getrieben hat, einfach zurückkehrt, um in ihr zur Ruhe zu kommen; höchstens am Schluß hebt und erweitert sich der Grundgedanke noch einmal, um nicht (wie dieses allerdings häufig der Fall ist) in leicht monotoner Wiederholung und mattem Nachlaß zu verklingen, sondern mit einem Nachklang des höhern Aufschwungs, der gegen das Ende des ersten Theils oder am Anfang des zweiten genommen war, und so doch mit immer noch lebendig bewegtem Wellenschlag zu schließen (ein Moment, das sich in größern Werken, z. B. Symphonien, zu eigenen stärker erregten Schlußsätzen ausbreitet). Der zweite Theil ist so das vollkommenste Gegenbild des ersten, er hat den um- gekehrten Rhythmus, er fängt in und mit der Bewegtheit an, führt sie eine Weile noch fort, läßt sie aber mehr und mehr sich beruhigen; wie der erste aus immer wieder vorwärtstreibenden Rhythmen besteht, so der zweite aus Rhythmen, die immer mehr zur Ruhe hinführen, wovon selbst die bewegtern Rhythmen im Anfang des zweiten Theils nicht ausgeschlossen sind, indem gerade mit dem höchsten Grade der Erregung die Umkehr, der Nachlaß, die Senkung bereits angebahnt, ja am bestimmtesten motivirt ist. Im Einzelnen modificirt sich dieses Alles freilich auf mannigfaltige Weise, da theils Größe, theils Charakter einzelner Tonwerke oft eine weit concretere Gliederung der Haupttheile verlangen, indem z. B. in größern Compositionen schon im ersten Theil neben dem Moment der Hebung das der Beruhigung stärker vertreten sein muß, als dieses bei kleineren Melodieen möglich ist; aber das Gesetz ist überall durch die größten wie durch die kleinsten Tonwerke hin- durch eines und dasselbe: Aufschwung, Hebung, Spannung, damit ein innerlich motivirter Fortgang, ein Interesse, -- Nachlassen, Senkung, Lösung, damit ein Resultat und Abschluß da sei und nicht die Musik eben da abbreche, wo sie blos umkehren und allmälig zur Beruhigung zurück- lenken sollte; alles Erklingen, sei es nun eines Tones oder einer Tonreihe, fordert Verklingen, alles Erzittern ein Ausbeben, eine Herstellung des Gleichgewichts; so nur ist für den Geist Befriedigung, Vollendung, An- schauung eines zur Einheit sich abrundenden Ganzen da, und es wird daher sogleich als Uebelstand gefühlt, wenn ein Kunstwerk nicht zu lebendigem, bewegtem Aussichherausgehen, noch mehr, wenn es nicht zu einem erst nach Erschöpfung aller Stufen und Grade der Bewegung eintretenden, dann aber die Spannung völlig lösenden, die Bewegung zur Ruhe führenden Aus- tönen, kurz zu einem natürlichen und befriedigenden Abschluß gelangt. Wirklich schöpferische Phantasie (die namentlich eben das unter Anm. 1. Geforderte versteht, "für sich unvollendete, zu weitern vorwärtstreibende" und hiedurch den Fortgang belebende und motivirende Sätze zu bilden), vermählt mit ursprünglichem, sicher treffendem Sinne für Gleichmaaß, allein kann diese Rhythmik des Tonwerks hervorbringen, deren gelungene Vollendung wesentlich über den Totaleindruck des Ganzen entscheidet; keine
getrieben hat, einfach zurückkehrt, um in ihr zur Ruhe zu kommen; höchſtens am Schluß hebt und erweitert ſich der Grundgedanke noch einmal, um nicht (wie dieſes allerdings häufig der Fall iſt) in leicht monotoner Wiederholung und mattem Nachlaß zu verklingen, ſondern mit einem Nachklang des höhern Aufſchwungs, der gegen das Ende des erſten Theils oder am Anfang des zweiten genommen war, und ſo doch mit immer noch lebendig bewegtem Wellenſchlag zu ſchließen (ein Moment, das ſich in größern Werken, z. B. Symphonien, zu eigenen ſtärker erregten Schlußſätzen ausbreitet). Der zweite Theil iſt ſo das vollkommenſte Gegenbild des erſten, er hat den um- gekehrten Rhythmus, er fängt in und mit der Bewegtheit an, führt ſie eine Weile noch fort, läßt ſie aber mehr und mehr ſich beruhigen; wie der erſte aus immer wieder vorwärtstreibenden Rhythmen beſteht, ſo der zweite aus Rhythmen, die immer mehr zur Ruhe hinführen, wovon ſelbſt die bewegtern Rhythmen im Anfang des zweiten Theils nicht ausgeſchloſſen ſind, indem gerade mit dem höchſten Grade der Erregung die Umkehr, der Nachlaß, die Senkung bereits angebahnt, ja am beſtimmteſten motivirt iſt. Im Einzelnen modificirt ſich dieſes Alles freilich auf mannigfaltige Weiſe, da theils Größe, theils Charakter einzelner Tonwerke oft eine weit concretere Gliederung der Haupttheile verlangen, indem z. B. in größern Compoſitionen ſchon im erſten Theil neben dem Moment der Hebung das der Beruhigung ſtärker vertreten ſein muß, als dieſes bei kleineren Melodieen möglich iſt; aber das Geſetz iſt überall durch die größten wie durch die kleinſten Tonwerke hin- durch eines und daſſelbe: Aufſchwung, Hebung, Spannung, damit ein innerlich motivirter Fortgang, ein Intereſſe, — Nachlaſſen, Senkung, Löſung, damit ein Reſultat und Abſchluß da ſei und nicht die Muſik eben da abbreche, wo ſie blos umkehren und allmälig zur Beruhigung zurück- lenken ſollte; alles Erklingen, ſei es nun eines Tones oder einer Tonreihe, fordert Verklingen, alles Erzittern ein Ausbeben, eine Herſtellung des Gleichgewichts; ſo nur iſt für den Geiſt Befriedigung, Vollendung, An- ſchauung eines zur Einheit ſich abrundenden Ganzen da, und es wird daher ſogleich als Uebelſtand gefühlt, wenn ein Kunſtwerk nicht zu lebendigem, bewegtem Ausſichherausgehen, noch mehr, wenn es nicht zu einem erſt nach Erſchöpfung aller Stufen und Grade der Bewegung eintretenden, dann aber die Spannung völlig löſenden, die Bewegung zur Ruhe führenden Aus- tönen, kurz zu einem natürlichen und befriedigenden Abſchluß gelangt. Wirklich ſchöpferiſche Phantaſie (die namentlich eben das unter Anm. 1. Geforderte verſteht, „für ſich unvollendete, zu weitern vorwärtstreibende“ und hiedurch den Fortgang belebende und motivirende Sätze zu bilden), vermählt mit urſprünglichem, ſicher treffendem Sinne für Gleichmaaß, allein kann dieſe Rhythmik des Tonwerks hervorbringen, deren gelungene Vollendung weſentlich über den Totaleindruck des Ganzen entſcheidet; keine
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[931/0169]
getrieben hat, einfach zurückkehrt, um in ihr zur Ruhe zu kommen; höchſtens
am Schluß hebt und erweitert ſich der Grundgedanke noch einmal, um nicht
(wie dieſes allerdings häufig der Fall iſt) in leicht monotoner Wiederholung
und mattem Nachlaß zu verklingen, ſondern mit einem Nachklang des höhern
Aufſchwungs, der gegen das Ende des erſten Theils oder am Anfang des
zweiten genommen war, und ſo doch mit immer noch lebendig bewegtem
Wellenſchlag zu ſchließen (ein Moment, das ſich in größern Werken, z. B.
Symphonien, zu eigenen ſtärker erregten Schlußſätzen ausbreitet). Der
zweite Theil iſt ſo das vollkommenſte Gegenbild des erſten, er hat den um-
gekehrten Rhythmus, er fängt in und mit der Bewegtheit an, führt ſie eine
Weile noch fort, läßt ſie aber mehr und mehr ſich beruhigen; wie der erſte
aus immer wieder vorwärtstreibenden Rhythmen beſteht, ſo der zweite aus
Rhythmen, die immer mehr zur Ruhe hinführen, wovon ſelbſt die bewegtern
Rhythmen im Anfang des zweiten Theils nicht ausgeſchloſſen ſind, indem
gerade mit dem höchſten Grade der Erregung die Umkehr, der Nachlaß, die
Senkung bereits angebahnt, ja am beſtimmteſten motivirt iſt. Im Einzelnen
modificirt ſich dieſes Alles freilich auf mannigfaltige Weiſe, da theils Größe,
theils Charakter einzelner Tonwerke oft eine weit concretere Gliederung der
Haupttheile verlangen, indem z. B. in größern Compoſitionen ſchon im
erſten Theil neben dem Moment der Hebung das der Beruhigung ſtärker
vertreten ſein muß, als dieſes bei kleineren Melodieen möglich iſt; aber das
Geſetz iſt überall durch die größten wie durch die kleinſten Tonwerke hin-
durch eines und daſſelbe: Aufſchwung, Hebung, Spannung, damit ein
innerlich motivirter Fortgang, ein Intereſſe, — Nachlaſſen, Senkung,
Löſung, damit ein Reſultat und Abſchluß da ſei und nicht die Muſik eben
da abbreche, wo ſie blos umkehren und allmälig zur Beruhigung zurück-
lenken ſollte; alles Erklingen, ſei es nun eines Tones oder einer Tonreihe,
fordert Verklingen, alles Erzittern ein Ausbeben, eine Herſtellung des
Gleichgewichts; ſo nur iſt für den Geiſt Befriedigung, Vollendung, An-
ſchauung eines zur Einheit ſich abrundenden Ganzen da, und es wird daher
ſogleich als Uebelſtand gefühlt, wenn ein Kunſtwerk nicht zu lebendigem,
bewegtem Ausſichherausgehen, noch mehr, wenn es nicht zu einem erſt nach
Erſchöpfung aller Stufen und Grade der Bewegung eintretenden, dann aber
die Spannung völlig löſenden, die Bewegung zur Ruhe führenden Aus-
tönen, kurz zu einem natürlichen und befriedigenden Abſchluß gelangt.
Wirklich ſchöpferiſche Phantaſie (die namentlich eben das unter Anm. 1.
Geforderte verſteht, „für ſich unvollendete, zu weitern vorwärtstreibende“
und hiedurch den Fortgang belebende und motivirende Sätze zu bilden),
vermählt mit urſprünglichem, ſicher treffendem Sinne für Gleichmaaß,
allein kann dieſe Rhythmik des Tonwerks hervorbringen, deren gelungene
Vollendung weſentlich über den Totaleindruck des Ganzen entſcheidet; keine
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 931. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/169>, abgerufen am 12.12.2024.
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