Die durch den kräftigern oder schwächern Druck (Stoß) auf den tönenden Körper hervorgebrachte größere oder kleinere Tonstärke entspricht (§. 753) der größern oder kleinern Intensität, mit welcher das Gefühl sich aussprechen soll, und ist daher von großer Bedeutung für den musikalischen Ausdruck. Großartige Effecte des Tönens und des Schalls, scharfe Anti- thesen zwischen markiger Kraft und stiller Zartheit, reizende sowohl als spannende Wechsel in stetiger Zu- und Abnahme des Forte oder Piano stehen hier der Musik zu Gebote, und zwar, wie es scheint, in höchst ein- facher, leicht handzuhabender Weise. Allein nirgends ist die Gefahr un- musikalischer Musik größer als gerade hier, indem die Versuchung sehr nahe liegt, durch den äußern Schalleffect oder durch den spannenden Reiz des Crescendo und Decrescendo mangelnden innerlichen Ausdruck, der in den musikalischen Gedanken und in ihrer gediegenen und charaktervollen Aus- führung selber vor Allem liegen muß, ersetzen zu wollen; die Musik geht in Lärm, der blos momentan körperlich wirkt, das Innere aber schlechthin gleichgültig läßt oder es geradezu empört, und in ein hohles Spiel des An- und Abschwellens über, das oft gehört sogleich abgenützt ist. Und auch von diesem Mißbrauch abgesehen, ist die praktische Anwendung der Tonstärke zum Behuf des Ausdrucks und Effects keineswegs so einfacher Natur als man glauben könnte. Man hat mit Recht bemerkt, die Mozart'- sche Gmoll-Symphonie mit ihren wenigen Blasinstrumenten wirke auch blos in quantitativ dynamischer Hinsicht weit stärker als manche neuere Symphonien, deren Partituren von reich besetzten Posaunen- und Trom- petenstimmen strotzen. Es ist dieß z. B. der Fall im ersten Satze, nach der zweiten Wiederholung des das Ganze beginnenden Thema's, in der Partie, wo die Oberstimmen von lebhaft bewegtem Basse begleitet eine kräftig stoßende Figur ausführen, und der große dynamische Effect dieser Partie ist auch wirklich gar nicht blos durch das Forte, sondern wesentlich auch eben durch den kraftvoll belebten und klaren Rhythmus sowohl der Haupt- als der Nebenstimmen bewirkt. Beispiele dieser Art ließen sich noch viele an- führen; sie zeigen alle, je klarer und heller die Tonbewegung und je belebter und charakteristisch markirter ihr Ausdruck ist, desto kräftiger wirkt sie auch. Alles unklar Gedachte, Trübe, Schwülstige, Unlebendige verbreitet über die Tonmasse eine Dumpfheit, die auch den Schalleffect abstumpft; das Quali- tative der Helligkeit der Klangmassen, der Frische und des Feuers der Be- wegung wirkt auch quantitativ energisch, wogegen übermäßige Häufung von Schallquantitäten geradezu die umgekehrte Folge hervorbringen kann, indem sie verursacht, daß die einzelnen Schallkräfte, statt die Kraft des Ganzen jede an ihrem Theile zu verstärken, vielmehr in dem betäubend dröhnenden, unorganisch lärmenden Ganzen wirkungslos verlöschen. Es findet also hier etwas ganz Aehnliches statt, wie beim Rhythmus; das
Die durch den kräftigern oder ſchwächern Druck (Stoß) auf den tönenden Körper hervorgebrachte größere oder kleinere Tonſtärke entſpricht (§. 753) der größern oder kleinern Intenſität, mit welcher das Gefühl ſich ausſprechen ſoll, und iſt daher von großer Bedeutung für den muſikaliſchen Ausdruck. Großartige Effecte des Tönens und des Schalls, ſcharfe Anti- theſen zwiſchen markiger Kraft und ſtiller Zartheit, reizende ſowohl als ſpannende Wechſel in ſtetiger Zu- und Abnahme des Forte oder Piano ſtehen hier der Muſik zu Gebote, und zwar, wie es ſcheint, in höchſt ein- facher, leicht handzuhabender Weiſe. Allein nirgends iſt die Gefahr un- muſikaliſcher Muſik größer als gerade hier, indem die Verſuchung ſehr nahe liegt, durch den äußern Schalleffect oder durch den ſpannenden Reiz des Crescendo und Decrescendo mangelnden innerlichen Ausdruck, der in den muſikaliſchen Gedanken und in ihrer gediegenen und charaktervollen Aus- führung ſelber vor Allem liegen muß, erſetzen zu wollen; die Muſik geht in Lärm, der blos momentan körperlich wirkt, das Innere aber ſchlechthin gleichgültig läßt oder es geradezu empört, und in ein hohles Spiel des An- und Abſchwellens über, das oft gehört ſogleich abgenützt iſt. Und auch von dieſem Mißbrauch abgeſehen, iſt die praktiſche Anwendung der Tonſtärke zum Behuf des Ausdrucks und Effects keineswegs ſo einfacher Natur als man glauben könnte. Man hat mit Recht bemerkt, die Mozart’- ſche Gmoll-Symphonie mit ihren wenigen Blasinſtrumenten wirke auch blos in quantitativ dynamiſcher Hinſicht weit ſtärker als manche neuere Symphonien, deren Partituren von reich beſetzten Poſaunen- und Trom- petenſtimmen ſtrotzen. Es iſt dieß z. B. der Fall im erſten Satze, nach der zweiten Wiederholung des das Ganze beginnenden Thema’s, in der Partie, wo die Oberſtimmen von lebhaft bewegtem Baſſe begleitet eine kräftig ſtoßende Figur ausführen, und der große dynamiſche Effect dieſer Partie iſt auch wirklich gar nicht blos durch das Forte, ſondern weſentlich auch eben durch den kraftvoll belebten und klaren Rhythmus ſowohl der Haupt- als der Nebenſtimmen bewirkt. Beiſpiele dieſer Art ließen ſich noch viele an- führen; ſie zeigen alle, je klarer und heller die Tonbewegung und je belebter und charakteriſtiſch markirter ihr Ausdruck iſt, deſto kräftiger wirkt ſie auch. Alles unklar Gedachte, Trübe, Schwülſtige, Unlebendige verbreitet über die Tonmaſſe eine Dumpfheit, die auch den Schalleffect abſtumpft; das Quali- tative der Helligkeit der Klangmaſſen, der Friſche und des Feuers der Be- wegung wirkt auch quantitativ energiſch, wogegen übermäßige Häufung von Schallquantitäten geradezu die umgekehrte Folge hervorbringen kann, indem ſie verurſacht, daß die einzelnen Schallkräfte, ſtatt die Kraft des Ganzen jede an ihrem Theile zu verſtärken, vielmehr in dem betäubend dröhnenden, unorganiſch lärmenden Ganzen wirkungslos verlöſchen. Es findet alſo hier etwas ganz Aehnliches ſtatt, wie beim Rhythmus; das
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[913/0151]
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tönenden Körper hervorgebrachte größere oder kleinere Tonſtärke entſpricht
(§. 753) der größern oder kleinern Intenſität, mit welcher das Gefühl ſich
ausſprechen ſoll, und iſt daher von großer Bedeutung für den muſikaliſchen
Ausdruck. Großartige Effecte des Tönens und des Schalls, ſcharfe Anti-
theſen zwiſchen markiger Kraft und ſtiller Zartheit, reizende ſowohl als
ſpannende Wechſel in ſtetiger Zu- und Abnahme des Forte oder Piano
ſtehen hier der Muſik zu Gebote, und zwar, wie es ſcheint, in höchſt ein-
facher, leicht handzuhabender Weiſe. Allein nirgends iſt die Gefahr un-
muſikaliſcher Muſik größer als gerade hier, indem die Verſuchung ſehr nahe
liegt, durch den äußern Schalleffect oder durch den ſpannenden Reiz des
Crescendo und Decrescendo mangelnden innerlichen Ausdruck, der in den
muſikaliſchen Gedanken und in ihrer gediegenen und charaktervollen Aus-
führung ſelber vor Allem liegen muß, erſetzen zu wollen; die Muſik geht
in Lärm, der blos momentan körperlich wirkt, das Innere aber ſchlechthin
gleichgültig läßt oder es geradezu empört, und in ein hohles Spiel des
An- und Abſchwellens über, das oft gehört ſogleich abgenützt iſt. Und
auch von dieſem Mißbrauch abgeſehen, iſt die praktiſche Anwendung der
Tonſtärke zum Behuf des Ausdrucks und Effects keineswegs ſo einfacher
Natur als man glauben könnte. Man hat mit Recht bemerkt, die Mozart’-
ſche Gmoll-Symphonie mit ihren wenigen Blasinſtrumenten wirke auch
blos in quantitativ dynamiſcher Hinſicht weit ſtärker als manche neuere
Symphonien, deren Partituren von reich beſetzten Poſaunen- und Trom-
petenſtimmen ſtrotzen. Es iſt dieß z. B. der Fall im erſten Satze, nach der
zweiten Wiederholung des das Ganze beginnenden Thema’s, in der Partie,
wo die Oberſtimmen von lebhaft bewegtem Baſſe begleitet eine kräftig
ſtoßende Figur ausführen, und der große dynamiſche Effect dieſer Partie iſt
auch wirklich gar nicht blos durch das Forte, ſondern weſentlich auch eben
durch den kraftvoll belebten und klaren Rhythmus ſowohl der Haupt- als
der Nebenſtimmen bewirkt. Beiſpiele dieſer Art ließen ſich noch viele an-
führen; ſie zeigen alle, je klarer und heller die Tonbewegung und je belebter
und charakteriſtiſch markirter ihr Ausdruck iſt, deſto kräftiger wirkt ſie auch.
Alles unklar Gedachte, Trübe, Schwülſtige, Unlebendige verbreitet über die
Tonmaſſe eine Dumpfheit, die auch den Schalleffect abſtumpft; das Quali-
tative der Helligkeit der Klangmaſſen, der Friſche und des Feuers der Be-
wegung wirkt auch quantitativ energiſch, wogegen übermäßige Häufung
von Schallquantitäten geradezu die umgekehrte Folge hervorbringen kann,
indem ſie verurſacht, daß die einzelnen Schallkräfte, ſtatt die Kraft des
Ganzen jede an ihrem Theile zu verſtärken, vielmehr in dem betäubend
dröhnenden, unorganiſch lärmenden Ganzen wirkungslos verlöſchen. Es
findet alſo hier etwas ganz Aehnliches ſtatt, wie beim Rhythmus; das
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 913. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/151>, abgerufen am 25.11.2024.
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