Gefühls heraustritt, bedarf nach früher Erörtertem keiner Ausführung mehr. Ebenso klar ist, daß die Instrumentalmusik, wie sie durch Begleitung des Tanzes und Marsches, durch Eröffnung des Drama's ihr Gebiet erweitert und gerade hier zu ganz besonders charakteristischer Tonmalerei Stoff erhält, so auch durch Gesangsbegleitung ihre Formenmannigfaltigkeit weiter aus- bilden und concretern Gehalt gewinnen kann, als wenn sie blos innerhalb ihrer selbst verharren und aus ihrer nach der Seite des Inhalts doch immer gestaltlos unbestimmten Sphäre gar nicht heraustreten wollte. Wer blos reine Instrumentalmusik will, muß auch jene Formen, in welchen sie begleitend zu Handlungen sich hinzugesellt, (Marsch u. s. w.) verwerfen; wer aber diese Formen, aus denen die Instrumentalmusik sich herangebildet und in welchen sie jederzeit die reichsten und charakteristischsten Wirkungen hervor- gebracht hat, nicht als Mißbildungen, sondern als naturgemäße Gattungen betrachtet, in denen die Instrumentalmusik eine ihr nicht aufgedrängte, sondern in ihrem eigenen Wesen liegende Befähigung zur Begleitung ausübt und glänzend beurkundet, der kann auch in gesangbegleitender Instrumentalmusik keinen Widerspruch finden; gerade weil sie weit formenreicher ist als der Gesang, kann sie auch die Form der Begleitungsmusik an- nehmen, die ihr Gelegenheit zu neuer Verwendung ihrer Mittel, zu neuen Bewegungen und Stellungen und zugleich Aufforderung zum Streben nach einer charakteristischen Inhaltsbestimmtheit bietet, durch welches sie selbst nur gewinnen und sich bereichern kann. Die Unterordnung, in welche sie sich (§. 798) bei diesem Bunde mit der Gesangsmusik begeben muß, läßt ihr immer noch Raum genug zu schöner Entfaltung ihres eigenen Wesens und wird reichlich aufgewogen durch die erhöhte Pracht und Kraft, in welcher sie gerade in der Vereinigung prangt vermöge des mittelst dieser entstehenden Contrastes zwischen der Einfachheit des Gesangs und der Klang- und Farben- fülle des Instrumentenchors. Ja sie gewinnt darin selbst ein neues Leben, eine ihr erst in dieser Vereinigung erwachsende Function, die Function nicht nur verstärkender und vermannigfaltigender, sondern auch sympathetisch mit- gehender, den theilnehmenden Wiederklang, den das subjective Gefühl in der objectiven Welt außer ihm findet, darstellender Begleitung (§. 812). In Concert und Symphonie konnte dieß doch nur unvollkommen, uneigentlich (symbolisch) geschehen, weil hier den von andern Instrumenten umspielten und beantworteten Hauptstimmen das klare, scharfe Gepräge eines einer objectiven Welt gegenüberstehenden Subjectiven fehlte; dieses entsteht erst dann, wenn subjective und objective Musik einander wirklich gegenüber- treten, wie es da der Fall ist, wo ein der Menschenbrust selbst entsteigender Gesang von Instrumenten begleitet wird, welche nichts Anderes sind, als äußere, von außenher tönende und somit eben die Sympathie einer Außen- welt mit dem Subject darstellende Naturobjecte.
Gefühls heraustritt, bedarf nach früher Erörtertem keiner Ausführung mehr. Ebenſo klar iſt, daß die Inſtrumentalmuſik, wie ſie durch Begleitung des Tanzes und Marſches, durch Eröffnung des Drama’s ihr Gebiet erweitert und gerade hier zu ganz beſonders charakteriſtiſcher Tonmalerei Stoff erhält, ſo auch durch Geſangsbegleitung ihre Formenmannigfaltigkeit weiter aus- bilden und concretern Gehalt gewinnen kann, als wenn ſie blos innerhalb ihrer ſelbſt verharren und aus ihrer nach der Seite des Inhalts doch immer geſtaltlos unbeſtimmten Sphäre gar nicht heraustreten wollte. Wer blos reine Inſtrumentalmuſik will, muß auch jene Formen, in welchen ſie begleitend zu Handlungen ſich hinzugeſellt, (Marſch u. ſ. w.) verwerfen; wer aber dieſe Formen, aus denen die Inſtrumentalmuſik ſich herangebildet und in welchen ſie jederzeit die reichſten und charakteriſtiſchſten Wirkungen hervor- gebracht hat, nicht als Mißbildungen, ſondern als naturgemäße Gattungen betrachtet, in denen die Inſtrumentalmuſik eine ihr nicht aufgedrängte, ſondern in ihrem eigenen Weſen liegende Befähigung zur Begleitung ausübt und glänzend beurkundet, der kann auch in geſangbegleitender Inſtrumentalmuſik keinen Widerſpruch finden; gerade weil ſie weit formenreicher iſt als der Geſang, kann ſie auch die Form der Begleitungsmuſik an- nehmen, die ihr Gelegenheit zu neuer Verwendung ihrer Mittel, zu neuen Bewegungen und Stellungen und zugleich Aufforderung zum Streben nach einer charakteriſtiſchen Inhaltsbeſtimmtheit bietet, durch welches ſie ſelbſt nur gewinnen und ſich bereichern kann. Die Unterordnung, in welche ſie ſich (§. 798) bei dieſem Bunde mit der Geſangsmuſik begeben muß, läßt ihr immer noch Raum genug zu ſchöner Entfaltung ihres eigenen Weſens und wird reichlich aufgewogen durch die erhöhte Pracht und Kraft, in welcher ſie gerade in der Vereinigung prangt vermöge des mittelſt dieſer entſtehenden Contraſtes zwiſchen der Einfachheit des Geſangs und der Klang- und Farben- fülle des Inſtrumentenchors. Ja ſie gewinnt darin ſelbſt ein neues Leben, eine ihr erſt in dieſer Vereinigung erwachſende Function, die Function nicht nur verſtärkender und vermannigfaltigender, ſondern auch ſympathetiſch mit- gehender, den theilnehmenden Wiederklang, den das ſubjective Gefühl in der objectiven Welt außer ihm findet, darſtellender Begleitung (§. 812). In Concert und Symphonie konnte dieß doch nur unvollkommen, uneigentlich (ſymboliſch) geſchehen, weil hier den von andern Inſtrumenten umſpielten und beantworteten Hauptſtimmen das klare, ſcharfe Gepräge eines einer objectiven Welt gegenüberſtehenden Subjectiven fehlte; dieſes entſteht erſt dann, wenn ſubjective und objective Muſik einander wirklich gegenüber- treten, wie es da der Fall iſt, wo ein der Menſchenbruſt ſelbſt entſteigender Geſang von Inſtrumenten begleitet wird, welche nichts Anderes ſind, als äußere, von außenher tönende und ſomit eben die Sympathie einer Außen- welt mit dem Subject darſtellende Naturobjecte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0337"n="1099"/>
Gefühls heraustritt, bedarf nach früher Erörtertem keiner Ausführung mehr.<lb/>
Ebenſo klar iſt, daß die Inſtrumentalmuſik, wie ſie durch Begleitung des<lb/>
Tanzes und Marſches, durch Eröffnung des Drama’s ihr Gebiet erweitert<lb/>
und gerade hier zu ganz beſonders charakteriſtiſcher Tonmalerei Stoff erhält,<lb/>ſo auch durch Geſangsbegleitung ihre Formenmannigfaltigkeit weiter aus-<lb/>
bilden und concretern Gehalt gewinnen kann, als wenn ſie blos innerhalb<lb/>
ihrer ſelbſt verharren und aus ihrer nach der Seite des Inhalts doch immer<lb/>
geſtaltlos unbeſtimmten Sphäre gar nicht heraustreten wollte. Wer blos<lb/>
reine Inſtrumentalmuſik will, muß auch jene Formen, in welchen ſie begleitend<lb/>
zu Handlungen ſich hinzugeſellt, (Marſch u. ſ. w.) verwerfen; wer aber<lb/>
dieſe Formen, aus denen die Inſtrumentalmuſik ſich herangebildet und in<lb/>
welchen ſie jederzeit die reichſten und charakteriſtiſchſten Wirkungen hervor-<lb/>
gebracht hat, nicht als Mißbildungen, ſondern als naturgemäße Gattungen<lb/>
betrachtet, in denen die Inſtrumentalmuſik eine ihr nicht aufgedrängte, ſondern<lb/>
in ihrem eigenen Weſen liegende Befähigung zur Begleitung ausübt und<lb/>
glänzend beurkundet, der kann auch in geſangbegleitender Inſtrumentalmuſik<lb/>
keinen Widerſpruch finden; gerade weil ſie weit formenreicher iſt als der<lb/>
Geſang, <hirendition="#g">kann ſie auch die Form der Begleitungsmuſik an-<lb/>
nehmen</hi>, die ihr Gelegenheit zu neuer Verwendung ihrer Mittel, zu neuen<lb/>
Bewegungen und Stellungen und zugleich Aufforderung zum Streben nach<lb/>
einer charakteriſtiſchen Inhaltsbeſtimmtheit bietet, durch welches ſie ſelbſt nur<lb/>
gewinnen und ſich bereichern kann. Die Unterordnung, in welche ſie ſich<lb/>
(§. 798) bei dieſem Bunde mit der Geſangsmuſik begeben muß, läßt ihr<lb/>
immer noch Raum genug zu ſchöner Entfaltung ihres eigenen Weſens und<lb/>
wird reichlich aufgewogen durch die erhöhte Pracht und Kraft, in welcher<lb/>ſie gerade in der Vereinigung prangt vermöge des mittelſt dieſer entſtehenden<lb/>
Contraſtes zwiſchen der Einfachheit des Geſangs und der Klang- und Farben-<lb/>
fülle des Inſtrumentenchors. Ja ſie gewinnt darin ſelbſt ein neues Leben,<lb/>
eine ihr erſt in dieſer Vereinigung erwachſende Function, die Function nicht<lb/>
nur verſtärkender und vermannigfaltigender, ſondern auch ſympathetiſch mit-<lb/>
gehender, den theilnehmenden Wiederklang, den das ſubjective Gefühl in<lb/>
der objectiven Welt außer ihm findet, darſtellender Begleitung (§. 812).<lb/>
In Concert und Symphonie konnte dieß doch nur unvollkommen, uneigentlich<lb/>
(ſymboliſch) geſchehen, weil hier den von andern Inſtrumenten umſpielten<lb/>
und beantworteten Hauptſtimmen das klare, ſcharfe Gepräge eines einer<lb/>
objectiven Welt gegenüberſtehenden Subjectiven fehlte; dieſes entſteht erſt<lb/>
dann, wenn ſubjective und objective Muſik einander <hirendition="#g">wirklich</hi> gegenüber-<lb/>
treten, wie es da der Fall iſt, wo ein der Menſchenbruſt ſelbſt entſteigender<lb/>
Geſang von Inſtrumenten begleitet wird, welche nichts Anderes ſind, als<lb/>
äußere, von außenher tönende und ſomit eben die Sympathie einer Außen-<lb/>
welt mit dem Subject darſtellende Naturobjecte.</hi></p></div><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[1099/0337]
Gefühls heraustritt, bedarf nach früher Erörtertem keiner Ausführung mehr.
Ebenſo klar iſt, daß die Inſtrumentalmuſik, wie ſie durch Begleitung des
Tanzes und Marſches, durch Eröffnung des Drama’s ihr Gebiet erweitert
und gerade hier zu ganz beſonders charakteriſtiſcher Tonmalerei Stoff erhält,
ſo auch durch Geſangsbegleitung ihre Formenmannigfaltigkeit weiter aus-
bilden und concretern Gehalt gewinnen kann, als wenn ſie blos innerhalb
ihrer ſelbſt verharren und aus ihrer nach der Seite des Inhalts doch immer
geſtaltlos unbeſtimmten Sphäre gar nicht heraustreten wollte. Wer blos
reine Inſtrumentalmuſik will, muß auch jene Formen, in welchen ſie begleitend
zu Handlungen ſich hinzugeſellt, (Marſch u. ſ. w.) verwerfen; wer aber
dieſe Formen, aus denen die Inſtrumentalmuſik ſich herangebildet und in
welchen ſie jederzeit die reichſten und charakteriſtiſchſten Wirkungen hervor-
gebracht hat, nicht als Mißbildungen, ſondern als naturgemäße Gattungen
betrachtet, in denen die Inſtrumentalmuſik eine ihr nicht aufgedrängte, ſondern
in ihrem eigenen Weſen liegende Befähigung zur Begleitung ausübt und
glänzend beurkundet, der kann auch in geſangbegleitender Inſtrumentalmuſik
keinen Widerſpruch finden; gerade weil ſie weit formenreicher iſt als der
Geſang, kann ſie auch die Form der Begleitungsmuſik an-
nehmen, die ihr Gelegenheit zu neuer Verwendung ihrer Mittel, zu neuen
Bewegungen und Stellungen und zugleich Aufforderung zum Streben nach
einer charakteriſtiſchen Inhaltsbeſtimmtheit bietet, durch welches ſie ſelbſt nur
gewinnen und ſich bereichern kann. Die Unterordnung, in welche ſie ſich
(§. 798) bei dieſem Bunde mit der Geſangsmuſik begeben muß, läßt ihr
immer noch Raum genug zu ſchöner Entfaltung ihres eigenen Weſens und
wird reichlich aufgewogen durch die erhöhte Pracht und Kraft, in welcher
ſie gerade in der Vereinigung prangt vermöge des mittelſt dieſer entſtehenden
Contraſtes zwiſchen der Einfachheit des Geſangs und der Klang- und Farben-
fülle des Inſtrumentenchors. Ja ſie gewinnt darin ſelbſt ein neues Leben,
eine ihr erſt in dieſer Vereinigung erwachſende Function, die Function nicht
nur verſtärkender und vermannigfaltigender, ſondern auch ſympathetiſch mit-
gehender, den theilnehmenden Wiederklang, den das ſubjective Gefühl in
der objectiven Welt außer ihm findet, darſtellender Begleitung (§. 812).
In Concert und Symphonie konnte dieß doch nur unvollkommen, uneigentlich
(ſymboliſch) geſchehen, weil hier den von andern Inſtrumenten umſpielten
und beantworteten Hauptſtimmen das klare, ſcharfe Gepräge eines einer
objectiven Welt gegenüberſtehenden Subjectiven fehlte; dieſes entſteht erſt
dann, wenn ſubjective und objective Muſik einander wirklich gegenüber-
treten, wie es da der Fall iſt, wo ein der Menſchenbruſt ſelbſt entſteigender
Geſang von Inſtrumenten begleitet wird, welche nichts Anderes ſind, als
äußere, von außenher tönende und ſomit eben die Sympathie einer Außen-
welt mit dem Subject darſtellende Naturobjecte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1099. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/337>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.