Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
baren Uebergänge ineinander, das ganze Reich der gebrochenen Farbe zu ent- Nunmehr tritt der dem vorhergehenden entgegengesetzte Grundsatz auf,
baren Uebergänge ineinander, das ganze Reich der gebrochenen Farbe zu ent- Nunmehr tritt der dem vorhergehenden entgegengeſetzte Grundſatz auf, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#fr"><pb facs="#f0075" n="567"/> baren Uebergänge ineinander, das ganze Reich der gebrochenen Farbe zu ent-<lb/> wickeln und die geſammte Farben-Erſcheinung ſo zu verarbeiten, daß alle Farbe<lb/> als Kochungsproduct der innern Stimmung des Gegenſtands erſcheint.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Nunmehr tritt der dem vorhergehenden entgegengeſetzte Grundſatz auf,<lb/> ohne daß darum ein Widerſpruch entſtünde. Die Brechung der Farbe iſt<lb/> mit der Entſchiedenheit vollkommen verträglich. Auch dieß erhellt aus<lb/> keinem Beiſpiele deutlicher, als dem des menſchlichen Incarnats, das wir<lb/> ſchon zum vorh. §. für die entgegengeſetzte Forderung benützt haben. Das<lb/> Incarnat (vergl. §. 318, <hi rendition="#sub">2.</hi>) iſt als „ideelles Ineinander aller Haupt-<lb/> farben“ (Hegel Aeſth. B. 3. S. 71) das berühmte Kreuz des Malers;<lb/> vermeidet er das Verſchwommene und ſucht Entſchiedenheit der Farbe, wie<lb/> wir zuerſt verlangten, ſo geräth er von der „grünen Seife“ leicht in das<lb/> Ziegelroth der „Krebsſuppe“ und ſündigt ſo gegen das, was wir jetzt<lb/> verlangen. Aber die großen Meiſter haben die Scylla <hi rendition="#g">und</hi> Charybdis<lb/> vermieden: in welch’ kraftvoller Gold-Gluth leuchtet das Fleiſch bei einem<lb/> Giorgione und Titian und wie durchdringen ſich doch darin wunderbar<lb/> alle Farben! Zunächſt bleibt nun die Natur das nicht genug zu ſtudirende<lb/> Vorbild des unendlichen Reichs von Nüancen in der Farbe, aber ſie ſtellt<lb/> neben das Feinſte auch das Grelle. Die Aufgabe iſt alſo, dieſe Grellheit<lb/> ſowie gleichzeitig die rohe Stoff-Härte des Farbenmaterials zu bewältigen.<lb/> Es wird aus beiden Gründen die Farbe im Kunſtwerk immer durchgängig<lb/> gedämpfter, zurückgehaltener erſcheinen, als in der Natur. Wenn dieſe<lb/> große Meiſterin im Ueberleiten, Vermitteln, Abdämpfen der Farben nicht<lb/> dafür ſorgt, daß nicht aus dem harmoniſch Gedämpften da und dort ein<lb/> greller Ton herausſchreie, ſo ſtört dieß in ihrem intenſiv lebhaften Licht-<lb/> reiche nicht, im Kunſtwerk aber würde es nothwendig ſtören; wie<lb/> denn z. B. das erſte Grün der Wieſen im Frühling in der wirklichen<lb/> Landſchaft dem Auge höchſt erfreulich iſt, im Gemälde aber, wo es<lb/> irgend in einiger Breite ſich hervorthun würde, abgedämpft werden<lb/> muß. Es führt dieß auf einen weiteren Punct, wodurch nun die betref-<lb/> fende Anmerkung zu §. 669, <hi rendition="#sub">2.</hi> wieder aufgenommen wird. Wie nämlich<lb/> die Unerreichbarkeit des wirklichen Lichts ſchon in der Licht- und Schatten-<lb/> gebung einen tieferen Ton für das Ganze verlangt (vergl. §. 465, <hi rendition="#sub">2.</hi>), ſo<lb/> auch bei der Vereinigung von Licht und Farbe; dieſelbe Aufgabe kehrt<lb/> auch hier wieder, aber nun erſt tritt ſie in ihre ganze Bedeutung ein. So<lb/> gilt denn auch hier das Geſetz: was an ſich nicht zu erreichen iſt, das<lb/> muß durch daſſelbe Verhältniß bei anderer Scala erreicht werden: ein<lb/> Lichtſtrahl, ein glänzendes Auge, Waſſer im Strahl der Sonne, ſchimmern-<lb/> des Metall und Geſtein kann nicht in der Intenſität wie in der Natur<lb/> gegeben werden, aber die tiefere Abtonung des Umgebenden, ſchließlich<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [567/0075]
baren Uebergänge ineinander, das ganze Reich der gebrochenen Farbe zu ent-
wickeln und die geſammte Farben-Erſcheinung ſo zu verarbeiten, daß alle Farbe
als Kochungsproduct der innern Stimmung des Gegenſtands erſcheint.
Nunmehr tritt der dem vorhergehenden entgegengeſetzte Grundſatz auf,
ohne daß darum ein Widerſpruch entſtünde. Die Brechung der Farbe iſt
mit der Entſchiedenheit vollkommen verträglich. Auch dieß erhellt aus
keinem Beiſpiele deutlicher, als dem des menſchlichen Incarnats, das wir
ſchon zum vorh. §. für die entgegengeſetzte Forderung benützt haben. Das
Incarnat (vergl. §. 318, 2.) iſt als „ideelles Ineinander aller Haupt-
farben“ (Hegel Aeſth. B. 3. S. 71) das berühmte Kreuz des Malers;
vermeidet er das Verſchwommene und ſucht Entſchiedenheit der Farbe, wie
wir zuerſt verlangten, ſo geräth er von der „grünen Seife“ leicht in das
Ziegelroth der „Krebsſuppe“ und ſündigt ſo gegen das, was wir jetzt
verlangen. Aber die großen Meiſter haben die Scylla und Charybdis
vermieden: in welch’ kraftvoller Gold-Gluth leuchtet das Fleiſch bei einem
Giorgione und Titian und wie durchdringen ſich doch darin wunderbar
alle Farben! Zunächſt bleibt nun die Natur das nicht genug zu ſtudirende
Vorbild des unendlichen Reichs von Nüancen in der Farbe, aber ſie ſtellt
neben das Feinſte auch das Grelle. Die Aufgabe iſt alſo, dieſe Grellheit
ſowie gleichzeitig die rohe Stoff-Härte des Farbenmaterials zu bewältigen.
Es wird aus beiden Gründen die Farbe im Kunſtwerk immer durchgängig
gedämpfter, zurückgehaltener erſcheinen, als in der Natur. Wenn dieſe
große Meiſterin im Ueberleiten, Vermitteln, Abdämpfen der Farben nicht
dafür ſorgt, daß nicht aus dem harmoniſch Gedämpften da und dort ein
greller Ton herausſchreie, ſo ſtört dieß in ihrem intenſiv lebhaften Licht-
reiche nicht, im Kunſtwerk aber würde es nothwendig ſtören; wie
denn z. B. das erſte Grün der Wieſen im Frühling in der wirklichen
Landſchaft dem Auge höchſt erfreulich iſt, im Gemälde aber, wo es
irgend in einiger Breite ſich hervorthun würde, abgedämpft werden
muß. Es führt dieß auf einen weiteren Punct, wodurch nun die betref-
fende Anmerkung zu §. 669, 2. wieder aufgenommen wird. Wie nämlich
die Unerreichbarkeit des wirklichen Lichts ſchon in der Licht- und Schatten-
gebung einen tieferen Ton für das Ganze verlangt (vergl. §. 465, 2.), ſo
auch bei der Vereinigung von Licht und Farbe; dieſelbe Aufgabe kehrt
auch hier wieder, aber nun erſt tritt ſie in ihre ganze Bedeutung ein. So
gilt denn auch hier das Geſetz: was an ſich nicht zu erreichen iſt, das
muß durch daſſelbe Verhältniß bei anderer Scala erreicht werden: ein
Lichtſtrahl, ein glänzendes Auge, Waſſer im Strahl der Sonne, ſchimmern-
des Metall und Geſtein kann nicht in der Intenſität wie in der Natur
gegeben werden, aber die tiefere Abtonung des Umgebenden, ſchließlich
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