wird sein räumliches Außereinander in das Nacheinander der Zeit aufgehoben, er wird sozusagen flüssig, es ist ein inneres Zusammenziehen und Ausdehnen, Thätigkeit einer bestimmten Art von Elastizität, Aeußerung einer "Quasi- Muscularkraft" (Krause Anfangsgr. d. allg. Theorie d. Musik. S. 40), die er besitzt, und diese Aeußerung setzt sich als Wellenbewegung in die Luft fort. Er theilt sich also mit, er gibt seine Isolirung auf, er wird für Anderes. Ist diese Erzitterung, diese erste Negation des räumlichen Daseins erfolgt, so stellt sich durch die Reaction des Körpers gegen diese Aufhebung in die Zeit, also durch eine zweite Negation (Hegel Aesth. Th. 3, S. 128) das blos räumliche Dasein her. Es ist wesentlich, daß der Körper bleibt und nur an ihm etwas vor sich geht; es leuchtet bereits ein, daß dieser Vorgang im Technischen genau jenem Verhältniß im Innern entspricht, wonach das Object stets an der Schwelle des Gefühls bereit zu stehen scheint (§. 749); man kann auch sagen, daß sich darin ausdrückt, wie die Musik so eben von der bildenden Kunst, die an den Raum gebunden ist, herkommt. Die höchste Entlastung der letzteren vom schweren Stoffe war die Magie der Lichtwirkungen in der Malerei. Die Lichtwelle ist tief verwandt mit der Luftwelle; Farben und Töne stehen in inniger Verwandtschaft. Aber das malerische Licht ist noch nachgeahmtes, an den Raum gebanntes Licht; die Musik dagegen ist zwar an den Körper gebannt, aber nur um ihm die nicht blos nachgeahmte, sondern wirklich leben- dige Luftwelle als ihr eigentliches, einziges Vehikel zu entlocken; sie ist frei, hat den Fuß aus dem Boden gezogen, der Vogel unter den Künsten. Wir haben also jetzt endlich die wirkliche Bewegung, aber ohne ein sich bewegendes, denn der Körper ist zwar da, aber nicht er selbst, sondern nur sein Erzittern geht uns an. Die bildende Kunst hat die Oberfläche der Körper im Raum bewegungslos isolirt, zuerst als Baukunst auch ohne scheinbare Bewegung, dann als Plastik so, daß Bewegung nachgeahmt, aber als gefesselter Moment gebannt wurde, dann als Malerei ebenso, nur in ungleich freierer Ausdehnung und unter Mitaufnahme der Farbe. Es soll aber nun endlich die eigentliche, die wirkliche Bewegung in die Kunst eintreten und indem dieß geschieht, wird sie, um Alles zu erschöpfen, was aus ihr entwickelt werden kann, nach jenem Gesetze, daß die einzelnen Künste die Erscheinungsseiten des Naturschönen isoliren, um durch die Beschränkung das Vollkommene zu erreichen (§. 533), von ihrem Träger getrennt als Ganzes der Umfangs- mittel einer Kunst für sich allein verwendet. Die Isolirung ist zugleich ein Festhalten des Tones vor seiner Bildung zur Sprache. Es ist nun der Kunst die Zunge gelöst. Wir haben in §. 533 Anm. gesagt, die Kunst suche stufenweise die am meisten sprechende Form. Auf den Fortschritt in den Formen der bildenden Kunst konnten wir diesen Begriff nur un- eigentlich anwenden; die Musik steht an der Schwelle des eigentlichen
wird ſein räumliches Außereinander in das Nacheinander der Zeit aufgehoben, er wird ſozuſagen flüſſig, es iſt ein inneres Zuſammenziehen und Ausdehnen, Thätigkeit einer beſtimmten Art von Elaſtizität, Aeußerung einer „Quaſi- Muſcularkraft“ (Krauſe Anfangsgr. d. allg. Theorie d. Muſik. S. 40), die er beſitzt, und dieſe Aeußerung ſetzt ſich als Wellenbewegung in die Luft fort. Er theilt ſich alſo mit, er gibt ſeine Iſolirung auf, er wird für Anderes. Iſt dieſe Erzitterung, dieſe erſte Negation des räumlichen Daſeins erfolgt, ſo ſtellt ſich durch die Reaction des Körpers gegen dieſe Aufhebung in die Zeit, alſo durch eine zweite Negation (Hegel Aeſth. Th. 3, S. 128) das blos räumliche Daſein her. Es iſt weſentlich, daß der Körper bleibt und nur an ihm etwas vor ſich geht; es leuchtet bereits ein, daß dieſer Vorgang im Techniſchen genau jenem Verhältniß im Innern entſpricht, wonach das Object ſtets an der Schwelle des Gefühls bereit zu ſtehen ſcheint (§. 749); man kann auch ſagen, daß ſich darin ausdrückt, wie die Muſik ſo eben von der bildenden Kunſt, die an den Raum gebunden iſt, herkommt. Die höchſte Entlaſtung der letzteren vom ſchweren Stoffe war die Magie der Lichtwirkungen in der Malerei. Die Lichtwelle iſt tief verwandt mit der Luftwelle; Farben und Töne ſtehen in inniger Verwandtſchaft. Aber das maleriſche Licht iſt noch nachgeahmtes, an den Raum gebanntes Licht; die Muſik dagegen iſt zwar an den Körper gebannt, aber nur um ihm die nicht blos nachgeahmte, ſondern wirklich leben- dige Luftwelle als ihr eigentliches, einziges Vehikel zu entlocken; ſie iſt frei, hat den Fuß aus dem Boden gezogen, der Vogel unter den Künſten. Wir haben alſo jetzt endlich die wirkliche Bewegung, aber ohne ein ſich bewegendes, denn der Körper iſt zwar da, aber nicht er ſelbſt, ſondern nur ſein Erzittern geht uns an. Die bildende Kunſt hat die Oberfläche der Körper im Raum bewegungslos iſolirt, zuerſt als Baukunſt auch ohne ſcheinbare Bewegung, dann als Plaſtik ſo, daß Bewegung nachgeahmt, aber als gefeſſelter Moment gebannt wurde, dann als Malerei ebenſo, nur in ungleich freierer Ausdehnung und unter Mitaufnahme der Farbe. Es ſoll aber nun endlich die eigentliche, die wirkliche Bewegung in die Kunſt eintreten und indem dieß geſchieht, wird ſie, um Alles zu erſchöpfen, was aus ihr entwickelt werden kann, nach jenem Geſetze, daß die einzelnen Künſte die Erſcheinungsſeiten des Naturſchönen iſoliren, um durch die Beſchränkung das Vollkommene zu erreichen (§. 533), von ihrem Träger getrennt als Ganzes der Umfangs- mittel einer Kunſt für ſich allein verwendet. Die Iſolirung iſt zugleich ein Feſthalten des Tones vor ſeiner Bildung zur Sprache. Es iſt nun der Kunſt die Zunge gelöst. Wir haben in §. 533 Anm. geſagt, die Kunſt ſuche ſtufenweiſe die am meiſten ſprechende Form. Auf den Fortſchritt in den Formen der bildenden Kunſt konnten wir dieſen Begriff nur un- eigentlich anwenden; die Muſik ſteht an der Schwelle des eigentlichen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0050"n="812"/>
wird ſein räumliches Außereinander in das Nacheinander der Zeit aufgehoben,<lb/>
er wird ſozuſagen flüſſig, es iſt ein inneres Zuſammenziehen und Ausdehnen,<lb/>
Thätigkeit einer beſtimmten Art von Elaſtizität, Aeußerung einer „Quaſi-<lb/>
Muſcularkraft“ (Krauſe Anfangsgr. d. allg. Theorie d. Muſik. S. 40),<lb/>
die er beſitzt, und dieſe Aeußerung ſetzt ſich als Wellenbewegung in die<lb/>
Luft fort. Er theilt ſich alſo mit, er gibt ſeine Iſolirung auf, er wird<lb/>
für Anderes. Iſt dieſe Erzitterung, dieſe erſte Negation des räumlichen<lb/>
Daſeins erfolgt, ſo ſtellt ſich durch die Reaction des Körpers gegen dieſe<lb/>
Aufhebung in die Zeit, alſo durch eine zweite Negation (Hegel Aeſth.<lb/>
Th. 3, S. 128) das blos räumliche Daſein her. Es iſt weſentlich, daß<lb/>
der Körper bleibt und nur <hirendition="#g">an</hi> ihm etwas vor ſich geht; es leuchtet bereits<lb/>
ein, daß dieſer Vorgang im Techniſchen genau jenem Verhältniß im<lb/>
Innern entſpricht, wonach das Object ſtets an der Schwelle des Gefühls<lb/>
bereit zu ſtehen ſcheint (§. 749); man kann auch ſagen, daß ſich darin<lb/>
ausdrückt, wie die Muſik <hirendition="#g">ſo eben</hi> von der bildenden Kunſt, die an den<lb/>
Raum gebunden iſt, herkommt. Die höchſte Entlaſtung der letzteren vom<lb/>ſchweren Stoffe war die Magie der <hirendition="#g">Licht</hi>wirkungen in der Malerei. Die<lb/>
Lichtwelle iſt tief verwandt mit der Luftwelle; Farben und Töne ſtehen in<lb/>
inniger Verwandtſchaft. Aber das maleriſche Licht iſt noch nachgeahmtes,<lb/>
an den Raum gebanntes Licht; die Muſik dagegen iſt zwar an den Körper<lb/>
gebannt, aber nur um ihm die nicht blos nachgeahmte, ſondern wirklich leben-<lb/>
dige Luftwelle als ihr eigentliches, einziges Vehikel zu entlocken; ſie iſt frei,<lb/>
hat den Fuß aus dem Boden gezogen, der Vogel unter den Künſten. Wir<lb/>
haben alſo jetzt endlich die wirkliche Bewegung, aber ohne ein ſich bewegendes,<lb/>
denn der Körper iſt zwar da, aber nicht er ſelbſt, ſondern nur ſein Erzittern<lb/>
geht uns an. Die bildende Kunſt hat die Oberfläche der Körper im Raum<lb/><hirendition="#g">bewegungslos</hi> iſolirt, zuerſt als Baukunſt auch ohne ſcheinbare Bewegung,<lb/>
dann als Plaſtik ſo, daß Bewegung nachgeahmt, aber als gefeſſelter Moment<lb/>
gebannt wurde, dann als Malerei ebenſo, nur in ungleich freierer Ausdehnung<lb/>
und unter Mitaufnahme der Farbe. Es ſoll aber nun endlich die eigentliche,<lb/>
die wirkliche Bewegung in die Kunſt eintreten und indem dieß geſchieht,<lb/>
wird ſie, um Alles zu erſchöpfen, was aus ihr entwickelt werden kann,<lb/>
nach jenem Geſetze, daß die einzelnen Künſte die Erſcheinungsſeiten des<lb/>
Naturſchönen iſoliren, um durch die Beſchränkung das Vollkommene zu<lb/>
erreichen (§. 533), von ihrem Träger getrennt als Ganzes der Umfangs-<lb/>
mittel einer Kunſt für ſich allein verwendet. Die Iſolirung iſt zugleich ein<lb/>
Feſthalten des Tones vor ſeiner Bildung zur Sprache. Es iſt nun der<lb/>
Kunſt die Zunge gelöst. Wir haben in §. 533 Anm. geſagt, die Kunſt<lb/>ſuche ſtufenweiſe die am meiſten <hirendition="#g">ſprechende</hi> Form. Auf den Fortſchritt<lb/>
in den Formen der bildenden Kunſt konnten wir dieſen Begriff nur un-<lb/>
eigentlich anwenden; die Muſik ſteht an der Schwelle des eigentlichen<lb/></hi></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[812/0050]
wird ſein räumliches Außereinander in das Nacheinander der Zeit aufgehoben,
er wird ſozuſagen flüſſig, es iſt ein inneres Zuſammenziehen und Ausdehnen,
Thätigkeit einer beſtimmten Art von Elaſtizität, Aeußerung einer „Quaſi-
Muſcularkraft“ (Krauſe Anfangsgr. d. allg. Theorie d. Muſik. S. 40),
die er beſitzt, und dieſe Aeußerung ſetzt ſich als Wellenbewegung in die
Luft fort. Er theilt ſich alſo mit, er gibt ſeine Iſolirung auf, er wird
für Anderes. Iſt dieſe Erzitterung, dieſe erſte Negation des räumlichen
Daſeins erfolgt, ſo ſtellt ſich durch die Reaction des Körpers gegen dieſe
Aufhebung in die Zeit, alſo durch eine zweite Negation (Hegel Aeſth.
Th. 3, S. 128) das blos räumliche Daſein her. Es iſt weſentlich, daß
der Körper bleibt und nur an ihm etwas vor ſich geht; es leuchtet bereits
ein, daß dieſer Vorgang im Techniſchen genau jenem Verhältniß im
Innern entſpricht, wonach das Object ſtets an der Schwelle des Gefühls
bereit zu ſtehen ſcheint (§. 749); man kann auch ſagen, daß ſich darin
ausdrückt, wie die Muſik ſo eben von der bildenden Kunſt, die an den
Raum gebunden iſt, herkommt. Die höchſte Entlaſtung der letzteren vom
ſchweren Stoffe war die Magie der Lichtwirkungen in der Malerei. Die
Lichtwelle iſt tief verwandt mit der Luftwelle; Farben und Töne ſtehen in
inniger Verwandtſchaft. Aber das maleriſche Licht iſt noch nachgeahmtes,
an den Raum gebanntes Licht; die Muſik dagegen iſt zwar an den Körper
gebannt, aber nur um ihm die nicht blos nachgeahmte, ſondern wirklich leben-
dige Luftwelle als ihr eigentliches, einziges Vehikel zu entlocken; ſie iſt frei,
hat den Fuß aus dem Boden gezogen, der Vogel unter den Künſten. Wir
haben alſo jetzt endlich die wirkliche Bewegung, aber ohne ein ſich bewegendes,
denn der Körper iſt zwar da, aber nicht er ſelbſt, ſondern nur ſein Erzittern
geht uns an. Die bildende Kunſt hat die Oberfläche der Körper im Raum
bewegungslos iſolirt, zuerſt als Baukunſt auch ohne ſcheinbare Bewegung,
dann als Plaſtik ſo, daß Bewegung nachgeahmt, aber als gefeſſelter Moment
gebannt wurde, dann als Malerei ebenſo, nur in ungleich freierer Ausdehnung
und unter Mitaufnahme der Farbe. Es ſoll aber nun endlich die eigentliche,
die wirkliche Bewegung in die Kunſt eintreten und indem dieß geſchieht,
wird ſie, um Alles zu erſchöpfen, was aus ihr entwickelt werden kann,
nach jenem Geſetze, daß die einzelnen Künſte die Erſcheinungsſeiten des
Naturſchönen iſoliren, um durch die Beſchränkung das Vollkommene zu
erreichen (§. 533), von ihrem Träger getrennt als Ganzes der Umfangs-
mittel einer Kunſt für ſich allein verwendet. Die Iſolirung iſt zugleich ein
Feſthalten des Tones vor ſeiner Bildung zur Sprache. Es iſt nun der
Kunſt die Zunge gelöst. Wir haben in §. 533 Anm. geſagt, die Kunſt
ſuche ſtufenweiſe die am meiſten ſprechende Form. Auf den Fortſchritt
in den Formen der bildenden Kunſt konnten wir dieſen Begriff nur un-
eigentlich anwenden; die Muſik ſteht an der Schwelle des eigentlichen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 812. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/50>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.