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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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wogegen der Kampf geht, das plastische genannt. Es ist dieß nichts An-
deres, als das Prinzip der directen Idealisirung, das wir mit dem Mo-
mente der Zeichnung in innerer Verbindung gesehen haben. Dieses Prinzip
muß, wenn die Unterordnung verkannt wird, die ihm der Geist der Ma-
lerei auferlegt, zum äußersten Froste führen, und gegen diesen Frost, diese
leblose Kälte abstracter Schönheit stützen sich diejenigen, die jenem belei-
digten Geiste Recht verschaffen wollen, zunächst auf die Farbe. An diese
aber knüpft sich das entgegengesetzte Prinzip. Dieser Satz bedarf nach
Allem, was in der Darstellung des allgemeinen Wesens der Malerei
entwickelt ist, keiner weiteren Erläuterung. Die Farbe ist es ja, worin
das Vorherrschen des Ausdrucks über die Form begründet ist, der Aus-
druck aber geht erst dann in die Tiefe, wenn sich in ihm ein relativer
Bruch zwischen dem Aeußern und Innern darstellt; die Farbe löst die
Brechungen der Form in ihrem flüssig überführenden Medium auf; die
Farbe ist die Spitze des Verfahrens, das einen bloßen Schein der Dinge
auf die Fläche wirft, wodurch figurenreichere, bewegtere Handlung gegeben
ist, in welcher die Figuren die Mängel ihrer Form-Schönheit wechselseitig
ergänzen u. s. w. Daher sind denn die Coloristen in der Oppositions-
stellung zugleich indirecte Idealisten. Wie aber die geschichtliche Bewegung
durch Extreme geht, so verkennen auch sie im Kampfe wieder die Gren-
zen. Mit dem Prinzip, das sich mit dem Leben der Farbe verbindet, ist,
wie wir gesehen, ein gewisses Maaß des Formen-Adels sehr wohl ver-
einbar, und es soll damit vereinigt werden, wo nicht ein bestimmtes
Motiv die Einführung des härteren Bruchs in der Gestaltenbildung zu
Zwecken des Furchtbaren oder Komischen mit sich bringt. Ebenso wird
in der Uebersteigerung der Werth der Gegenstände überhaupt verkannt und
hiedurch eine andere Seite des Wahren und Richtigen zum Mißbrauch
gewendet. Die höhere Ausbildung des Colorits wird nämlich vorherrschend
einer Stimmung dienen, welche die zweite Stoffwelt aufgibt und die
ursprüngliche ergreift; denn wenn das ächt malerische Auge die Dinge in
allen den Brechungen der Form anschaut, welche sie durch den Complex
der Bedingtheit alles Lebens erfahren, wenn zugleich aus der Mitdarstel-
lung des Umgebenden, wodurch wir ebenfalls in diese Bedingtheit mitten
hinein versetzt werden, voller Ernst gemacht wird, so kann sich diese An-
schauung folgerecht nicht mehr im Mythus niederlegen, welcher seine Ge-
stalten als absolute Wesen von dieser Bedingtheit losschneidet und sie
in reiner Schönheit in eine Art von idealem Raum hineinstellt. Der in-
directe Idealismus des Coloristen kann nun im Gegentheil dahin über-
trieben werden, daß er, um diesen absoluten Gestalten zu entgehen, statt
daß er ihnen real bedingte Gestalten entgegenstellt, lieber gar keine Gestalt
mehr gibt, d. h. alle Gestalt, wie wir gesehen, im Nebel des Helldunkels

wogegen der Kampf geht, das plaſtiſche genannt. Es iſt dieß nichts An-
deres, als das Prinzip der directen Idealiſirung, das wir mit dem Mo-
mente der Zeichnung in innerer Verbindung geſehen haben. Dieſes Prinzip
muß, wenn die Unterordnung verkannt wird, die ihm der Geiſt der Ma-
lerei auferlegt, zum äußerſten Froſte führen, und gegen dieſen Froſt, dieſe
lebloſe Kälte abſtracter Schönheit ſtützen ſich diejenigen, die jenem belei-
digten Geiſte Recht verſchaffen wollen, zunächſt auf die Farbe. An dieſe
aber knüpft ſich das entgegengeſetzte Prinzip. Dieſer Satz bedarf nach
Allem, was in der Darſtellung des allgemeinen Weſens der Malerei
entwickelt iſt, keiner weiteren Erläuterung. Die Farbe iſt es ja, worin
das Vorherrſchen des Ausdrucks über die Form begründet iſt, der Aus-
druck aber geht erſt dann in die Tiefe, wenn ſich in ihm ein relativer
Bruch zwiſchen dem Aeußern und Innern darſtellt; die Farbe löst die
Brechungen der Form in ihrem flüſſig überführenden Medium auf; die
Farbe iſt die Spitze des Verfahrens, das einen bloßen Schein der Dinge
auf die Fläche wirft, wodurch figurenreichere, bewegtere Handlung gegeben
iſt, in welcher die Figuren die Mängel ihrer Form-Schönheit wechſelſeitig
ergänzen u. ſ. w. Daher ſind denn die Coloriſten in der Oppoſitions-
ſtellung zugleich indirecte Idealiſten. Wie aber die geſchichtliche Bewegung
durch Extreme geht, ſo verkennen auch ſie im Kampfe wieder die Gren-
zen. Mit dem Prinzip, das ſich mit dem Leben der Farbe verbindet, iſt,
wie wir geſehen, ein gewiſſes Maaß des Formen-Adels ſehr wohl ver-
einbar, und es ſoll damit vereinigt werden, wo nicht ein beſtimmtes
Motiv die Einführung des härteren Bruchs in der Geſtaltenbildung zu
Zwecken des Furchtbaren oder Komiſchen mit ſich bringt. Ebenſo wird
in der Ueberſteigerung der Werth der Gegenſtände überhaupt verkannt und
hiedurch eine andere Seite des Wahren und Richtigen zum Mißbrauch
gewendet. Die höhere Ausbildung des Colorits wird nämlich vorherrſchend
einer Stimmung dienen, welche die zweite Stoffwelt aufgibt und die
urſprüngliche ergreift; denn wenn das ächt maleriſche Auge die Dinge in
allen den Brechungen der Form anſchaut, welche ſie durch den Complex
der Bedingtheit alles Lebens erfahren, wenn zugleich aus der Mitdarſtel-
lung des Umgebenden, wodurch wir ebenfalls in dieſe Bedingtheit mitten
hinein verſetzt werden, voller Ernſt gemacht wird, ſo kann ſich dieſe An-
ſchauung folgerecht nicht mehr im Mythus niederlegen, welcher ſeine Ge-
ſtalten als abſolute Weſen von dieſer Bedingtheit losſchneidet und ſie
in reiner Schönheit in eine Art von idealem Raum hineinſtellt. Der in-
directe Idealiſmus des Coloriſten kann nun im Gegentheil dahin über-
trieben werden, daß er, um dieſen abſoluten Geſtalten zu entgehen, ſtatt
daß er ihnen real bedingte Geſtalten entgegenſtellt, lieber gar keine Geſtalt
mehr gibt, d. h. alle Geſtalt, wie wir geſehen, im Nebel des Helldunkels

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[576/0084] wogegen der Kampf geht, das plaſtiſche genannt. Es iſt dieß nichts An- deres, als das Prinzip der directen Idealiſirung, das wir mit dem Mo- mente der Zeichnung in innerer Verbindung geſehen haben. Dieſes Prinzip muß, wenn die Unterordnung verkannt wird, die ihm der Geiſt der Ma- lerei auferlegt, zum äußerſten Froſte führen, und gegen dieſen Froſt, dieſe lebloſe Kälte abſtracter Schönheit ſtützen ſich diejenigen, die jenem belei- digten Geiſte Recht verſchaffen wollen, zunächſt auf die Farbe. An dieſe aber knüpft ſich das entgegengeſetzte Prinzip. Dieſer Satz bedarf nach Allem, was in der Darſtellung des allgemeinen Weſens der Malerei entwickelt iſt, keiner weiteren Erläuterung. Die Farbe iſt es ja, worin das Vorherrſchen des Ausdrucks über die Form begründet iſt, der Aus- druck aber geht erſt dann in die Tiefe, wenn ſich in ihm ein relativer Bruch zwiſchen dem Aeußern und Innern darſtellt; die Farbe löst die Brechungen der Form in ihrem flüſſig überführenden Medium auf; die Farbe iſt die Spitze des Verfahrens, das einen bloßen Schein der Dinge auf die Fläche wirft, wodurch figurenreichere, bewegtere Handlung gegeben iſt, in welcher die Figuren die Mängel ihrer Form-Schönheit wechſelſeitig ergänzen u. ſ. w. Daher ſind denn die Coloriſten in der Oppoſitions- ſtellung zugleich indirecte Idealiſten. Wie aber die geſchichtliche Bewegung durch Extreme geht, ſo verkennen auch ſie im Kampfe wieder die Gren- zen. Mit dem Prinzip, das ſich mit dem Leben der Farbe verbindet, iſt, wie wir geſehen, ein gewiſſes Maaß des Formen-Adels ſehr wohl ver- einbar, und es ſoll damit vereinigt werden, wo nicht ein beſtimmtes Motiv die Einführung des härteren Bruchs in der Geſtaltenbildung zu Zwecken des Furchtbaren oder Komiſchen mit ſich bringt. Ebenſo wird in der Ueberſteigerung der Werth der Gegenſtände überhaupt verkannt und hiedurch eine andere Seite des Wahren und Richtigen zum Mißbrauch gewendet. Die höhere Ausbildung des Colorits wird nämlich vorherrſchend einer Stimmung dienen, welche die zweite Stoffwelt aufgibt und die urſprüngliche ergreift; denn wenn das ächt maleriſche Auge die Dinge in allen den Brechungen der Form anſchaut, welche ſie durch den Complex der Bedingtheit alles Lebens erfahren, wenn zugleich aus der Mitdarſtel- lung des Umgebenden, wodurch wir ebenfalls in dieſe Bedingtheit mitten hinein verſetzt werden, voller Ernſt gemacht wird, ſo kann ſich dieſe An- ſchauung folgerecht nicht mehr im Mythus niederlegen, welcher ſeine Ge- ſtalten als abſolute Weſen von dieſer Bedingtheit losſchneidet und ſie in reiner Schönheit in eine Art von idealem Raum hineinſtellt. Der in- directe Idealiſmus des Coloriſten kann nun im Gegentheil dahin über- trieben werden, daß er, um dieſen abſoluten Geſtalten zu entgehen, ſtatt daß er ihnen real bedingte Geſtalten entgegenſtellt, lieber gar keine Geſtalt mehr gibt, d. h. alle Geſtalt, wie wir geſehen, im Nebel des Helldunkels

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/84>, abgerufen am 26.11.2024.