Der Geist, der den Meisel und Pinsel weggeworfen hat, um durch das geflügelte Wort zu sprechen, kann nicht dabei stehen bleiben, daß er die langen Wege, auf denen jene die Erscheinung der Dinge nachahmen, ob- wohl unter veränderten Beschleunigungsverhältnissen zu den seinigen macht, daß er, als Wortführer für die Dinge und Menschen, doch immer noch daneben stehen muß und sagen: so war Dieß und Jenes, jetzt hat Der, jetzt Jener dieß und das gesprochen u. s. w. Die Phantasie muß sich ihres von innen heraus bewegten und bewegenden Wesens bewußt werden, die Geduld für diese Form verlieren und eine andere suchen, welche, ob zwar mit Opfer, doch dasselbe auf einem unendlich kürzeren Weg erreicht, eine Form, worin der dargestellte Mensch im eigenen Namen redet und so, daß er seine Erscheinung ungesagt, doch merkbar mitbringt und das Bild der Außendinge, wie sie in ihm sich spiegeln, durch das Aussprechen der Spieglung ausspricht. Wenn dieß die reine, allgemeine Bedeutung des vorliegenden Schrittes ist, so darf er darum dennoch nicht als ein plötzlicher Aufgang der reinen Geistigkeit, als ein Act des Ich, das sich in seiner reinen Freiheit erfaßt, verstanden werden. Daß jene Vergleichung mit dem subjectiven Idealismus nur eine Parallele ist, bedarf ohnedieß keines Be- weises, denn wir sind im ästhetischen Gebiete, wo ein naturloser Geist über- haupt keine Stelle hat. Aber auch zu der Form des Verhaltens, welche ästhetisch naturvoll ist und doch den freien Geist als weltbestimmenden auf- faßt und darstellt, kann die Kunst in diesem ersten Schritte von der epischen Ausbreitung und Objectivität zur Concentrirung und subjectiven Intensität noch nicht vordringen. Vielmehr wir befinden uns in der Mitte, wo Welt und Natur sich in das Subject zusammenzieht, in diesem selbst aber als die Naturform der empfindenden Seele sich erhält oder wiederkehrt. Das lyrische Subject ist factisch Welt-Einheit, Brennpunct der Welt, aber die Welt ist in ihm nur Herz, Gemüth geworden; es vollstreckt thatsächlich an den Dingen die Wahrheit, daß sie nichts an sich sind, aber nur in einem tiefen, helldunkeln Träumen, worin sich ihm die wahre Bedeutung seines Thuns so verbirgt, daß es unter die zufälligen Eindrücke von außen wie unfrei gestellt ist, daß es meint, sein Zustand sei ihm angethan, komme wie eine Naturnothwendigkeit über es, während es doch in Wahrheit ganz bei sich ist und Alles, was an es kommt, in dieß Ich auflöst. Es ist dieß also eine Wiederkehr des Standpuncts der Musik auf neuem Boden, die dichtende Phantasie wird zur dichtend-empfindenden. Sie ist als solche ganz naiv, aber freilich nicht mehr so, wie die dichtend-bildende, die epische. Zwar ist diese, von der einen Seite betrachtet, klarer und freier: sie schwebt ruhig über den Dingen und schaut sie deutlich und hell, sie scheint geistiger, bewußter. Sie ist es auch, aber sie ist es nur, weil sie noch nicht zu dem tiefen Prozesse fortgeht, dem Subjecte die Welt im Innersten anzueignen,
Der Geiſt, der den Meiſel und Pinſel weggeworfen hat, um durch das geflügelte Wort zu ſprechen, kann nicht dabei ſtehen bleiben, daß er die langen Wege, auf denen jene die Erſcheinung der Dinge nachahmen, ob- wohl unter veränderten Beſchleunigungsverhältniſſen zu den ſeinigen macht, daß er, als Wortführer für die Dinge und Menſchen, doch immer noch daneben ſtehen muß und ſagen: ſo war Dieß und Jenes, jetzt hat Der, jetzt Jener dieß und das geſprochen u. ſ. w. Die Phantaſie muß ſich ihres von innen heraus bewegten und bewegenden Weſens bewußt werden, die Geduld für dieſe Form verlieren und eine andere ſuchen, welche, ob zwar mit Opfer, doch daſſelbe auf einem unendlich kürzeren Weg erreicht, eine Form, worin der dargeſtellte Menſch im eigenen Namen redet und ſo, daß er ſeine Erſcheinung ungeſagt, doch merkbar mitbringt und das Bild der Außendinge, wie ſie in ihm ſich ſpiegeln, durch das Ausſprechen der Spieglung ausſpricht. Wenn dieß die reine, allgemeine Bedeutung des vorliegenden Schrittes iſt, ſo darf er darum dennoch nicht als ein plötzlicher Aufgang der reinen Geiſtigkeit, als ein Act des Ich, das ſich in ſeiner reinen Freiheit erfaßt, verſtanden werden. Daß jene Vergleichung mit dem ſubjectiven Idealiſmus nur eine Parallele iſt, bedarf ohnedieß keines Be- weiſes, denn wir ſind im äſthetiſchen Gebiete, wo ein naturloſer Geiſt über- haupt keine Stelle hat. Aber auch zu der Form des Verhaltens, welche äſthetiſch naturvoll iſt und doch den freien Geiſt als weltbeſtimmenden auf- faßt und darſtellt, kann die Kunſt in dieſem erſten Schritte von der epiſchen Ausbreitung und Objectivität zur Concentrirung und ſubjectiven Intenſität noch nicht vordringen. Vielmehr wir befinden uns in der Mitte, wo Welt und Natur ſich in das Subject zuſammenzieht, in dieſem ſelbſt aber als die Naturform der empfindenden Seele ſich erhält oder wiederkehrt. Das lyriſche Subject iſt factiſch Welt-Einheit, Brennpunct der Welt, aber die Welt iſt in ihm nur Herz, Gemüth geworden; es vollſtreckt thatſächlich an den Dingen die Wahrheit, daß ſie nichts an ſich ſind, aber nur in einem tiefen, helldunkeln Träumen, worin ſich ihm die wahre Bedeutung ſeines Thuns ſo verbirgt, daß es unter die zufälligen Eindrücke von außen wie unfrei geſtellt iſt, daß es meint, ſein Zuſtand ſei ihm angethan, komme wie eine Naturnothwendigkeit über es, während es doch in Wahrheit ganz bei ſich iſt und Alles, was an es kommt, in dieß Ich auflöst. Es iſt dieß alſo eine Wiederkehr des Standpuncts der Muſik auf neuem Boden, die dichtende Phantaſie wird zur dichtend-empfindenden. Sie iſt als ſolche ganz naiv, aber freilich nicht mehr ſo, wie die dichtend-bildende, die epiſche. Zwar iſt dieſe, von der einen Seite betrachtet, klarer und freier: ſie ſchwebt ruhig über den Dingen und ſchaut ſie deutlich und hell, ſie ſcheint geiſtiger, bewußter. Sie iſt es auch, aber ſie iſt es nur, weil ſie noch nicht zu dem tiefen Prozeſſe fortgeht, dem Subjecte die Welt im Innerſten anzueignen,
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Der Geiſt, der den Meiſel und Pinſel weggeworfen hat, um durch das
geflügelte Wort zu ſprechen, kann nicht dabei ſtehen bleiben, daß er die
langen Wege, auf denen jene die Erſcheinung der Dinge nachahmen, ob-
wohl unter veränderten Beſchleunigungsverhältniſſen zu den ſeinigen macht,
daß er, als Wortführer für die Dinge und Menſchen, doch immer noch
daneben ſtehen muß und ſagen: ſo war Dieß und Jenes, jetzt hat Der,
jetzt Jener dieß und das geſprochen u. ſ. w. Die Phantaſie muß ſich ihres
von innen heraus bewegten und bewegenden Weſens bewußt werden, die
Geduld für dieſe Form verlieren und eine andere ſuchen, welche, ob zwar
mit Opfer, doch daſſelbe auf einem unendlich kürzeren Weg erreicht, eine
Form, worin der dargeſtellte Menſch im eigenen Namen redet und ſo,
daß er ſeine Erſcheinung ungeſagt, doch merkbar mitbringt und das Bild
der Außendinge, wie ſie in ihm ſich ſpiegeln, durch das Ausſprechen der
Spieglung ausſpricht. Wenn dieß die reine, allgemeine Bedeutung des
vorliegenden Schrittes iſt, ſo darf er darum dennoch nicht als ein plötzlicher
Aufgang der reinen Geiſtigkeit, als ein Act des Ich, das ſich in ſeiner
reinen Freiheit erfaßt, verſtanden werden. Daß jene Vergleichung mit dem
ſubjectiven Idealiſmus nur eine Parallele iſt, bedarf ohnedieß keines Be-
weiſes, denn wir ſind im äſthetiſchen Gebiete, wo ein naturloſer Geiſt über-
haupt keine Stelle hat. Aber auch zu der Form des Verhaltens, welche
äſthetiſch naturvoll iſt und doch den freien Geiſt als weltbeſtimmenden auf-
faßt und darſtellt, kann die Kunſt in dieſem erſten Schritte von der epiſchen
Ausbreitung und Objectivität zur Concentrirung und ſubjectiven Intenſität
noch nicht vordringen. Vielmehr wir befinden uns in der Mitte, wo Welt
und Natur ſich in das Subject zuſammenzieht, in dieſem ſelbſt aber als die
Naturform der empfindenden Seele ſich erhält oder wiederkehrt. Das lyriſche
Subject iſt factiſch Welt-Einheit, Brennpunct der Welt, aber die Welt iſt
in ihm nur Herz, Gemüth geworden; es vollſtreckt thatſächlich an den
Dingen die Wahrheit, daß ſie nichts an ſich ſind, aber nur in einem tiefen,
helldunkeln Träumen, worin ſich ihm die wahre Bedeutung ſeines Thuns
ſo verbirgt, daß es unter die zufälligen Eindrücke von außen wie unfrei
geſtellt iſt, daß es meint, ſein Zuſtand ſei ihm angethan, komme wie eine
Naturnothwendigkeit über es, während es doch in Wahrheit ganz bei ſich
iſt und Alles, was an es kommt, in dieß Ich auflöst. Es iſt dieß alſo
eine Wiederkehr des Standpuncts der Muſik auf neuem Boden, die dichtende
Phantaſie wird zur dichtend-empfindenden. Sie iſt als ſolche ganz
naiv, aber freilich nicht mehr ſo, wie die dichtend-bildende, die epiſche.
Zwar iſt dieſe, von der einen Seite betrachtet, klarer und freier: ſie ſchwebt
ruhig über den Dingen und ſchaut ſie deutlich und hell, ſie ſcheint geiſtiger,
bewußter. Sie iſt es auch, aber ſie iſt es nur, weil ſie noch nicht zu dem
tiefen Prozeſſe fortgeht, dem Subjecte die Welt im Innerſten anzueignen,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/187>, abgerufen am 28.11.2024.
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