wenn die mitgehenden Stimmen die normale Takteintheilung festhalten und so ein Gegensatz des Rhythmus der einen Stimme gegen den der andern entsteht. Tausch des Taktes in einem und demselben Stücke, Mischung verschiedener gleichzeitig ertönender Taktarten (wie im ersten Finale des Don Juan) müssen als zu unregelmäßig vereinzelte Ausnahmen bleiben; nur die vorübergehende Combination der Zwei- und Mehrtheiligkeit mittelst der Triolen, Sertolen, Septolen u. s. w. ist eine überall anwendbare, zur Lebhaftigkeit und Mannigfaltigkeit beitragende Form. Vorschläge, d. h. kurze, vor oder zwischen die normalen Taktnoten schnell eingeschobene, un- gezählt bleibende Noten, oder ähnlich eingeschobene verzierende Figuren erhöhen die Belebtheit des Rhythmus gleichfalls, wie andererseits die accelerirte Bewegung des auf Instrumenten leichter als bei der Menschen- stimme ohne Naturwidrigkeit anwendbaren Trillers wiederum der nach- drücklichen Hervorhebung einzelner Töne des Taktes oder ganzer Takte dient. Ueber die Pausen und den Unterschied des gebundenen und ge- brochenen Vortrags (legato und staccato) ist in der Erörterung des allgemeinen Wesens der Musik (§. 754) das Erforderliche bereits bemerkt, und es ist daher nur dieß noch beizufügen, daß die große Zahl und Ver- schiedenheit aller dieser rhythmischen Formen zeigt, wie sehr das jetzt ange- nommene rhythmische System nicht nur naturgemäß, sondern auch mit der Freiheit der Composition in vollem Einklang ist, indem es ihr den größten Spielraum zu den kunst- und effectreichsten Combinationen offen läßt.
3. Die Bedeutung des Tempo (vergl. §. 754) ist hier nur noch rücksichtlich seines Verhältnisses zum Rhythmus in Betracht zu ziehen. Beide stehen überall in Wechselwirkung. Schnelleres oder langsameres Tempo rückt die Takttheile enger zusammen oder weiter aus einander; die rhythmischen Glieder und Accente verlieren oder gewinnen hiemit an selb- ständiger Bedeutung, an eigenem Gewichte. Je schneller das Ganze sich bewegt, desto mehr sinkt das durch die Accentuirung und durch die längere Tondauer auf den einzelnen Theilen ruhende Gewicht, sie verflüchtigen sich, lösen sich in's Ganze auf, so daß nicht mehr die schnell vorüberrauschenden einzelnen Rhythmen für sich, sondern die Gesammtbewegung Dasjenige ist, worin der Schwerpunct liegt, worauf Charakter und Eindruck des Stücks beruhen. Das schnell bewegte Tonwerk wirkt mehr als Ganzes, das lang- samer dahingehende mehr in seinen Einzelheiten; das erstere läßt nicht Zeit zum Beschauen des Einzelnen, wie das letztere, es ist ebendarum auch weniger durchsichtig als dieses und kann auch aus diesem Grunde seinen einzelnen kleinern Gliedern nicht die concrete Bedeutsamkeit zufließen lassen, wie ein Andante oder Adagio; jenes wirkt indirect, dieses direct idealistisch. Ebenso ist Klein- oder Großtheiligkeit des Taktmetrums (Sechszehntel; halbe Noten) von wesentlichem Einflusse auf den Geschwindigkeitscharakter eines
wenn die mitgehenden Stimmen die normale Takteintheilung feſthalten und ſo ein Gegenſatz des Rhythmus der einen Stimme gegen den der andern entſteht. Tauſch des Taktes in einem und demſelben Stücke, Miſchung verſchiedener gleichzeitig ertönender Taktarten (wie im erſten Finale des Don Juan) müſſen als zu unregelmäßig vereinzelte Ausnahmen bleiben; nur die vorübergehende Combination der Zwei- und Mehrtheiligkeit mittelſt der Triolen, Sertolen, Septolen u. ſ. w. iſt eine überall anwendbare, zur Lebhaftigkeit und Mannigfaltigkeit beitragende Form. Vorſchläge, d. h. kurze, vor oder zwiſchen die normalen Taktnoten ſchnell eingeſchobene, un- gezählt bleibende Noten, oder ähnlich eingeſchobene verzierende Figuren erhöhen die Belebtheit des Rhythmus gleichfalls, wie andererſeits die accelerirte Bewegung des auf Inſtrumenten leichter als bei der Menſchen- ſtimme ohne Naturwidrigkeit anwendbaren Trillers wiederum der nach- drücklichen Hervorhebung einzelner Töne des Taktes oder ganzer Takte dient. Ueber die Pauſen und den Unterſchied des gebundenen und ge- brochenen Vortrags (legato und staccato) iſt in der Erörterung des allgemeinen Weſens der Muſik (§. 754) das Erforderliche bereits bemerkt, und es iſt daher nur dieß noch beizufügen, daß die große Zahl und Ver- ſchiedenheit aller dieſer rhythmiſchen Formen zeigt, wie ſehr das jetzt ange- nommene rhythmiſche Syſtem nicht nur naturgemäß, ſondern auch mit der Freiheit der Compoſition in vollem Einklang iſt, indem es ihr den größten Spielraum zu den kunſt- und effectreichſten Combinationen offen läßt.
3. Die Bedeutung des Tempo (vergl. §. 754) iſt hier nur noch rückſichtlich ſeines Verhältniſſes zum Rhythmus in Betracht zu ziehen. Beide ſtehen überall in Wechſelwirkung. Schnelleres oder langſameres Tempo rückt die Takttheile enger zuſammen oder weiter aus einander; die rhythmiſchen Glieder und Accente verlieren oder gewinnen hiemit an ſelb- ſtändiger Bedeutung, an eigenem Gewichte. Je ſchneller das Ganze ſich bewegt, deſto mehr ſinkt das durch die Accentuirung und durch die längere Tondauer auf den einzelnen Theilen ruhende Gewicht, ſie verflüchtigen ſich, löſen ſich in’s Ganze auf, ſo daß nicht mehr die ſchnell vorüberrauſchenden einzelnen Rhythmen für ſich, ſondern die Geſammtbewegung Dasjenige iſt, worin der Schwerpunct liegt, worauf Charakter und Eindruck des Stücks beruhen. Das ſchnell bewegte Tonwerk wirkt mehr als Ganzes, das lang- ſamer dahingehende mehr in ſeinen Einzelheiten; das erſtere läßt nicht Zeit zum Beſchauen des Einzelnen, wie das letztere, es iſt ebendarum auch weniger durchſichtig als dieſes und kann auch aus dieſem Grunde ſeinen einzelnen kleinern Gliedern nicht die concrete Bedeutſamkeit zufließen laſſen, wie ein Andante oder Adagio; jenes wirkt indirect, dieſes direct idealiſtiſch. Ebenſo iſt Klein- oder Großtheiligkeit des Taktmetrums (Sechszehntel; halbe Noten) von weſentlichem Einfluſſe auf den Geſchwindigkeitscharakter eines
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[908/0146]
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ſo ein Gegenſatz des Rhythmus der einen Stimme gegen den der andern
entſteht. Tauſch des Taktes in einem und demſelben Stücke, Miſchung
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Don Juan) müſſen als zu unregelmäßig vereinzelte Ausnahmen bleiben; nur
die vorübergehende Combination der Zwei- und Mehrtheiligkeit mittelſt der
Triolen, Sertolen, Septolen u. ſ. w. iſt eine überall anwendbare, zur
Lebhaftigkeit und Mannigfaltigkeit beitragende Form. Vorſchläge, d. h.
kurze, vor oder zwiſchen die normalen Taktnoten ſchnell eingeſchobene, un-
gezählt bleibende Noten, oder ähnlich eingeſchobene verzierende Figuren
erhöhen die Belebtheit des Rhythmus gleichfalls, wie andererſeits die
accelerirte Bewegung des auf Inſtrumenten leichter als bei der Menſchen-
ſtimme ohne Naturwidrigkeit anwendbaren Trillers wiederum der nach-
drücklichen Hervorhebung einzelner Töne des Taktes oder ganzer Takte dient.
Ueber die Pauſen und den Unterſchied des gebundenen und ge-
brochenen Vortrags (legato und staccato) iſt in der Erörterung des
allgemeinen Weſens der Muſik (§. 754) das Erforderliche bereits bemerkt,
und es iſt daher nur dieß noch beizufügen, daß die große Zahl und Ver-
ſchiedenheit aller dieſer rhythmiſchen Formen zeigt, wie ſehr das jetzt ange-
nommene rhythmiſche Syſtem nicht nur naturgemäß, ſondern auch mit der
Freiheit der Compoſition in vollem Einklang iſt, indem es ihr den größten
Spielraum zu den kunſt- und effectreichſten Combinationen offen läßt.
3. Die Bedeutung des Tempo (vergl. §. 754) iſt hier nur noch
rückſichtlich ſeines Verhältniſſes zum Rhythmus in Betracht zu ziehen.
Beide ſtehen überall in Wechſelwirkung. Schnelleres oder langſameres
Tempo rückt die Takttheile enger zuſammen oder weiter aus einander; die
rhythmiſchen Glieder und Accente verlieren oder gewinnen hiemit an ſelb-
ſtändiger Bedeutung, an eigenem Gewichte. Je ſchneller das Ganze ſich
bewegt, deſto mehr ſinkt das durch die Accentuirung und durch die längere
Tondauer auf den einzelnen Theilen ruhende Gewicht, ſie verflüchtigen ſich,
löſen ſich in’s Ganze auf, ſo daß nicht mehr die ſchnell vorüberrauſchenden
einzelnen Rhythmen für ſich, ſondern die Geſammtbewegung Dasjenige iſt,
worin der Schwerpunct liegt, worauf Charakter und Eindruck des Stücks
beruhen. Das ſchnell bewegte Tonwerk wirkt mehr als Ganzes, das lang-
ſamer dahingehende mehr in ſeinen Einzelheiten; das erſtere läßt nicht Zeit
zum Beſchauen des Einzelnen, wie das letztere, es iſt ebendarum auch
weniger durchſichtig als dieſes und kann auch aus dieſem Grunde ſeinen
einzelnen kleinern Gliedern nicht die concrete Bedeutſamkeit zufließen laſſen,
wie ein Andante oder Adagio; jenes wirkt indirect, dieſes direct idealiſtiſch.
Ebenſo iſt Klein- oder Großtheiligkeit des Taktmetrums (Sechszehntel; halbe
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 908. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/146>, abgerufen am 24.11.2024.
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