Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
nen Puncten dieselbe Erscheinung verschieden und doch richtig auffassen; §. 673. Dieser Fortgang von der einfachen Farbe zu immer gesättigterer Vermitt- Die erste Seite der feinsten Steigerung ist, unter Voraussetzung des
nen Puncten dieſelbe Erſcheinung verſchieden und doch richtig auffaſſen; §. 673. Dieſer Fortgang von der einfachen Farbe zu immer geſättigterer Vermitt- Die erſte Seite der feinſten Steigerung iſt, unter Vorausſetzung des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0082" n="574"/> nen Puncten dieſelbe Erſcheinung verſchieden und doch richtig auffaſſen;<lb/> „die Anſchauung und die daraus fließenden Conſequenzen drehen ſich<lb/> bei der wahren Erkenntniß der Idee der darzuſtellenden Erſcheinung con-<lb/> centriſch um den Kern der Realität, wobei es gleichgültig iſt, ob dem einen<lb/> Meiſter gewiſſe fragliche Stellen bläulich, dem andern bräunlich erſchei-<lb/> nen“ u. ſ. w. (M. Unger a. a. O. S. 107).</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 673.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Dieſer Fortgang von der einfachen Farbe zu immer geſättigterer Vermitt-<lb/> lung iſt ein Prozeß, in welchem von der einen Seite die Farbengebung mehr<lb/> und mehr den Werth ihrer Magie über den Werth der Gegenſtände ſtellt,<lb/> von der andern Seite die Farbe ſelbſt mehr und mehr bis dahin bezwungen<lb/> wird, daß ſie als ſolche ſich dem Auge kaum mehr zu fühlen gibt. Dieſe<lb/> Herrſchaft der Farbenſchönheit und dieſe Conſumtion der Farbe iſt aber auch<lb/> eine gefährliche Spitze der Ausbildung des Maleriſchen.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Die erſte Seite der feinſten Steigerung iſt, unter Vorausſetzung des<lb/> glücklichſten Zufalls im Naturſchönen, in §. 253, <hi rendition="#sub">2.</hi> ſchon zur Sprache<lb/> gekommen, ihrer ganzen Bedeutung nach aber natürlich an die Kunſtlehre<lb/> verwieſen worden. Es gibt in der Natur allerdings Augenblicke, wo im<lb/> Stimmungs-Elemente der Farbe und Beleuchtung die Gegenſtände faſt<lb/> verſchwinden, und zwar nicht nur in der Landſchaft, ſondern auch in<lb/> menſchlichen Scenen: es kann z. B. über einem tragiſchen Momente eine<lb/> brütende Dämmerung liegen, welche bewirkt, daß die Auffaſſung der<lb/> betheiligten Perſonen in einem allgemeinen tiefen Gefühle der Stimmung<lb/> des Augenblicks nur dunkel mit hinſchwimmt. Wenn nun aber die Kunſt<lb/> nicht nur ſolchen ſeltenen Momenten vorherrſchend nachgeht, ſondern auch<lb/> ohne ein im Object gegebenes Motiv ihren Stoff immer oder doch mit ſicht-<lb/> barer Vorliebe unter dieſen Standpunct rückt, ſo wird die höchſte Ausbildung<lb/> des ächt Maleriſchen zum Unrecht gegen die Beſtimmtheit und Wahrheit des<lb/> Inhalts, gegen die Würde der Form, welche, obwohl der Ausdruck über<lb/> ſie vorwiegen ſoll, doch keineswegs verachtet werden darf, gegen die Rein-<lb/> heit, Richtigkeit, Genauigkeit, den Ernſt der Zeichnung. Die Geſchichte<lb/> unſerer Kunſt wird dieß belegen, ſie wird die verſchiedenen Wendungen,<lb/> in welchen durch die Herrſchaft des Farbenprinzips auf ſeiner äußerſten<lb/> Höhe die andern weſentlichen Seiten der Kunſt benachtheiligt werden, in<lb/> ihrem naturgemäßen Verlauf aufzeigen. Hier erinnern wir vorläufig nur<lb/> an Rembrandt, vor deſſen Werken der Zuſchauer zwiſchen Bewunderung<lb/> der Genialität in Colorit und Stimmung und zwiſchen Vorwurf gegen<lb/> eine zur Manier gewordene Auflöſung der Würde und Deutlichkeit der<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [574/0082]
nen Puncten dieſelbe Erſcheinung verſchieden und doch richtig auffaſſen;
„die Anſchauung und die daraus fließenden Conſequenzen drehen ſich
bei der wahren Erkenntniß der Idee der darzuſtellenden Erſcheinung con-
centriſch um den Kern der Realität, wobei es gleichgültig iſt, ob dem einen
Meiſter gewiſſe fragliche Stellen bläulich, dem andern bräunlich erſchei-
nen“ u. ſ. w. (M. Unger a. a. O. S. 107).
§. 673.
Dieſer Fortgang von der einfachen Farbe zu immer geſättigterer Vermitt-
lung iſt ein Prozeß, in welchem von der einen Seite die Farbengebung mehr
und mehr den Werth ihrer Magie über den Werth der Gegenſtände ſtellt,
von der andern Seite die Farbe ſelbſt mehr und mehr bis dahin bezwungen
wird, daß ſie als ſolche ſich dem Auge kaum mehr zu fühlen gibt. Dieſe
Herrſchaft der Farbenſchönheit und dieſe Conſumtion der Farbe iſt aber auch
eine gefährliche Spitze der Ausbildung des Maleriſchen.
Die erſte Seite der feinſten Steigerung iſt, unter Vorausſetzung des
glücklichſten Zufalls im Naturſchönen, in §. 253, 2. ſchon zur Sprache
gekommen, ihrer ganzen Bedeutung nach aber natürlich an die Kunſtlehre
verwieſen worden. Es gibt in der Natur allerdings Augenblicke, wo im
Stimmungs-Elemente der Farbe und Beleuchtung die Gegenſtände faſt
verſchwinden, und zwar nicht nur in der Landſchaft, ſondern auch in
menſchlichen Scenen: es kann z. B. über einem tragiſchen Momente eine
brütende Dämmerung liegen, welche bewirkt, daß die Auffaſſung der
betheiligten Perſonen in einem allgemeinen tiefen Gefühle der Stimmung
des Augenblicks nur dunkel mit hinſchwimmt. Wenn nun aber die Kunſt
nicht nur ſolchen ſeltenen Momenten vorherrſchend nachgeht, ſondern auch
ohne ein im Object gegebenes Motiv ihren Stoff immer oder doch mit ſicht-
barer Vorliebe unter dieſen Standpunct rückt, ſo wird die höchſte Ausbildung
des ächt Maleriſchen zum Unrecht gegen die Beſtimmtheit und Wahrheit des
Inhalts, gegen die Würde der Form, welche, obwohl der Ausdruck über
ſie vorwiegen ſoll, doch keineswegs verachtet werden darf, gegen die Rein-
heit, Richtigkeit, Genauigkeit, den Ernſt der Zeichnung. Die Geſchichte
unſerer Kunſt wird dieß belegen, ſie wird die verſchiedenen Wendungen,
in welchen durch die Herrſchaft des Farbenprinzips auf ſeiner äußerſten
Höhe die andern weſentlichen Seiten der Kunſt benachtheiligt werden, in
ihrem naturgemäßen Verlauf aufzeigen. Hier erinnern wir vorläufig nur
an Rembrandt, vor deſſen Werken der Zuſchauer zwiſchen Bewunderung
der Genialität in Colorit und Stimmung und zwiſchen Vorwurf gegen
eine zur Manier gewordene Auflöſung der Würde und Deutlichkeit der
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