arten ergeben gleichfalls verschiedene Arten von Tonstücken und Tonwerken. Aber gerade bei der nähern Bestimmung und Gliederung hievon kann von einem andern, materiellen Eintheilungsprinzip, vom Prinzip des Stoffes, nicht abgesehen werden. Die Differenz der Stoffe, der mannigfachen Empfin- dungsunterschiede (Lust und Unlust u. s. w.), der verschiedenen Gefühls- und Stimmungskreise und zwar namentlich der für die Musik (§. 750, 2.) so wichtige Unterschied zwischen Religiösem und Weltlichem sowie zwischen den einzelnen Gebieten des letztern greift so weit durch alle, auch durch die Instrumentalzweige hindurch, daß die durch die Unterschiede der Kunst- formen und Style begründeten Arten stets zugleich dem einen oder andern stofflichen Zweige zufallen, ja aus der Verschiedenheit der Stoffe selbst erst sich herausbilden und daher diese immer mitzuberücksichtigen ist. Die religiöse Musik fordert so spezifisch hohe Idealität des Styls und Innigkeit des Ausdrucks ohne subjective Sentimentalität und individualistische Stimmungs- nüancirung, daß sie ihren Erzeugnissen einen ganz besondern Charakter aufdrückt, der nur im Oratorium eine Verbindung mit der freiern Schön- heit, Anmuth und Bewegtheit des weltlichen Styls eingeht, und sie breitet sich zugleich zu einer Mannigfaltigkeit von Unterarten aus, die insgesammt wieder ihre Eigenthümlichkeit haben; die weltliche Musik hat größere for- melle Mannigfaltigkeit, aber sie umfaßt auch materiell so verschiedene Sphären, Ernst und Scherz, Tragik und Komik, allgemeinere Gefühls- und Stimmungsschilderung und daneben wiederum concrete Gebiete, wie Krie- gerisches, Tanz, Idylle, daß sich für sie auch hieraus die mannigfachsten Besonderungen ergeben. Diese besondern Unterarten religiöser und welt- licher Musik geben den Formen- und Stylarten erst ihre Erfüllung mit be- stimmtem Inhalt und Charakter, und es müssen daher bei der speziellen Zweiglehre immer beide Hauptgesichtspunkte, die formellen und materiellen, mit einander verknüpft werden. Es ergibt sich von selbst, daß die Ein- theilung nach materiellen Gesichtspunkten vor Allem für die Vocalmusik wichtig ist, weil sie mit dem Inhalte, den sie ausdrückt, so ganz und un- mittelbar verwachsen ist; z. B. gerade der Unterschied des Religiösen und Weltlichen ist für die Vocalmusik fester abgegrenzt, tritt in ihr ausgeprägter hervor, als in der Instrumentalmusik, die für sich allein mehr das Ideale, Feierliche, Ausdrucksvolle überhaupt als das spezifisch Religiöse, Kirchliche darstellen kann; in der Instrumentalmusik wiegen die formellen Eintheilungs- prinzipien vor, ihr eigenthümliches Gebiet ist eben die Formenmannigfal- tigkeit, aber auch bei ihr ist das Materielle keineswegs untergeordnet, wie sich dieß z. B. einfach daraus ergibt, daß der Unterschied des Ernsten und Scherzhaften gerade für die Gliederung der hauptsächlich auf reiche Form- entwicklung angelegten größern Instrumentalwerke von so wesentlicher Be- deutung ist.
arten ergeben gleichfalls verſchiedene Arten von Tonſtücken und Tonwerken. Aber gerade bei der nähern Beſtimmung und Gliederung hievon kann von einem andern, materiellen Eintheilungsprinzip, vom Prinzip des Stoffes, nicht abgeſehen werden. Die Differenz der Stoffe, der mannigfachen Empfin- dungsunterſchiede (Luſt und Unluſt u. ſ. w.), der verſchiedenen Gefühls- und Stimmungskreiſe und zwar namentlich der für die Muſik (§. 750, 2.) ſo wichtige Unterſchied zwiſchen Religiöſem und Weltlichem ſowie zwiſchen den einzelnen Gebieten des letztern greift ſo weit durch alle, auch durch die Inſtrumentalzweige hindurch, daß die durch die Unterſchiede der Kunſt- formen und Style begründeten Arten ſtets zugleich dem einen oder andern ſtofflichen Zweige zufallen, ja aus der Verſchiedenheit der Stoffe ſelbſt erſt ſich herausbilden und daher dieſe immer mitzuberückſichtigen iſt. Die religiöſe Muſik fordert ſo ſpezifiſch hohe Idealität des Styls und Innigkeit des Ausdrucks ohne ſubjective Sentimentalität und individualiſtiſche Stimmungs- nüancirung, daß ſie ihren Erzeugniſſen einen ganz beſondern Charakter aufdrückt, der nur im Oratorium eine Verbindung mit der freiern Schön- heit, Anmuth und Bewegtheit des weltlichen Styls eingeht, und ſie breitet ſich zugleich zu einer Mannigfaltigkeit von Unterarten aus, die insgeſammt wieder ihre Eigenthümlichkeit haben; die weltliche Muſik hat größere for- melle Mannigfaltigkeit, aber ſie umfaßt auch materiell ſo verſchiedene Sphären, Ernſt und Scherz, Tragik und Komik, allgemeinere Gefühls- und Stimmungsſchilderung und daneben wiederum concrete Gebiete, wie Krie- geriſches, Tanz, Idylle, daß ſich für ſie auch hieraus die mannigfachſten Beſonderungen ergeben. Dieſe beſondern Unterarten religiöſer und welt- licher Muſik geben den Formen- und Stylarten erſt ihre Erfüllung mit be- ſtimmtem Inhalt und Charakter, und es müſſen daher bei der ſpeziellen Zweiglehre immer beide Hauptgeſichtspunkte, die formellen und materiellen, mit einander verknüpft werden. Es ergibt ſich von ſelbſt, daß die Ein- theilung nach materiellen Geſichtspunkten vor Allem für die Vocalmuſik wichtig iſt, weil ſie mit dem Inhalte, den ſie ausdrückt, ſo ganz und un- mittelbar verwachſen iſt; z. B. gerade der Unterſchied des Religiöſen und Weltlichen iſt für die Vocalmuſik feſter abgegrenzt, tritt in ihr ausgeprägter hervor, als in der Inſtrumentalmuſik, die für ſich allein mehr das Ideale, Feierliche, Ausdrucksvolle überhaupt als das ſpezifiſch Religiöſe, Kirchliche darſtellen kann; in der Inſtrumentalmuſik wiegen die formellen Eintheilungs- prinzipien vor, ihr eigenthümliches Gebiet iſt eben die Formenmannigfal- tigkeit, aber auch bei ihr iſt das Materielle keineswegs untergeordnet, wie ſich dieß z. B. einfach daraus ergibt, daß der Unterſchied des Ernſten und Scherzhaften gerade für die Gliederung der hauptſächlich auf reiche Form- entwicklung angelegten größern Inſtrumentalwerke von ſo weſentlicher Be- deutung iſt.
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arten ergeben gleichfalls verſchiedene Arten von Tonſtücken und Tonwerken.
Aber gerade bei der nähern Beſtimmung und Gliederung hievon kann von
einem andern, materiellen Eintheilungsprinzip, vom Prinzip des Stoffes,
nicht abgeſehen werden. Die Differenz der Stoffe, der mannigfachen Empfin-
dungsunterſchiede (Luſt und Unluſt u. ſ. w.), der verſchiedenen Gefühls-
und Stimmungskreiſe und zwar namentlich der für die Muſik (§. 750, 2.)
ſo wichtige Unterſchied zwiſchen Religiöſem und Weltlichem ſowie zwiſchen
den einzelnen Gebieten des letztern greift ſo weit durch alle, auch durch
die Inſtrumentalzweige hindurch, daß die durch die Unterſchiede der Kunſt-
formen und Style begründeten Arten ſtets zugleich dem einen oder andern
ſtofflichen Zweige zufallen, ja aus der Verſchiedenheit der Stoffe ſelbſt erſt
ſich herausbilden und daher dieſe immer mitzuberückſichtigen iſt. Die religiöſe
Muſik fordert ſo ſpezifiſch hohe Idealität des Styls und Innigkeit des
Ausdrucks ohne ſubjective Sentimentalität und individualiſtiſche Stimmungs-
nüancirung, daß ſie ihren Erzeugniſſen einen ganz beſondern Charakter
aufdrückt, der nur im Oratorium eine Verbindung mit der freiern Schön-
heit, Anmuth und Bewegtheit des weltlichen Styls eingeht, und ſie breitet
ſich zugleich zu einer Mannigfaltigkeit von Unterarten aus, die insgeſammt
wieder ihre Eigenthümlichkeit haben; die weltliche Muſik hat größere for-
melle Mannigfaltigkeit, aber ſie umfaßt auch materiell ſo verſchiedene
Sphären, Ernſt und Scherz, Tragik und Komik, allgemeinere Gefühls- und
Stimmungsſchilderung und daneben wiederum concrete Gebiete, wie Krie-
geriſches, Tanz, Idylle, daß ſich für ſie auch hieraus die mannigfachſten
Beſonderungen ergeben. Dieſe beſondern Unterarten religiöſer und welt-
licher Muſik geben den Formen- und Stylarten erſt ihre Erfüllung mit be-
ſtimmtem Inhalt und Charakter, und es müſſen daher bei der ſpeziellen
Zweiglehre immer beide Hauptgeſichtspunkte, die formellen und materiellen,
mit einander verknüpft werden. Es ergibt ſich von ſelbſt, daß die Ein-
theilung nach materiellen Geſichtspunkten vor Allem für die Vocalmuſik
wichtig iſt, weil ſie mit dem Inhalte, den ſie ausdrückt, ſo ganz und un-
mittelbar verwachſen iſt; z. B. gerade der Unterſchied des Religiöſen und
Weltlichen iſt für die Vocalmuſik feſter abgegrenzt, tritt in ihr ausgeprägter
hervor, als in der Inſtrumentalmuſik, die für ſich allein mehr das Ideale,
Feierliche, Ausdrucksvolle überhaupt als das ſpezifiſch Religiöſe, Kirchliche
darſtellen kann; in der Inſtrumentalmuſik wiegen die formellen Eintheilungs-
prinzipien vor, ihr eigenthümliches Gebiet iſt eben die Formenmannigfal-
tigkeit, aber auch bei ihr iſt das Materielle keineswegs untergeordnet, wie
ſich dieß z. B. einfach daraus ergibt, daß der Unterſchied des Ernſten und
Scherzhaften gerade für die Gliederung der hauptſächlich auf reiche Form-
entwicklung angelegten größern Inſtrumentalwerke von ſo weſentlicher Be-
deutung iſt.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 979. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/217>, abgerufen am 04.12.2024.
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