geben. Wie es eine Thatsache ist, daß im Sprechen, im Rufen, im natürlichen Singen der Fortgang durch mindestens den Halb- und Ganztönen ent- sprechende Tondistanzen dem menschlichen Gefühl ganz von selbst nahe liegt, so ist es eine nicht minder gewisse Thatsache, daß auch gewisse größere Intervalle für Gehör und Gefühl etwas ganz besonders Einleuchtendes, Faßliches, charakteristisch Ansprechendes haben. Für's Erste nämlich begegnen uns im Tonsysteme höhere und niederere Töne, die für uns doch qualitativ ganz dieselben sind, an denen wir keinen Unterschied mehr wahrnehmen als eben den quantitativen Unterschied des Höhern und Tiefern, so daß es oft schwer wird sie auseinander zu halten, namentlich wenn sie von verschie- denen musikalischen Organen angeschlagen werden, -- die eintönigen, unisonen, sogen. Octaventöne. Es treten ebenso zweitens höhere und niederere, nur etwa um die Hälfte des Octavenintervalls von einander entfernte Töne auf, die wir zwar als qualitativ verschieden empfinden, die aber deßungeachtet untrennbar zusammen zu gehören scheinen, indem das Uebersetzen von einem auf den andern und nicht minder das wechselnde Hinundhergehen zwischen beiden, ja selbst das Fortgehen vom einen auf den andern durch das ganze Tonsystem aufwärts uns durchaus leicht und natürlich ist, ja wenn einmal begonnen fast geboten erscheint, -- die sogen. Quintentöne. Setzen wir einen bestimmten Ton als Anfang einer Octavenreihe (als Grundton), so ergibt sich zudem das weitere Resultat, daß die über demselben liegende Quint sowohl beim Aufsteigen als beim Absteigen zwischen dem Grundton und seiner Octave als natürlicher Ver- mittlungston sich darbietet, der das Treffen der Octave wesentlich erleichtert (was die andern Zwischentöne nicht thun), sowie daß der Fortgang von der Quint zur Octave des Grundtons hinauf für das Gefühl doch ästhetisch ansprechender und gefälliger ist als der obige Fortgang von Quint zu Quint u. s. f. Ein drittes ähnliches Verhältniß findet endlich innerhalb des Quintenintervalls statt bei der sogen. großen Terz. Die große Terz des Grundtons führt von letzterem ähnlich zur Quint hinüber, wie diese vom Grundton (Prim) zur Octave, sie ist gleichfalls von jenem aus leicht zu treffen, leichter z. B. als der auf ihn nächstfolgende Nachbarton (die Secund). Nur dadurch unterscheidet sie sich wesentlich von der Quint, daß der Fortgang in großen Terzen auf- und abwärts nicht mehr natürlich, vielmehr ohne besondere Aufmerksamkeit und Tendenz ganz unvollziehbar ist. Auf die große Terz folgt naturgemäß vom Grundton aufwärts nicht wieder eine große Terz, wie Quint auf Quint folgen kann, sondern naturgemäß folgt die Quint des Grundtons, die von seiner großen Terz etwas weniger weit, nur um eine sogen. kleine Terz absteht; das Terzenintervall findet sonach im Quintenintervall seinen ergänzenden Abschluß, es bleibt diesem unter- geordnet, die große Terz ist nicht so wie die Quint Hauptton innerhalb
geben. Wie es eine Thatſache iſt, daß im Sprechen, im Rufen, im natürlichen Singen der Fortgang durch mindeſtens den Halb- und Ganztönen ent- ſprechende Tondiſtanzen dem menſchlichen Gefühl ganz von ſelbſt nahe liegt, ſo iſt es eine nicht minder gewiſſe Thatſache, daß auch gewiſſe größere Intervalle für Gehör und Gefühl etwas ganz beſonders Einleuchtendes, Faßliches, charakteriſtiſch Anſprechendes haben. Für’s Erſte nämlich begegnen uns im Tonſyſteme höhere und niederere Töne, die für uns doch qualitativ ganz dieſelben ſind, an denen wir keinen Unterſchied mehr wahrnehmen als eben den quantitativen Unterſchied des Höhern und Tiefern, ſo daß es oft ſchwer wird ſie auseinander zu halten, namentlich wenn ſie von verſchie- denen muſikaliſchen Organen angeſchlagen werden, — die eintönigen, uniſonen, ſogen. Octaventöne. Es treten ebenſo zweitens höhere und niederere, nur etwa um die Hälfte des Octavenintervalls von einander entfernte Töne auf, die wir zwar als qualitativ verſchieden empfinden, die aber deßungeachtet untrennbar zuſammen zu gehören ſcheinen, indem das Ueberſetzen von einem auf den andern und nicht minder das wechſelnde Hinundhergehen zwiſchen beiden, ja ſelbſt das Fortgehen vom einen auf den andern durch das ganze Tonſyſtem aufwärts uns durchaus leicht und natürlich iſt, ja wenn einmal begonnen faſt geboten erſcheint, — die ſogen. Quintentöne. Setzen wir einen beſtimmten Ton als Anfang einer Octavenreihe (als Grundton), ſo ergibt ſich zudem das weitere Reſultat, daß die über demſelben liegende Quint ſowohl beim Aufſteigen als beim Abſteigen zwiſchen dem Grundton und ſeiner Octave als natürlicher Ver- mittlungston ſich darbietet, der das Treffen der Octave weſentlich erleichtert (was die andern Zwiſchentöne nicht thun), ſowie daß der Fortgang von der Quint zur Octave des Grundtons hinauf für das Gefühl doch äſthetiſch anſprechender und gefälliger iſt als der obige Fortgang von Quint zu Quint u. ſ. f. Ein drittes ähnliches Verhältniß findet endlich innerhalb des Quintenintervalls ſtatt bei der ſogen. großen Terz. Die große Terz des Grundtons führt von letzterem ähnlich zur Quint hinüber, wie dieſe vom Grundton (Prim) zur Octave, ſie iſt gleichfalls von jenem aus leicht zu treffen, leichter z. B. als der auf ihn nächſtfolgende Nachbarton (die Secund). Nur dadurch unterſcheidet ſie ſich weſentlich von der Quint, daß der Fortgang in großen Terzen auf- und abwärts nicht mehr natürlich, vielmehr ohne beſondere Aufmerkſamkeit und Tendenz ganz unvollziehbar iſt. Auf die große Terz folgt naturgemäß vom Grundton aufwärts nicht wieder eine große Terz, wie Quint auf Quint folgen kann, ſondern naturgemäß folgt die Quint des Grundtons, die von ſeiner großen Terz etwas weniger weit, nur um eine ſogen. kleine Terz abſteht; das Terzenintervall findet ſonach im Quintenintervall ſeinen ergänzenden Abſchluß, es bleibt dieſem unter- geordnet, die große Terz iſt nicht ſo wie die Quint Hauptton innerhalb
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geben. Wie es eine Thatſache iſt, daß im Sprechen, im Rufen, im natürlichen
Singen der Fortgang durch mindeſtens den Halb- und Ganztönen ent-
ſprechende Tondiſtanzen dem menſchlichen Gefühl ganz von ſelbſt nahe liegt,
ſo iſt es eine nicht minder gewiſſe Thatſache, daß auch gewiſſe größere
Intervalle für Gehör und Gefühl etwas ganz beſonders Einleuchtendes,
Faßliches, charakteriſtiſch Anſprechendes haben. Für’s Erſte nämlich begegnen
uns im Tonſyſteme höhere und niederere Töne, die für uns doch qualitativ
ganz dieſelben ſind, an denen wir keinen Unterſchied mehr wahrnehmen als
eben den quantitativen Unterſchied des Höhern und Tiefern, ſo daß es oft
ſchwer wird ſie auseinander zu halten, namentlich wenn ſie von verſchie-
denen muſikaliſchen Organen angeſchlagen werden, — die eintönigen,
uniſonen, ſogen. Octaventöne. Es treten ebenſo zweitens höhere und
niederere, nur etwa um die Hälfte des Octavenintervalls von einander
entfernte Töne auf, die wir zwar als qualitativ verſchieden empfinden, die
aber deßungeachtet untrennbar zuſammen zu gehören ſcheinen, indem das
Ueberſetzen von einem auf den andern und nicht minder das wechſelnde
Hinundhergehen zwiſchen beiden, ja ſelbſt das Fortgehen vom einen auf
den andern durch das ganze Tonſyſtem aufwärts uns durchaus leicht und
natürlich iſt, ja wenn einmal begonnen faſt geboten erſcheint, — die ſogen.
Quintentöne. Setzen wir einen beſtimmten Ton als Anfang einer
Octavenreihe (als Grundton), ſo ergibt ſich zudem das weitere Reſultat,
daß die über demſelben liegende Quint ſowohl beim Aufſteigen als beim
Abſteigen zwiſchen dem Grundton und ſeiner Octave als natürlicher Ver-
mittlungston ſich darbietet, der das Treffen der Octave weſentlich erleichtert
(was die andern Zwiſchentöne nicht thun), ſowie daß der Fortgang von
der Quint zur Octave des Grundtons hinauf für das Gefühl doch äſthetiſch
anſprechender und gefälliger iſt als der obige Fortgang von Quint zu
Quint u. ſ. f. Ein drittes ähnliches Verhältniß findet endlich innerhalb des
Quintenintervalls ſtatt bei der ſogen. großen Terz. Die große Terz des
Grundtons führt von letzterem ähnlich zur Quint hinüber, wie dieſe vom
Grundton (Prim) zur Octave, ſie iſt gleichfalls von jenem aus leicht zu
treffen, leichter z. B. als der auf ihn nächſtfolgende Nachbarton (die
Secund). Nur dadurch unterſcheidet ſie ſich weſentlich von der Quint, daß
der Fortgang in großen Terzen auf- und abwärts nicht mehr natürlich,
vielmehr ohne beſondere Aufmerkſamkeit und Tendenz ganz unvollziehbar iſt.
Auf die große Terz folgt naturgemäß vom Grundton aufwärts nicht wieder
eine große Terz, wie Quint auf Quint folgen kann, ſondern naturgemäß
folgt die Quint des Grundtons, die von ſeiner großen Terz etwas weniger
weit, nur um eine ſogen. kleine Terz abſteht; das Terzenintervall findet ſonach
im Quintenintervall ſeinen ergänzenden Abſchluß, es bleibt dieſem unter-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 854. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/92>, abgerufen am 27.11.2024.
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