Ton markirt ist; sie zerlegt sich in eine Reihe gleichartiger Perioden, welche durch die stete Wiederkehr gleicher Töne innerhalb ihrer Identität und Ein- heit in die Mannigfaltigkeit der Einzeltöne bringen. Die Octaveneintheilung erst gibt der Tonreihe Helligkeit, Gliederung, Bestimmtheit; sie thut der Mannigfaltigkeit keinen Eintrag, sofern ja die gleichlautenden Töne verschie- dener Octaven unter sich doch immer noch differiren durch ihre verschiedene Höhe und Tiefe, aber sie stellt allerdings vorzugsweise die Einheit her, so- fern durch sie die Einzeltöne in das Verhältniß der Identität unter sich gebracht werden; sie flicht alle Tonlagen, Tonregionen, Stimmen, die höchsten wie die tiefsten, zu untrennbarer Einheit gegenseitigen Entsprechens und Wiedertönens zusammen; sie reducirt die Gesammtzahl denkbarer Töne auf den kleinen Kreis der wenigen eine Octave ausfüllenden Klänge, sie macht durch diese Gliederung, welche bewirkt, daß die Einzeltöne insgesammt mehrmals durch alle Tonlagen hindurch wiederkehren, alle Töne der Reihe weit überschaulicher, weit leichter zu erkennen und nach ihrem gegenseitigen Verhältnisse zu bestimmen, als es ohne das der Fall wäre, und sie erwirkt auch dieß doch ohne Beeinträchtigung der Mannigfaltigkeit; im Gegentheil die Octaveneintheilung erzeugt selbst eine solche, indem sie Gelegenheit gibt, denselben Ton, dieselben Accorde, dieselbe Melodie die ganze Leiter höherer und niederer Regionen durchwandern, sie bald in höhern, bald in niedern Gebieten, bald einfach, bald begleitet von entsprechenden Octaventönen anderer Lagen erklingen zu lassen. Einheit also in der Mannigfaltigkeit, diese erste Bedingung einer künstlerischen Gestaltung des Tonmaterials, ist mit der Octaveneintheilung gegeben, daher die Hochhaltung der Octave in griechischer Musik und Philosophie keineswegs verwundersam sein darf; mit ihr hat die Musik bereits ein wenn auch erst sehr einfaches Element der Gliederung und Zusammengruppirung der Töne gewonnen.
Auch die übrigen Hauptintervalle des Tonsystems tragen zur Einheit und Gliederung der Töne bei, auch sie sind für das Ohr, weil sie ein ein- faches und doch bestimmtes Verhältniß gegenseitigen Entsprechens verschie- dener Klänge darstellen, gleichsam Einschnitte in die Klangreihe, durch welche eine natürliche, von selbst ansprechende, klare Systematik in's Ganze gebracht wird. Aber so einfach, so unmittelbar wie die Octave, sind diese Intervalle nicht, sie bringen ebenso sehr auch Mannigfaltigkeit in's Tonganze, sie stellen concretere Tonverhältnisse dar, neben denen das Octavenverhältniß als ein abstractes, leeres, eintöniges erscheint. Die Musik bedarf auch noch weitere Tonverhältnisse, durch welche die Klänge sich wiederum zu kleinern, in sich abgeschlossenen Reihen von bestimmter Größe und bestimmtem Charakter gruppiren; es ist ein Bedürfniß, innerhalb der Octave selbst doch nicht blos einen ganz gleichförmigen, unterschiedslosen Fortgang der die Reihe aus- füllenden Töne, sondern einen gegliederten Fortschritt zu haben, in welchem
Ton markirt iſt; ſie zerlegt ſich in eine Reihe gleichartiger Perioden, welche durch die ſtete Wiederkehr gleicher Töne innerhalb ihrer Identität und Ein- heit in die Mannigfaltigkeit der Einzeltöne bringen. Die Octaveneintheilung erſt gibt der Tonreihe Helligkeit, Gliederung, Beſtimmtheit; ſie thut der Mannigfaltigkeit keinen Eintrag, ſofern ja die gleichlautenden Töne verſchie- dener Octaven unter ſich doch immer noch differiren durch ihre verſchiedene Höhe und Tiefe, aber ſie ſtellt allerdings vorzugsweiſe die Einheit her, ſo- fern durch ſie die Einzeltöne in das Verhältniß der Identität unter ſich gebracht werden; ſie flicht alle Tonlagen, Tonregionen, Stimmen, die höchſten wie die tiefſten, zu untrennbarer Einheit gegenſeitigen Entſprechens und Wiedertönens zuſammen; ſie reducirt die Geſammtzahl denkbarer Töne auf den kleinen Kreis der wenigen eine Octave ausfüllenden Klänge, ſie macht durch dieſe Gliederung, welche bewirkt, daß die Einzeltöne insgeſammt mehrmals durch alle Tonlagen hindurch wiederkehren, alle Töne der Reihe weit überſchaulicher, weit leichter zu erkennen und nach ihrem gegenſeitigen Verhältniſſe zu beſtimmen, als es ohne das der Fall wäre, und ſie erwirkt auch dieß doch ohne Beeinträchtigung der Mannigfaltigkeit; im Gegentheil die Octaveneintheilung erzeugt ſelbſt eine ſolche, indem ſie Gelegenheit gibt, denſelben Ton, dieſelben Accorde, dieſelbe Melodie die ganze Leiter höherer und niederer Regionen durchwandern, ſie bald in höhern, bald in niedern Gebieten, bald einfach, bald begleitet von entſprechenden Octaventönen anderer Lagen erklingen zu laſſen. Einheit alſo in der Mannigfaltigkeit, dieſe erſte Bedingung einer künſtleriſchen Geſtaltung des Tonmaterials, iſt mit der Octaveneintheilung gegeben, daher die Hochhaltung der Octave in griechiſcher Muſik und Philoſophie keineswegs verwunderſam ſein darf; mit ihr hat die Muſik bereits ein wenn auch erſt ſehr einfaches Element der Gliederung und Zuſammengruppirung der Töne gewonnen.
Auch die übrigen Hauptintervalle des Tonſyſtems tragen zur Einheit und Gliederung der Töne bei, auch ſie ſind für das Ohr, weil ſie ein ein- faches und doch beſtimmtes Verhältniß gegenſeitigen Entſprechens verſchie- dener Klänge darſtellen, gleichſam Einſchnitte in die Klangreihe, durch welche eine natürliche, von ſelbſt anſprechende, klare Syſtematik in’s Ganze gebracht wird. Aber ſo einfach, ſo unmittelbar wie die Octave, ſind dieſe Intervalle nicht, ſie bringen ebenſo ſehr auch Mannigfaltigkeit in’s Tonganze, ſie ſtellen concretere Tonverhältniſſe dar, neben denen das Octavenverhältniß als ein abſtractes, leeres, eintöniges erſcheint. Die Muſik bedarf auch noch weitere Tonverhältniſſe, durch welche die Klänge ſich wiederum zu kleinern, in ſich abgeſchloſſenen Reihen von beſtimmter Größe und beſtimmtem Charakter gruppiren; es iſt ein Bedürfniß, innerhalb der Octave ſelbſt doch nicht blos einen ganz gleichförmigen, unterſchiedsloſen Fortgang der die Reihe aus- füllenden Töne, ſondern einen gegliederten Fortſchritt zu haben, in welchem
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Ton markirt iſt; ſie zerlegt ſich in eine Reihe gleichartiger Perioden, welche
durch die ſtete Wiederkehr gleicher Töne innerhalb ihrer Identität und Ein-
heit in die Mannigfaltigkeit der Einzeltöne bringen. Die Octaveneintheilung
erſt gibt der Tonreihe Helligkeit, Gliederung, Beſtimmtheit; ſie thut der
Mannigfaltigkeit keinen Eintrag, ſofern ja die gleichlautenden Töne verſchie-
dener Octaven unter ſich doch immer noch differiren durch ihre verſchiedene
Höhe und Tiefe, aber ſie ſtellt allerdings vorzugsweiſe die Einheit her, ſo-
fern durch ſie die Einzeltöne in das Verhältniß der Identität unter ſich
gebracht werden; ſie flicht alle Tonlagen, Tonregionen, Stimmen, die
höchſten wie die tiefſten, zu untrennbarer Einheit gegenſeitigen Entſprechens
und Wiedertönens zuſammen; ſie reducirt die Geſammtzahl denkbarer Töne
auf den kleinen Kreis der wenigen eine Octave ausfüllenden Klänge, ſie
macht durch dieſe Gliederung, welche bewirkt, daß die Einzeltöne insgeſammt
mehrmals durch alle Tonlagen hindurch wiederkehren, alle Töne der Reihe
weit überſchaulicher, weit leichter zu erkennen und nach ihrem gegenſeitigen
Verhältniſſe zu beſtimmen, als es ohne das der Fall wäre, und ſie erwirkt
auch dieß doch ohne Beeinträchtigung der Mannigfaltigkeit; im Gegentheil
die Octaveneintheilung erzeugt ſelbſt eine ſolche, indem ſie Gelegenheit gibt,
denſelben Ton, dieſelben Accorde, dieſelbe Melodie die ganze Leiter höherer
und niederer Regionen durchwandern, ſie bald in höhern, bald in niedern
Gebieten, bald einfach, bald begleitet von entſprechenden Octaventönen
anderer Lagen erklingen zu laſſen. Einheit alſo in der Mannigfaltigkeit,
dieſe erſte Bedingung einer künſtleriſchen Geſtaltung des Tonmaterials, iſt
mit der Octaveneintheilung gegeben, daher die Hochhaltung der Octave in
griechiſcher Muſik und Philoſophie keineswegs verwunderſam ſein darf; mit
ihr hat die Muſik bereits ein wenn auch erſt ſehr einfaches Element der
Gliederung und Zuſammengruppirung der Töne gewonnen.
Auch die übrigen Hauptintervalle des Tonſyſtems tragen zur Einheit
und Gliederung der Töne bei, auch ſie ſind für das Ohr, weil ſie ein ein-
faches und doch beſtimmtes Verhältniß gegenſeitigen Entſprechens verſchie-
dener Klänge darſtellen, gleichſam Einſchnitte in die Klangreihe, durch welche
eine natürliche, von ſelbſt anſprechende, klare Syſtematik in’s Ganze gebracht
wird. Aber ſo einfach, ſo unmittelbar wie die Octave, ſind dieſe Intervalle
nicht, ſie bringen ebenſo ſehr auch Mannigfaltigkeit in’s Tonganze, ſie ſtellen
concretere Tonverhältniſſe dar, neben denen das Octavenverhältniß als ein
abſtractes, leeres, eintöniges erſcheint. Die Muſik bedarf auch noch weitere
Tonverhältniſſe, durch welche die Klänge ſich wiederum zu kleinern, in ſich
abgeſchloſſenen Reihen von beſtimmter Größe und beſtimmtem Charakter
gruppiren; es iſt ein Bedürfniß, innerhalb der Octave ſelbſt doch nicht blos
einen ganz gleichförmigen, unterſchiedsloſen Fortgang der die Reihe aus-
füllenden Töne, ſondern einen gegliederten Fortſchritt zu haben, in welchem
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 860. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/98>, abgerufen am 22.11.2024.
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