Der Grundgegensatz, welcher das ganze Gefühlsleben beherrscht und sich zu allen andern so verhält, daß dieselben als weitere spezifische Theilungen erschei- nen, worin er zur Erscheinung kommt, ist der von Lust und Unlust. Das Gefühl enthält in dieser Form allerdings ein Analogon der Scheidung zwischen Subject und Object in sich. Im Affecte spannt es sich gegen das Object hin und zeigt hierin die Nähe des Uebergangs in die Form des Willens an. Die Verhältnisse, in denen Lust und Unlust sich mischen, sind so unendlich, als2. die Verhältnißstellungen zwischen dem unmeßbar vielseitigen Subject und Object, Mischung aber und ebendarum ein Zug von Wehmuth ist der allgemeine Cha- rakter des geläuterten Gefühls.
1. Es ist zu §. 750, 1. gesagt, alle individuelle Empfindung sei nur eine eigene Mischung der Elemente des Gefühls. Der Ausdruck jenes §. "Grundbewegungen" ist also noch ungenau, es sind bereits innere Unter- schiede im Gefühle vorausgesetzt und diese sind nun aufzusuchen. Die Aufgabe einer philosophischen Lehre von der Musik besteht darin, daß das ganze Formenleben diese Kunst überall mit dem Innern, das sich in ihm ausdrückt, zusammengefaßt, auf das Leben der Empfindung zurückgeführt werde. Die Wissenschaft ist hinter dieser Aufgabe bisher zurückgeblieben, weil sie dieß Innere kurzweg als das Gefühl hinstellte und in dessen ein- fachem Nebel nicht jene Eintheilungs-Linien aufzufinden wußte, die der ursprüngliche Grund aller der Unterscheidungen sind, in welchen das For- menleben der Tonkunst sich bewegt. Man hatte dort ein unterschiedslos Einfaches, hier ein Mannigfaltiges, das sich aus einer Reihe unterschiede- ner Momente zusammenbaut: kein Wunder, daß die Lehre von der Musik keine Basis hatte, also keine philosophische sein konnte. Die Erörterung, zu der wir nun übergehen, ist ein Versuch, welcher bei der äußerst mangel- haften Vorarbeit der Psychologie und den dürftigen Ansätzen, welche die Aesthetik der Musik gemacht hat, jene Kluft zu füllen, kaum mehr zu leisten vermag, als die Stellen aufzuzeigen, wo die Wissenschaft zu graben hat. -- Das Leben des Gefühls erscheint als ein Unterschiedsloses nur in Verglei- chung mit der Klarheit des Bewußtseins, das sich in wachem Gegenschlage das Object gegenüberstellt. Blickt man genauer in das Dunkel, so erkennt das Auge in demselben eine reiche Welt innerer Unterschiede, die sich nach den Verhältnissen, in die sie zueinander treten, zu Gegensätzen spannen. Das Schwere ist, zu bestimmen, wie sich zu allen übrigen der große Grundgegensatz verhalte, der die eigentliche Lebensform des Gefühls selbst ist, der Gegensatz von Lust und Unlust. Wir werden sehen, daß er sich in gewissem Sinn allerdings zu ihnen verhält, wie das Wesen zur Er- scheinung, aber für sich genommen doch jeder der andern Unterschiede und Gegensätze etwas Spezifisches ist, von dem man nicht sagen kann, es drücke
Der Grundgegenſatz, welcher das ganze Gefühlsleben beherrſcht und ſich zu allen andern ſo verhält, daß dieſelben als weitere ſpezifiſche Theilungen erſchei- nen, worin er zur Erſcheinung kommt, iſt der von Luſt und Unluſt. Das Gefühl enthält in dieſer Form allerdings ein Analogon der Scheidung zwiſchen Subject und Object in ſich. Im Affecte ſpannt es ſich gegen das Object hin und zeigt hierin die Nähe des Uebergangs in die Form des Willens an. Die Verhältniſſe, in denen Luſt und Unluſt ſich miſchen, ſind ſo unendlich, als2. die Verhältnißſtellungen zwiſchen dem unmeßbar vielſeitigen Subject und Object, Miſchung aber und ebendarum ein Zug von Wehmuth iſt der allgemeine Cha- rakter des geläuterten Gefühls.
1. Es iſt zu §. 750, 1. geſagt, alle individuelle Empfindung ſei nur eine eigene Miſchung der Elemente des Gefühls. Der Ausdruck jenes §. „Grundbewegungen“ iſt alſo noch ungenau, es ſind bereits innere Unter- ſchiede im Gefühle vorausgeſetzt und dieſe ſind nun aufzuſuchen. Die Aufgabe einer philoſophiſchen Lehre von der Muſik beſteht darin, daß das ganze Formenleben dieſe Kunſt überall mit dem Innern, das ſich in ihm ausdrückt, zuſammengefaßt, auf das Leben der Empfindung zurückgeführt werde. Die Wiſſenſchaft iſt hinter dieſer Aufgabe bisher zurückgeblieben, weil ſie dieß Innere kurzweg als das Gefühl hinſtellte und in deſſen ein- fachem Nebel nicht jene Eintheilungs-Linien aufzufinden wußte, die der urſprüngliche Grund aller der Unterſcheidungen ſind, in welchen das For- menleben der Tonkunſt ſich bewegt. Man hatte dort ein unterſchiedslos Einfaches, hier ein Mannigfaltiges, das ſich aus einer Reihe unterſchiede- ner Momente zuſammenbaut: kein Wunder, daß die Lehre von der Muſik keine Baſis hatte, alſo keine philoſophiſche ſein konnte. Die Erörterung, zu der wir nun übergehen, iſt ein Verſuch, welcher bei der äußerſt mangel- haften Vorarbeit der Pſychologie und den dürftigen Anſätzen, welche die Aeſthetik der Muſik gemacht hat, jene Kluft zu füllen, kaum mehr zu leiſten vermag, als die Stellen aufzuzeigen, wo die Wiſſenſchaft zu graben hat. — Das Leben des Gefühls erſcheint als ein Unterſchiedsloſes nur in Verglei- chung mit der Klarheit des Bewußtſeins, das ſich in wachem Gegenſchlage das Object gegenüberſtellt. Blickt man genauer in das Dunkel, ſo erkennt das Auge in demſelben eine reiche Welt innerer Unterſchiede, die ſich nach den Verhältniſſen, in die ſie zueinander treten, zu Gegenſätzen ſpannen. Das Schwere iſt, zu beſtimmen, wie ſich zu allen übrigen der große Grundgegenſatz verhalte, der die eigentliche Lebensform des Gefühls ſelbſt iſt, der Gegenſatz von Luſt und Unluſt. Wir werden ſehen, daß er ſich in gewiſſem Sinn allerdings zu ihnen verhält, wie das Weſen zur Er- ſcheinung, aber für ſich genommen doch jeder der andern Unterſchiede und Gegenſätze etwas Spezifiſches iſt, von dem man nicht ſagen kann, es drücke
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Der Grundgegenſatz, welcher das ganze Gefühlsleben beherrſcht und ſich zu
allen andern ſo verhält, daß dieſelben als weitere ſpezifiſche Theilungen erſchei-
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Gefühl enthält in dieſer Form allerdings ein Analogon der Scheidung zwiſchen
Subject und Object in ſich. Im Affecte ſpannt es ſich gegen das Object
hin und zeigt hierin die Nähe des Uebergangs in die Form des Willens an.
Die Verhältniſſe, in denen Luſt und Unluſt ſich miſchen, ſind ſo unendlich, als
die Verhältnißſtellungen zwiſchen dem unmeßbar vielſeitigen Subject und Object,
Miſchung aber und ebendarum ein Zug von Wehmuth iſt der allgemeine Cha-
rakter des geläuterten Gefühls.
1. Es iſt zu §. 750, 1. geſagt, alle individuelle Empfindung ſei nur
eine eigene Miſchung der Elemente des Gefühls. Der Ausdruck jenes §.
„Grundbewegungen“ iſt alſo noch ungenau, es ſind bereits innere Unter-
ſchiede im Gefühle vorausgeſetzt und dieſe ſind nun aufzuſuchen. Die
Aufgabe einer philoſophiſchen Lehre von der Muſik beſteht darin, daß das
ganze Formenleben dieſe Kunſt überall mit dem Innern, das ſich in ihm
ausdrückt, zuſammengefaßt, auf das Leben der Empfindung zurückgeführt
werde. Die Wiſſenſchaft iſt hinter dieſer Aufgabe bisher zurückgeblieben,
weil ſie dieß Innere kurzweg als das Gefühl hinſtellte und in deſſen ein-
fachem Nebel nicht jene Eintheilungs-Linien aufzufinden wußte, die der
urſprüngliche Grund aller der Unterſcheidungen ſind, in welchen das For-
menleben der Tonkunſt ſich bewegt. Man hatte dort ein unterſchiedslos
Einfaches, hier ein Mannigfaltiges, das ſich aus einer Reihe unterſchiede-
ner Momente zuſammenbaut: kein Wunder, daß die Lehre von der Muſik
keine Baſis hatte, alſo keine philoſophiſche ſein konnte. Die Erörterung,
zu der wir nun übergehen, iſt ein Verſuch, welcher bei der äußerſt mangel-
haften Vorarbeit der Pſychologie und den dürftigen Anſätzen, welche die
Aeſthetik der Muſik gemacht hat, jene Kluft zu füllen, kaum mehr zu leiſten
vermag, als die Stellen aufzuzeigen, wo die Wiſſenſchaft zu graben hat. —
Das Leben des Gefühls erſcheint als ein Unterſchiedsloſes nur in Verglei-
chung mit der Klarheit des Bewußtſeins, das ſich in wachem Gegenſchlage
das Object gegenüberſtellt. Blickt man genauer in das Dunkel, ſo erkennt
das Auge in demſelben eine reiche Welt innerer Unterſchiede, die ſich nach
den Verhältniſſen, in die ſie zueinander treten, zu Gegenſätzen ſpannen.
Das Schwere iſt, zu beſtimmen, wie ſich zu allen übrigen der große
Grundgegenſatz verhalte, der die eigentliche Lebensform des Gefühls ſelbſt
iſt, der Gegenſatz von Luſt und Unluſt. Wir werden ſehen, daß er ſich
in gewiſſem Sinn allerdings zu ihnen verhält, wie das Weſen zur Er-
ſcheinung, aber für ſich genommen doch jeder der andern Unterſchiede und
Gegenſätze etwas Spezifiſches iſt, von dem man nicht ſagen kann, es drücke
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 795. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/33>, abgerufen am 18.12.2024.
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