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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857.

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sondern ergänzen sie, obwohl wir auch in ihnen eine gewisse Analogie mit
ihr nicht verkennen konnten. In ähnlicher Weise verhält es sich nun mit
den durch Schlagen oder Reißen in Bewegung gesetzten Saiteninstru-
menten
oder den Lautinstrumenten. Bei ihnen ist der Ton ganz
und gar nicht mehr ein Hauch und nicht mehr ein innerhalb des Hauches
beschlossener, mit ihm entstehender, dauernder und vergehender Klang, sondern
er ist Product eines mehr oder weniger intensiven Druckes und Stoßes
und ein nach demselben frei forttönender, in's Weite sich verlierender Laut,
wie schon bei den Blechinstrumenten dieses vom Instrument sich mehr ent-
bindende Klingen und Hallen als spezifische Eigenthümlichkeit hervortritt.
Stoß und schneller Druck, Laut stehen auch der Stimme zu Gebot, aber
nicht (selbst in eingeschlossenem Raume nicht) dieses gleichweithingehende
selbständige Forthallen, dieses sich rings nach allen Seiten Verbreiten, dieses
Nachtönen des in keine (Mund-) Höhle und Röhre eingeschlossenen, sondern
in freiem Raum erzeugten, blos in einer resonirenden Basis gefangenen,
concentrirten und verstärkten, keineswegs aber in ihr zurückgehaltenen Tones.
Stoß oder Schlag und Riß auf der einen, freies Vibriren und Verhallen
auf der andern Seite macht die Eigenthümlichkeit dieser Instrumente aus,
die natürlich auch dann nicht aufgehoben wird, wenn durch angebrachte
Dämpfer das Fortvibriren auf möglichst kurze Zeit beschränkt wird, wie
beim Clavier, wo die allerdings (in den Körper des ganzen Instruments)
schon wieder mehr eingeschlossenen Töne ohne solche Vorrichtungen sich unter
einander vermischen würden. Beide Merkmale, die stoßweise Entstehung
und das freie Verhallen nach allen Seiten hin widersprechen einander in
gewisser Beziehung, ergänzen sich aber auch wieder. Durch die stoßweise
Entstehung sind die Töne selbst eigentlich blos Stöße, augenblicklich ent-
stehende und ebenso augenblicklich wieder aufgehobene "Laute," sofern nur
im Augenblick des Stoßes und Risses selbst die Straffheit der Saite, welche
sie haben muß, um schnell vibriren zu können, entschieden überwunden, ein
distincter Klang hervorgebracht wird; das was nachher von diesem Laute
noch forttönt, ist kein distincter Klang mehr, wie z. B. ein ausgehaltener
Hornton, sondern ein weit weniger bestimmtes und zudem mit der stetigen
Abnahme der Weiten der Schwingungen selbst jeden Moment schwächer
werdendes Tönen, und so scheinen denn diese Saiteninstrumente wesentlich
Instrumente des kurzen, distincten, articulirten Lautes und eben nur auf
diesen und was mit ihm sich erreichen läßt angewiesen zu sein. Verhielte
es sich wirklich ausschließlich so, dann wäre dieses Forttönen blos ein stö-
rendes, der Distinctheit der Laute feindliches Element, das man um jeden
Preis ganz zu beseitigen suchen müßte. In der That, der wohlthuende
Eindruck eines aus ziemlicher Ferne gehörten Clavierspiels, beruht er nicht
darauf, daß wir, da die Laute rein, ohne alle Spur von mitsummenden

ſondern ergänzen ſie, obwohl wir auch in ihnen eine gewiſſe Analogie mit
ihr nicht verkennen konnten. In ähnlicher Weiſe verhält es ſich nun mit
den durch Schlagen oder Reißen in Bewegung geſetzten Saiteninſtru-
menten
oder den Lautinſtrumenten. Bei ihnen iſt der Ton ganz
und gar nicht mehr ein Hauch und nicht mehr ein innerhalb des Hauches
beſchloſſener, mit ihm entſtehender, dauernder und vergehender Klang, ſondern
er iſt Product eines mehr oder weniger intenſiven Druckes und Stoßes
und ein nach demſelben frei forttönender, in’s Weite ſich verlierender Laut,
wie ſchon bei den Blechinſtrumenten dieſes vom Inſtrument ſich mehr ent-
bindende Klingen und Hallen als ſpezifiſche Eigenthümlichkeit hervortritt.
Stoß und ſchneller Druck, Laut ſtehen auch der Stimme zu Gebot, aber
nicht (ſelbſt in eingeſchloſſenem Raume nicht) dieſes gleichweithingehende
ſelbſtändige Forthallen, dieſes ſich rings nach allen Seiten Verbreiten, dieſes
Nachtönen des in keine (Mund-) Höhle und Röhre eingeſchloſſenen, ſondern
in freiem Raum erzeugten, blos in einer reſonirenden Baſis gefangenen,
concentrirten und verſtärkten, keineswegs aber in ihr zurückgehaltenen Tones.
Stoß oder Schlag und Riß auf der einen, freies Vibriren und Verhallen
auf der andern Seite macht die Eigenthümlichkeit dieſer Inſtrumente aus,
die natürlich auch dann nicht aufgehoben wird, wenn durch angebrachte
Dämpfer das Fortvibriren auf möglichſt kurze Zeit beſchränkt wird, wie
beim Clavier, wo die allerdings (in den Körper des ganzen Inſtruments)
ſchon wieder mehr eingeſchloſſenen Töne ohne ſolche Vorrichtungen ſich unter
einander vermiſchen würden. Beide Merkmale, die ſtoßweiſe Entſtehung
und das freie Verhallen nach allen Seiten hin widerſprechen einander in
gewiſſer Beziehung, ergänzen ſich aber auch wieder. Durch die ſtoßweiſe
Entſtehung ſind die Töne ſelbſt eigentlich blos Stöße, augenblicklich ent-
ſtehende und ebenſo augenblicklich wieder aufgehobene „Laute,“ ſofern nur
im Augenblick des Stoßes und Riſſes ſelbſt die Straffheit der Saite, welche
ſie haben muß, um ſchnell vibriren zu können, entſchieden überwunden, ein
diſtincter Klang hervorgebracht wird; das was nachher von dieſem Laute
noch forttönt, iſt kein diſtincter Klang mehr, wie z. B. ein ausgehaltener
Hornton, ſondern ein weit weniger beſtimmtes und zudem mit der ſtetigen
Abnahme der Weiten der Schwingungen ſelbſt jeden Moment ſchwächer
werdendes Tönen, und ſo ſcheinen denn dieſe Saiteninſtrumente weſentlich
Inſtrumente des kurzen, diſtincten, articulirten Lautes und eben nur auf
dieſen und was mit ihm ſich erreichen läßt angewieſen zu ſein. Verhielte
es ſich wirklich ausſchließlich ſo, dann wäre dieſes Forttönen blos ein ſtö-
rendes, der Diſtinctheit der Laute feindliches Element, das man um jeden
Preis ganz zu beſeitigen ſuchen müßte. In der That, der wohlthuende
Eindruck eines aus ziemlicher Ferne gehörten Clavierſpiels, beruht er nicht
darauf, daß wir, da die Laute rein, ohne alle Spur von mitſummenden

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[1030/0268] ſondern ergänzen ſie, obwohl wir auch in ihnen eine gewiſſe Analogie mit ihr nicht verkennen konnten. In ähnlicher Weiſe verhält es ſich nun mit den durch Schlagen oder Reißen in Bewegung geſetzten Saiteninſtru- menten oder den Lautinſtrumenten. Bei ihnen iſt der Ton ganz und gar nicht mehr ein Hauch und nicht mehr ein innerhalb des Hauches beſchloſſener, mit ihm entſtehender, dauernder und vergehender Klang, ſondern er iſt Product eines mehr oder weniger intenſiven Druckes und Stoßes und ein nach demſelben frei forttönender, in’s Weite ſich verlierender Laut, wie ſchon bei den Blechinſtrumenten dieſes vom Inſtrument ſich mehr ent- bindende Klingen und Hallen als ſpezifiſche Eigenthümlichkeit hervortritt. Stoß und ſchneller Druck, Laut ſtehen auch der Stimme zu Gebot, aber nicht (ſelbſt in eingeſchloſſenem Raume nicht) dieſes gleichweithingehende ſelbſtändige Forthallen, dieſes ſich rings nach allen Seiten Verbreiten, dieſes Nachtönen des in keine (Mund-) Höhle und Röhre eingeſchloſſenen, ſondern in freiem Raum erzeugten, blos in einer reſonirenden Baſis gefangenen, concentrirten und verſtärkten, keineswegs aber in ihr zurückgehaltenen Tones. Stoß oder Schlag und Riß auf der einen, freies Vibriren und Verhallen auf der andern Seite macht die Eigenthümlichkeit dieſer Inſtrumente aus, die natürlich auch dann nicht aufgehoben wird, wenn durch angebrachte Dämpfer das Fortvibriren auf möglichſt kurze Zeit beſchränkt wird, wie beim Clavier, wo die allerdings (in den Körper des ganzen Inſtruments) ſchon wieder mehr eingeſchloſſenen Töne ohne ſolche Vorrichtungen ſich unter einander vermiſchen würden. Beide Merkmale, die ſtoßweiſe Entſtehung und das freie Verhallen nach allen Seiten hin widerſprechen einander in gewiſſer Beziehung, ergänzen ſich aber auch wieder. Durch die ſtoßweiſe Entſtehung ſind die Töne ſelbſt eigentlich blos Stöße, augenblicklich ent- ſtehende und ebenſo augenblicklich wieder aufgehobene „Laute,“ ſofern nur im Augenblick des Stoßes und Riſſes ſelbſt die Straffheit der Saite, welche ſie haben muß, um ſchnell vibriren zu können, entſchieden überwunden, ein diſtincter Klang hervorgebracht wird; das was nachher von dieſem Laute noch forttönt, iſt kein diſtincter Klang mehr, wie z. B. ein ausgehaltener Hornton, ſondern ein weit weniger beſtimmtes und zudem mit der ſtetigen Abnahme der Weiten der Schwingungen ſelbſt jeden Moment ſchwächer werdendes Tönen, und ſo ſcheinen denn dieſe Saiteninſtrumente weſentlich Inſtrumente des kurzen, diſtincten, articulirten Lautes und eben nur auf dieſen und was mit ihm ſich erreichen läßt angewieſen zu ſein. Verhielte es ſich wirklich ausſchließlich ſo, dann wäre dieſes Forttönen blos ein ſtö- rendes, der Diſtinctheit der Laute feindliches Element, das man um jeden Preis ganz zu beſeitigen ſuchen müßte. In der That, der wohlthuende Eindruck eines aus ziemlicher Ferne gehörten Clavierſpiels, beruht er nicht darauf, daß wir, da die Laute rein, ohne alle Spur von mitſummenden

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1030. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/268>, abgerufen am 22.11.2024.