erst ein, wenn er sich successiv in einem Anschwellen und Abschwellen ent- faltet, aber er ist zuerst für sich in seiner getrennten Bestimmtheit hinzu- stellen. Es liegt im Wesen des Gefühls, daß es sich jetzt mit voller Kraft in den Moment stürzt, jetzt seine Masse bricht, vertheilt, leichter, schweben- der, sanfter auftritt bis zur hinschwindenden Auflösung, zum Verhauchen und Sterben. Die stärkere Intensität wird meist den Uebergang in den volleren Affect bezeichnen, ein Hereinbrechen nach der Seite des Willens hin, der zartere Gang ist mehr reines Gefühl, das in sich bleibt und seine Schönheit genießt. -- Weiter ist in die Gefühlslehre auch das heraufzu- nehmen, was in der Musik Dur und Moll heißt: ein neuer, eigenthümlicher Stimmungs-Dualismus, der sich durch alle andern Unterschiede hindurch- zieht. Er fällt keineswegs mit dem Grundgegensatze der Lust und Unlust zusammen. Dur ist nicht nothwendig heiter, Moll nicht traurig, wehmüthig; auch hart und weich, wovon der musikalische Name gebildet ist, bezeichnet nicht richtig. Wir haben Stimmungen, wo es uns ist, als fühlen wir Alles nur gedämpft, nur wie durch einen halb verhüllenden Flor, das Heitere sowohl, als das Ernste; wir haben andere, wo wir diesen Schleier lüften und die Welt mit kraftvoller Entschiedenheit auf uns wirken lassen. Es ist wie der Unterschied eines sachten und eines vollen Auftretens: dort geht das Empfinden leise, als fürchtete es, mit der vollen Geltung seiner Lichter und Schatten die Energie des Ich zu wecken; es ist eine Stimmung wie die des Mondlichts, wo wir im Verschwimmen der Umrisse alles Leben gedämpft, dem Loose des Vergehens hingegeben fühlen; hier dagegen wagt die Empfindung sich in den vollen Tag heraus, tritt entschlossen auf, fühlt das Leben als kräftige und berechtigte Gegenwart, entscheidet das Unent- schiedene und will sich in Alles und Jedes mit ungetheilter Klarheit und Fülle legen. Jene Verhüllung bringt allerdings immer einen elegischen Zug mit sich, aber derselbe schließt das Heitere nicht aus, sondern dämpft es nur, und umgekehrt scheut diese Lüftung der Hülle nicht die Trauer, sondern gibt sich ihr hin wie ein Gemüth, das dem Schmerze sein volles Recht einräumen will. -- Die dritte Unterscheidung des §. bezieht sich auf das, was in der Musik Klangfarbe heißt. Auch diese Modification muß schon in der Gefühlslehre aufgeführt werden, denn der Musiker ergreift nicht verschiedene Instrumente, um sich über ihren verschiedenen Gefühls- ausdruck zu verwundern, sondern wählt zwischen ihnen, weil er für die eine Empfindungsweise jenes, für die andere dieses entsprechend findet. Es ist schon früher auf die landschaftliche Empfindung in der Malerei hinge- wiesen worden, mit welcher ja das Subjective, der Musik Verwandte so fühlbar in dieser Kunst hervortritt; hier findet dieß nähere Anwendung: wir haben für das Gefühl, das die Localtöne und der Hauptton in der Landschaft, die Producte eines Zusammenwirkens der allgemeinen Medien
erſt ein, wenn er ſich ſucceſſiv in einem Anſchwellen und Abſchwellen ent- faltet, aber er iſt zuerſt für ſich in ſeiner getrennten Beſtimmtheit hinzu- ſtellen. Es liegt im Weſen des Gefühls, daß es ſich jetzt mit voller Kraft in den Moment ſtürzt, jetzt ſeine Maſſe bricht, vertheilt, leichter, ſchweben- der, ſanfter auftritt bis zur hinſchwindenden Auflöſung, zum Verhauchen und Sterben. Die ſtärkere Intenſität wird meiſt den Uebergang in den volleren Affect bezeichnen, ein Hereinbrechen nach der Seite des Willens hin, der zartere Gang iſt mehr reines Gefühl, das in ſich bleibt und ſeine Schönheit genießt. — Weiter iſt in die Gefühlslehre auch das heraufzu- nehmen, was in der Muſik Dur und Moll heißt: ein neuer, eigenthümlicher Stimmungs-Dualiſmus, der ſich durch alle andern Unterſchiede hindurch- zieht. Er fällt keineswegs mit dem Grundgegenſatze der Luſt und Unluſt zuſammen. Dur iſt nicht nothwendig heiter, Moll nicht traurig, wehmüthig; auch hart und weich, wovon der muſikaliſche Name gebildet iſt, bezeichnet nicht richtig. Wir haben Stimmungen, wo es uns iſt, als fühlen wir Alles nur gedämpft, nur wie durch einen halb verhüllenden Flor, das Heitere ſowohl, als das Ernſte; wir haben andere, wo wir dieſen Schleier lüften und die Welt mit kraftvoller Entſchiedenheit auf uns wirken laſſen. Es iſt wie der Unterſchied eines ſachten und eines vollen Auftretens: dort geht das Empfinden leiſe, als fürchtete es, mit der vollen Geltung ſeiner Lichter und Schatten die Energie des Ich zu wecken; es iſt eine Stimmung wie die des Mondlichts, wo wir im Verſchwimmen der Umriſſe alles Leben gedämpft, dem Looſe des Vergehens hingegeben fühlen; hier dagegen wagt die Empfindung ſich in den vollen Tag heraus, tritt entſchloſſen auf, fühlt das Leben als kräftige und berechtigte Gegenwart, entſcheidet das Unent- ſchiedene und will ſich in Alles und Jedes mit ungetheilter Klarheit und Fülle legen. Jene Verhüllung bringt allerdings immer einen elegiſchen Zug mit ſich, aber derſelbe ſchließt das Heitere nicht aus, ſondern dämpft es nur, und umgekehrt ſcheut dieſe Lüftung der Hülle nicht die Trauer, ſondern gibt ſich ihr hin wie ein Gemüth, das dem Schmerze ſein volles Recht einräumen will. — Die dritte Unterſcheidung des §. bezieht ſich auf das, was in der Muſik Klangfarbe heißt. Auch dieſe Modification muß ſchon in der Gefühlslehre aufgeführt werden, denn der Muſiker ergreift nicht verſchiedene Inſtrumente, um ſich über ihren verſchiedenen Gefühls- ausdruck zu verwundern, ſondern wählt zwiſchen ihnen, weil er für die eine Empfindungsweiſe jenes, für die andere dieſes entſprechend findet. Es iſt ſchon früher auf die landſchaftliche Empfindung in der Malerei hinge- wieſen worden, mit welcher ja das Subjective, der Muſik Verwandte ſo fühlbar in dieſer Kunſt hervortritt; hier findet dieß nähere Anwendung: wir haben für das Gefühl, das die Localtöne und der Hauptton in der Landſchaft, die Producte eines Zuſammenwirkens der allgemeinen Medien
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[802/0040]
erſt ein, wenn er ſich ſucceſſiv in einem Anſchwellen und Abſchwellen ent-
faltet, aber er iſt zuerſt für ſich in ſeiner getrennten Beſtimmtheit hinzu-
ſtellen. Es liegt im Weſen des Gefühls, daß es ſich jetzt mit voller Kraft
in den Moment ſtürzt, jetzt ſeine Maſſe bricht, vertheilt, leichter, ſchweben-
der, ſanfter auftritt bis zur hinſchwindenden Auflöſung, zum Verhauchen
und Sterben. Die ſtärkere Intenſität wird meiſt den Uebergang in den
volleren Affect bezeichnen, ein Hereinbrechen nach der Seite des Willens
hin, der zartere Gang iſt mehr reines Gefühl, das in ſich bleibt und ſeine
Schönheit genießt. — Weiter iſt in die Gefühlslehre auch das heraufzu-
nehmen, was in der Muſik Dur und Moll heißt: ein neuer, eigenthümlicher
Stimmungs-Dualiſmus, der ſich durch alle andern Unterſchiede hindurch-
zieht. Er fällt keineswegs mit dem Grundgegenſatze der Luſt und Unluſt
zuſammen. Dur iſt nicht nothwendig heiter, Moll nicht traurig, wehmüthig;
auch hart und weich, wovon der muſikaliſche Name gebildet iſt, bezeichnet
nicht richtig. Wir haben Stimmungen, wo es uns iſt, als fühlen wir
Alles nur gedämpft, nur wie durch einen halb verhüllenden Flor, das
Heitere ſowohl, als das Ernſte; wir haben andere, wo wir dieſen Schleier
lüften und die Welt mit kraftvoller Entſchiedenheit auf uns wirken laſſen.
Es iſt wie der Unterſchied eines ſachten und eines vollen Auftretens: dort
geht das Empfinden leiſe, als fürchtete es, mit der vollen Geltung ſeiner
Lichter und Schatten die Energie des Ich zu wecken; es iſt eine Stimmung
wie die des Mondlichts, wo wir im Verſchwimmen der Umriſſe alles Leben
gedämpft, dem Looſe des Vergehens hingegeben fühlen; hier dagegen wagt
die Empfindung ſich in den vollen Tag heraus, tritt entſchloſſen auf, fühlt
das Leben als kräftige und berechtigte Gegenwart, entſcheidet das Unent-
ſchiedene und will ſich in Alles und Jedes mit ungetheilter Klarheit und
Fülle legen. Jene Verhüllung bringt allerdings immer einen elegiſchen
Zug mit ſich, aber derſelbe ſchließt das Heitere nicht aus, ſondern dämpft
es nur, und umgekehrt ſcheut dieſe Lüftung der Hülle nicht die Trauer,
ſondern gibt ſich ihr hin wie ein Gemüth, das dem Schmerze ſein volles
Recht einräumen will. — Die dritte Unterſcheidung des §. bezieht ſich
auf das, was in der Muſik Klangfarbe heißt. Auch dieſe Modification
muß ſchon in der Gefühlslehre aufgeführt werden, denn der Muſiker ergreift
nicht verſchiedene Inſtrumente, um ſich über ihren verſchiedenen Gefühls-
ausdruck zu verwundern, ſondern wählt zwiſchen ihnen, weil er für die
eine Empfindungsweiſe jenes, für die andere dieſes entſprechend findet. Es
iſt ſchon früher auf die landſchaftliche Empfindung in der Malerei hinge-
wieſen worden, mit welcher ja das Subjective, der Muſik Verwandte ſo
fühlbar in dieſer Kunſt hervortritt; hier findet dieß nähere Anwendung:
wir haben für das Gefühl, das die Localtöne und der Hauptton in der
Landſchaft, die Producte eines Zuſammenwirkens der allgemeinen Medien
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 802. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/40>, abgerufen am 23.11.2024.
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