (N. XXIX), die liebliche Berg-Idylle aus dem Harze, dieſe nur leider mit dem blaſirten cremor tartari ſtark vermiſcht; ebenſo die vielen tief bewegten Landſchaftbilder; die berühmten Strophen von der Fichte und Palme gehören nicht der vorliegenden, ſondern jener erſten Form an, weil ſie, obwohl in ſchlagend einfacher Objectivität, doch durch eine poetiſche Fiction einem Naturgegenſtande ganz menſchliches Em- pfinden leihen. Lenau’s Bilder magyariſcher Zuſtände und Haiden entwickeln bereits mehr das Object an ſich und Freiligrath wird ganz zum glühenden, aber auch ſeinen Pinſel ſehr bewußt führenden Maler menſchlichen, thieriſchen, landſchaftlichen Lebens aus der Wildniß, wohin der Fuß der Cultur nicht getreten. Das ſanfte und ſchöne Gemüth C. Mayer’s liebt es beſonders, mit völliger Verzichtung auf ein Wort im eigenen Namen kleine Bilder friedlich heimlicher Landſchaft aneinanderzureihen. Recht und Fug ſolcher lyriſchen Objectivität kann nach dem Obigen nicht beſtritten werden, nur wechsle ſie öfter mit directem Ausſprechen der Stimmung, denn ſchließlich iſt ſie doch ein Zurückhalten, das im Fortgang ermüdet, weil man der Natur der Gattung nach darauf wartet, die Menſchenſtimme ſelbſt zu vernehmen.
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Harfners im W. Meiſter, an Heine’s „Hirtenknaben“. Rein menſchlicher
Gehalt iſt natürlich auch im Spezifiſchen vorausgeſetzt. Vielleicht die ganze
Hälfte des lyriſchen Parnaſſes gehört dieſer einfachen Uebertragungsform
an. Auch in die Natur kann der Dichter ſein Inneres legen und aus ihr
ſprechen laſſen, wie Göthe in: „der Junggeſell und der Mühlbach“ oder
wie Anakreon durch ſeine Taube ſagen läßt, wie es ſich bei ihm lebt. —
Die zwei andern Formen dieſer Gruppe ſind viel weniger unmittelbar:
der Dichter gibt ein kurzes Sittenbild, kleines Landſchaftgemälde; er tritt
nicht im eigenen, auch nicht im Namen eines Andern auf, er zeigt ein
Object, aber ein gegenwärtiges, auf und läßt daſſelbe ſo ohne alles
weitere Zuthun für ſich ſprechen. Es ſcheint nichts einfacher, als ganz auf
den eigenen Vortrag des Gefühls zu verzichten, es ganz in den Gegenſtand
zu verſenken, aber dieß Verzichten geſchieht mit mehr Bewußtheit, als es
ſcheint, und zugleich hängt die Richtung mit denſelben Urſachen zuſammen,
aus welchen in der neueren Zeit das Sittenbild und die Landſchaft in der
Malerei eine ſo bedeutende Rolle ſpielt: dem Intereſſe für die Aufdeckung
immer neuer Länder, Zonen, den ethnographiſchen, naturwiſſenſchaftlichen
Neigungen, und allerdings zugleich der Sehnſucht nach Friſchem, von der
Sündfluth der Reiſenden nicht Abgelecktem, alſo in Culturmüde, in idylliſchem
Bedürfniſſe. So ſind denn dieſe Formen ſehr modern. Bei Heine hatten ſie
entſchieden noch ſubjectiveren Ton, wie ſein unheimliches Bild des Jäger-
hauſes „Die Nacht iſt feucht und ſtürmiſch“ (Heimkehr N. V), des Pfarr-
hauſes (N. XXVIII) „Der bleiche, herbſtliche Halbmond“, das Völkerbild:
„Wir ſaßen im Fiſcherhauſe“ (N. VII), das rührende kleine Gemälde:
„Das iſt ein ſchlechtes Wetter“ (N. XXIX), die liebliche Berg-Idylle aus
dem Harze, dieſe nur leider mit dem blaſirten cremor tartari ſtark vermiſcht;
ebenſo die vielen tief bewegten Landſchaftbilder; die berühmten Strophen
von der Fichte und Palme gehören nicht der vorliegenden, ſondern jener
erſten Form an, weil ſie, obwohl in ſchlagend einfacher Objectivität, doch
durch eine poetiſche Fiction einem Naturgegenſtande ganz menſchliches Em-
pfinden leihen. Lenau’s Bilder magyariſcher Zuſtände und Haiden entwickeln
bereits mehr das Object an ſich und Freiligrath wird ganz zum glühenden,
aber auch ſeinen Pinſel ſehr bewußt führenden Maler menſchlichen, thieriſchen,
landſchaftlichen Lebens aus der Wildniß, wohin der Fuß der Cultur nicht
getreten. Das ſanfte und ſchöne Gemüth C. Mayer’s liebt es beſonders,
mit völliger Verzichtung auf ein Wort im eigenen Namen kleine Bilder
friedlich heimlicher Landſchaft aneinanderzureihen. Recht und Fug ſolcher
lyriſchen Objectivität kann nach dem Obigen nicht beſtritten werden, nur
wechsle ſie öfter mit directem Ausſprechen der Stimmung, denn ſchließlich iſt
ſie doch ein Zurückhalten, das im Fortgang ermüdet, weil man der Natur
der Gattung nach darauf wartet, die Menſchenſtimme ſelbſt zu vernehmen.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/224>, abgerufen am 27.11.2024.
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