Der Eintheilungsgrund für die Arten der lyrischen Poesie liegt in den verschiedenen Schritten des Prozesses, durch welchen das Gemüth den Welt- inhalt in sein inneres Leben verwandelt; der Unterschied des Objectiven und Subjectiven tritt also hier in eigenthümlicher Bedeutung auf und begründet drei Formen: eine Lyrik des Aufschwungs zum Gegenstande, eine andere des reinen Aufgehens des letzteren im Subjecte und eine dritte der beginnen- den und wachsenden Ablösung aus ihm oder der Betrachtung. Die andern Eintheilungsmomente (vergl. §. 864), namentlich das auf den Unterschied der Style begründete, berühren sich vielfach mit diesem entscheidenden, ohne mit ihm zusammenzufallen, sie treten vielmehr wesentlich auch neben ihm in Geltung.
Der innere Grund der bekannten Schwierigkeit der Eintheilung des lyrischen Gebiets ist natürlich der Mangel des eigentlich Objectiven: wo ein gegenständliches Weltbild gegeben wird, treten eingreifende Unterschiede des Standpuncts mit dem Erfolg auf, daß die Welt in verschiedenem Aus- schnitt, Umfang, daher in erkennbar festem Unterschiede der Composition, der Behandlung, der ganzen Form zur Darstellung kommt; wo dagegen das Subject nur die Welt in sich, als in Empfindung verwandelte aus- spricht, da geräth Alles in's Fließende und ist die nothwendige Folge eine unübersehliche Vielheit der Formen, deren jede Stimmung in jedem Moment eine neue erfinden kann. Die Stimmungen selbst aber sind unendlich nach Individuen und Momenten und jede einzelne wieder unendlich gemischt; nur Ein großer Haupt-Unterschied läßt sich aufweisen, nämlich eben derjenige, den der §. aufstellt und den wir sogleich erläutern, aber mit dem Vorbehalte, daß die genauere Benennung der Formen nicht eine bestimmte Gestalt, sondern nur einen Ton, einen Charakter bezeichnen kann: das Hymnen-, das Lieder-artige u. s. w. Wir haben die epische Poesie nach dem Unterschiede der Style eingetheilt und dadurch gewonnen, daß die logische Folge im Allgemeinen zugleich als die geschichtliche erschien. In einer Kunstform ohne eigentliche Objectivität kann der Styl-Gegensatz eine so durchgreifende Bedeutung nicht haben. Es wird ein solcher natürlich auf- treten: der plastisch-ideale Styl wird objectiver in seiner ganzen Haltung sein und ebendarum mehr entwickelnd, weniger unruhig verfahren, mehr
2. Die Arten der lyriſchen Dichtung.
§. 889.
Der Eintheilungsgrund für die Arten der lyriſchen Poeſie liegt in den verſchiedenen Schritten des Prozeſſes, durch welchen das Gemüth den Welt- inhalt in ſein inneres Leben verwandelt; der Unterſchied des Objectiven und Subjectiven tritt alſo hier in eigenthümlicher Bedeutung auf und begründet drei Formen: eine Lyrik des Aufſchwungs zum Gegenſtande, eine andere des reinen Aufgehens des letzteren im Subjecte und eine dritte der beginnen- den und wachſenden Ablöſung aus ihm oder der Betrachtung. Die andern Eintheilungsmomente (vergl. §. 864), namentlich das auf den Unterſchied der Style begründete, berühren ſich vielfach mit dieſem entſcheidenden, ohne mit ihm zuſammenzufallen, ſie treten vielmehr weſentlich auch neben ihm in Geltung.
Der innere Grund der bekannten Schwierigkeit der Eintheilung des lyriſchen Gebiets iſt natürlich der Mangel des eigentlich Objectiven: wo ein gegenſtändliches Weltbild gegeben wird, treten eingreifende Unterſchiede des Standpuncts mit dem Erfolg auf, daß die Welt in verſchiedenem Aus- ſchnitt, Umfang, daher in erkennbar feſtem Unterſchiede der Compoſition, der Behandlung, der ganzen Form zur Darſtellung kommt; wo dagegen das Subject nur die Welt in ſich, als in Empfindung verwandelte aus- ſpricht, da geräth Alles in’s Fließende und iſt die nothwendige Folge eine unüberſehliche Vielheit der Formen, deren jede Stimmung in jedem Moment eine neue erfinden kann. Die Stimmungen ſelbſt aber ſind unendlich nach Individuen und Momenten und jede einzelne wieder unendlich gemiſcht; nur Ein großer Haupt-Unterſchied läßt ſich aufweiſen, nämlich eben derjenige, den der §. aufſtellt und den wir ſogleich erläutern, aber mit dem Vorbehalte, daß die genauere Benennung der Formen nicht eine beſtimmte Geſtalt, ſondern nur einen Ton, einen Charakter bezeichnen kann: das Hymnen-, das Lieder-artige u. ſ. w. Wir haben die epiſche Poeſie nach dem Unterſchiede der Style eingetheilt und dadurch gewonnen, daß die logiſche Folge im Allgemeinen zugleich als die geſchichtliche erſchien. In einer Kunſtform ohne eigentliche Objectivität kann der Styl-Gegenſatz eine ſo durchgreifende Bedeutung nicht haben. Es wird ein ſolcher natürlich auf- treten: der plaſtiſch-ideale Styl wird objectiver in ſeiner ganzen Haltung ſein und ebendarum mehr entwickelnd, weniger unruhig verfahren, mehr
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2. Die Arten der lyriſchen Dichtung.
§. 889.
Der Eintheilungsgrund für die Arten der lyriſchen Poeſie liegt in den
verſchiedenen Schritten des Prozeſſes, durch welchen das Gemüth den Welt-
inhalt in ſein inneres Leben verwandelt; der Unterſchied des Objectiven und
Subjectiven tritt alſo hier in eigenthümlicher Bedeutung auf und begründet
drei Formen: eine Lyrik des Aufſchwungs zum Gegenſtande, eine andere
des reinen Aufgehens des letzteren im Subjecte und eine dritte der beginnen-
den und wachſenden Ablöſung aus ihm oder der Betrachtung. Die andern
Eintheilungsmomente (vergl. §. 864), namentlich das auf den Unterſchied der
Style begründete, berühren ſich vielfach mit dieſem entſcheidenden, ohne mit ihm
zuſammenzufallen, ſie treten vielmehr weſentlich auch neben ihm in Geltung.
Der innere Grund der bekannten Schwierigkeit der Eintheilung des
lyriſchen Gebiets iſt natürlich der Mangel des eigentlich Objectiven: wo
ein gegenſtändliches Weltbild gegeben wird, treten eingreifende Unterſchiede
des Standpuncts mit dem Erfolg auf, daß die Welt in verſchiedenem Aus-
ſchnitt, Umfang, daher in erkennbar feſtem Unterſchiede der Compoſition,
der Behandlung, der ganzen Form zur Darſtellung kommt; wo dagegen
das Subject nur die Welt in ſich, als in Empfindung verwandelte aus-
ſpricht, da geräth Alles in’s Fließende und iſt die nothwendige Folge eine
unüberſehliche Vielheit der Formen, deren jede Stimmung in jedem Moment
eine neue erfinden kann. Die Stimmungen ſelbſt aber ſind unendlich nach
Individuen und Momenten und jede einzelne wieder unendlich gemiſcht; nur
Ein großer Haupt-Unterſchied läßt ſich aufweiſen, nämlich eben derjenige, den
der §. aufſtellt und den wir ſogleich erläutern, aber mit dem Vorbehalte,
daß die genauere Benennung der Formen nicht eine beſtimmte Geſtalt,
ſondern nur einen Ton, einen Charakter bezeichnen kann: das Hymnen-,
das Lieder-artige u. ſ. w. Wir haben die epiſche Poeſie nach dem
Unterſchiede der Style eingetheilt und dadurch gewonnen, daß die logiſche
Folge im Allgemeinen zugleich als die geſchichtliche erſchien. In einer
Kunſtform ohne eigentliche Objectivität kann der Styl-Gegenſatz eine ſo
durchgreifende Bedeutung nicht haben. Es wird ein ſolcher natürlich auf-
treten: der plaſtiſch-ideale Styl wird objectiver in ſeiner ganzen Haltung
ſein und ebendarum mehr entwickelnd, weniger unruhig verfahren, mehr
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/206>, abgerufen am 27.11.2024.
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